Kleiner Tipp: Wer Ole Werner oder Clemens Fritz in den nächsten Stunden treffen sollte, darf sie auf keinen Fall auf die Vergangenheit des SV Werder Bremen ansprechen – ganz speziell nicht auf die Situation am 24. Spieltag der Saison 2020/21. Der Trainer und Leiter Profifußball könnten darauf angefressen reagieren – so wie bei der Pressekonferenz vor dem Bundesligaspiel am Freitagabend bei Borussia Mönchengladbach (20.30 Uhr/DAZN live). Dort präsentierten sich beide überraschend dünnhäutig, obwohl die sportliche Lage mehr als zufriedenstellend ist. Wie aus dem Nichts kritisierten sie die Berichterstattung, warfen dem Umfeld ein Verharren in der Vergangenheit vor und monierten die angeblich fehlende Wertschätzung für ihre und die Arbeit der Mannschaft. Ein seltsames Verhalten zu einem eigentlich noch entspannten Zeitpunkt der Saison des Tabellenelften.
Vordergründig ging es um den Vergleich mit der Abstiegssaison. Die Grün-Weißen hatten damals nach 24 Partien schon 30 Punkte auf dem Konto und stürzten trotzdem ab. Jeder Werder-Fan weiß das. Deshalb ist es gerade ein großes Thema, dass die Bremer nach 24 Spieltagen wieder exakt diese ominösen 30 Zähler gesammelt haben. Hier und da sorgt das sogar für ein ungutes Gefühl. Werner und Fritz sind davon einfach nur genervt. „Ich glaube, es gab in den letzten 20 Jahren keinen Aufsteiger, der bei 30 Punkten nach 24 Spieltagen ein mulmiges Gefühl gehabt hat. Hier hast du das Gefühl, dass von außen alle vor zwei Jahren stehen geblieben sind“, monierte Werner. Und Fritz drückte sich sogar noch drastischer aus: „Ich kann es ehrlich gesagt nicht mehr hören. Ich weiß nicht, warum das immer wieder ausgegraben wird. Ich bin kein Freund davon, nach hinten zu schauen. Hier intern sind wir das alle nicht.“
Werder Bremen: Trainer Werner vermisst Würdigung bisheriger Saison
Und wenn Werder das nicht macht, darf es die Öffentlichkeit auch nicht – so sehen es zumindest die Verantwortlichen der Grün-Weißen. „Das Entscheidende ist für uns, dass wir im Hier und Jetzt arbeiten“, betonte Fritz: „Das Thema von vor zwei Jahren können wir auch gerne beenden.“
Werner wich von dieser Linie kurzzeitig ein wenig ab. „Auch wenn es vor zwei Jahren mal schiefgegangen ist, auch wenn man vor zwei Jahren vielleicht schon dachte – es wurde ja schon gratuliert zum Klassenerhalt. Das machen wir dieses Jahr nicht. Wir brauchen noch Punkte. Wir sind uns sehr bewusst darüber, dass es noch ein hartes Stück Arbeit ist.“ Dieser eigentlich unerwünschte, aber dann doch vollzogene Rückblick zeigte, worum es viel mehr ging. Werner missfällt, dass die bisherigen Leistungen aus seiner Sicht zu wenig gewürdigt werden. „Mich wundert einfach, dass man nicht sieht, was die Mannschaft dieses Jahr bisher geleistet hat. Das, was wir uns dieses Jahr bis zu diesem Punkt erarbeitet haben unter ganz schweren Bedingungen, das ist aller Ehren wert“, meinte der 34-Jährige und war mit seiner Lobeshymne noch lange nicht am Ende: „Wir haben viele Widerstände zu überwinden, die Mannschaft macht das großartig, die Mannschaft hat einen super Charakter und spielt einen richtig guten Ball.“
Nun ist es wahrlich nicht ungewöhnlich, dass sich Trainer vor ihre Mannschaft stellen. Das gehört zu den Grundprinzipien ihres Jobs. Wenn sie es aber so deutlich machen wie nun Werner, dann hat das meistens auch einen besonderen Grund. Der unerwünschte Blick der Medien und Fans in die Vergangenheit reicht dafür definitiv nicht aus. Die beiden unnötigen Niederlagen gegen Augsburg und Leverkusen passen da schon besser – und noch mehr die Personalnot. Eine Mischung, die für weitere Misserfolge sorgen könnte. Baut da etwa jemand vor? „Vier Fünftel des Mannschaftsrats fallen aus“, seufzte Werner und meinte damit das Fehlen von Marco Friedl, Milos Veljkovic, Leonardo Bittencourt und Christian Groß.
Lediglich Niclas Füllkrug steht aus dem Kreis der absoluten Führungsspieler zur Verfügung. Schon mehrfach hatte Werner in der Vergangenheit die zu geringe Tiefe des Kaders bemängelt, diesmal verkniff er sich diesen Vorwurf. Ihm ging es mehr darum, dass übrig gebliebene Team zu stärken. Anders als sonst mutierte Werner sogar zum öffentlichen Heißmacher für die Partie beim Tabellennachbarn in Gladbach: „Das ist eine Aufgabe, die man mit Freude angehen kann. Die Woche war gut. Die Jungs, die da sind, haben einen guten Job gemacht. Ich glaube, dass es jetzt vor der Länderspielpause einfach ein richtig geiles Auswärtsspiel ist. Wir sollten uns auf diese Spiele freuen.“
Wer dabei übrigens an das Hinspiel denkt, lebt gefährlich. Auch auf diese fulminante 5:1-Gala sollte niemand Werner und Fritz ansprechen. „Das ist Schnee von gestern“, bügelte der Coach das Thema mit einem Satz ab. Vielleicht macht ihm ja das Spiel in Gladbach mehr Freude als die Fragerei davor.