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Werder-Kolumne Die Parallelen zwischen Werder und Berti Vogts

Aus einem unglücklichen Auftreten kann schnell ein schlechter Ruf und dann ein Image werden. Das erlebte im Fußball wohl niemand so wie Berti Vogts, meint Jean-Julien Beer - und fühlt sich an Werder erinnert...
03.01.2022, 16:38 Uhr
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Die Parallelen zwischen Werder und Berti Vogts
Von Jean-Julien Beer

Auf den ersten Blick hat der SV Werder nicht viel gemeinsam mit Berti Vogts. Auf den zweiten gibt es auch im neuen Jahr schon wieder einige Parallelen. Der frühere Bundestrainer kam irgendwann nicht mehr heraus aus einem selbst verschuldeten Dilemma: Kaum jemand traute ihm noch zu, das Richtige zu machen oder zu sagen. Der Bundes-Berti trat mit einer solchen Zielstrebigkeit in diverse Fettnäpfe, dass es nicht nur für ihn zum Problem wurde, sondern auch für die Presse. Wie sollte man denn ausgewogen über ihn berichten, wenn auf der zweiten Waagschale viel zu wenig lag, was sein ganzes Pech und all die unglücklichen Aussagen hätte ausgleichen können? Wie sollte man den Eindruck verhindern, es gebe eine Kampagne gegen den Mann? Er war es ja immer selbst, der das Öl ins Feuer schüttete und sich wunderte, dass es lichterloh brannte.

Wie Vogts war auch Frank Baumann ein großartiger Fußballer. Beide gewannen in ihren besten Zeiten mehr Titel, als es ihren Vereinen in den Jahren danach gelang. Doch in ihrer zweiten Karriere wurde es für beide schwierig, an diesen Ruhm anzuknüpfen. Wobei Vogts als Bundestrainer sogar Europameister wurde, 1996 in England – bis heute der letzte EM-Titel der deutschen Mannschaft. Doch angesichts der vielen Pannen davor und danach entstand nie das Gefühl, dieser Titel hätte am Trainer gelegen.

Das ist durchaus unfair: Vogts ist ein echter Fußballfachmann, der viel über diesen Sport weiß. So ist das auch bei Baumann: Werders Sportchef kann intelligent und visionär über Fußball reden, das wird nie langweilig. Er ist dabei kein Schaumschläger, der auf eine Schlagzeile schielt. Er kommt eher aus der Tiefe des Raumes, wie früher auf dem Spielfeld.

Andererseits klebt an ihm inzwischen ein Ruf, der sich in dieser Branche schnell zu einem Image verfestigen kann, wie früher bei Vogts: Bei Baumann ist es der Ruf, nicht angemessen auf Entwicklungen und Situationen zu reagieren – weder dann, wenn man sie schon kommen sieht, noch dann, wenn sie passiert sind. Was beide, Vogts und Baumann, in der Fußballbranche abhebt: Was auch immer sie tun, es geht ihnen nie um den eigenen Vorteil. Alles soll zum Wohle der Mannschaft und der Fans sein. Aber es kommt halt nicht so rüber. Und wenn der Erfolg ausbleibt, wirkt es schnell wie Slapstick.

Die „Baumann-Raus!“-Rufe nach dem Abstieg und in Teilen der Hinrunde haben ihn getroffen. So etwas hat auch Vogts zu schaffen gemacht. Beim Massenspektakel Profifußball gehört es leider dazu, diese Jobs werden auch deshalb so außergewöhnlich bezahlt, weil die Arbeit unter dem Brennglas der Öffentlichkeit verrichtet wird. Und wenn man eine Nationalmannschaft oder einen Traditionsverein versenkt, wird's heiß unterm Brennglas.

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Bei Vogts fanden manche Medien den Ausweg darin, die Perspektive zu wechseln, um nicht in den Verdacht einer Kampagne zu geraten. Sie berichteten nicht mehr, was dem Berti aus dem Ruder läuft, sondern was die Fans gerne mal erleben würden.

Im Falle von Werder sähe das so aus: Die Fans wären stolz gewesen, wenn auch ihr Verein zu den ersten gehört hätte, die ihr Wintertrainingslager wegen der Corona-Entwicklung früh absagten. Oder wenn Werder – wie Ligakonkurrent Nürnberg – die Profis sensibilisiert hätte, auf riskante Urlaubsziele zu verzichten. Gerade jetzt, wo Klubs wie Werder ums Überleben kämpfen und dabei auf höchste Hygienestandards setzen. Viele Fans hätten es gemocht, wenn Werder nach den positiven Coronatests zum Jahreswechsel – Nürnberg hatte keinen – nicht noch betont hätte, dass so ein Strandurlaub auch jetzt ganz in Ordnung sei im stressigen Profi-Alltag.

Gut angekommen wäre auch, wenn Werder – wie andere Vereine – nicht nur leidenschaftlich fürs Impfen werben würde, um Normalität für die Gesellschaft zu erreichen, sondern konsequenterweise  keinen ungeimpften Spieler verpflichtet hätte, um sich sportlich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Nun steckt Mitchell Weiser oft in Quarantäne. Noch besser hätten es die Fans gefunden, wenn Werder nicht der einzige Verein wäre, der wissentlich einen ungeimpften Trainer für den hochsensiblen Profibereich verpflichtet hätte. Markus Anfang sprach schon vorher in Darmstadt offen über seine Bedenken.

Am allermeisten würden sich die Fans über den Aufstieg freuen. Um den zu schaffen, das lehrt die Vergangenheit, muss man in einer Saison viel mehr richtig machen als falsch. So gesehen liegen jetzt sehr herausfordernde Monate vor Werder, um noch einiges auf die zweite Waagschale zu werfen…

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