Die Bilder gefielen ihm so gar nicht, die da aus der österreichischen Hauptstadt bei ihm eintrafen. Sie sorgten bei Clemens Fritz sogar für große Enttäuschung und Ungläubigkeit. „Der erste Gedanke war: wieder was Neues. Da bin ich ganz ehrlich“, erklärte der Leiter Profifußball des SV Werder Bremen am Mittwoch während des sechsten Deichtalks unserer Deichstube in der Union-Brauerei in Bremen-Walle. Auslöser dieser Reaktion war Marco Grüll. Der Angreifer wird im Sommer ablösefrei an die Weser wechseln, mit seinem Noch-Club Rapid Wien gelang jüngst ein umjubelter Derbysieg gegen die Austria. Doch dabei blieb es nicht, bei anschließenden Feierlichkeiten fielen Profis, Führungskräfte und Fans negativ durch homophobe Gesänge auf – und auch Grüll war mittendrin. „Das war einfach völlig unnötig“, monierte Fritz. „Wir haben dann direkt mit seinem Berater telefoniert, Marco selbst hat sich ja auch schnell via Instagram von den Gesängen distanziert und dafür entschuldigt. Und auch wir als Verein distanzieren uns natürlich komplett von diesen Äußerungen.“
Beendet ist das Thema damit aber noch nicht. In Österreich beschäftigt der Eklat noch immer die dortige Medienlandschaft, die Bundesliga der Alpenrepublik hat eine Anzeige beim Straf- und Beglaubigungsausschuss der Liga gegen die Beteiligten erstattet. Nun drohen Strafen wie Sperren oder Punktabzüge. Und auch bei Werder wird es noch Handlungsbedarf geben. „Persönlich habe ich mit Marco noch nicht gesprochen“, erklärte Fritz, „aber natürlich werden wir das Gespräch noch mit ihm suchen. Wir sind ein Verein, der für gewisse Werte steht.“
In dem Austausch dürfte sich dann zeigen, ob die Entschuldigung Grülls wirklich aus tiefster Überzeugung kommt – so zumindest wünscht es sich Kai Traemann, der als Medien-Berater für Profi-Sportler ebenfalls Teil der Talkrunde war. „Es ist nicht zu entschuldigen“, betonte der frühere „Bild“-Reporter. „Ich finde es immer komisch, wenn ich im ersten Moment solch ein Verhalten an den Tag lege und mich im zweiten Moment dann davon distanziere. Man darf da als Spieler schon etwas mehr Verantwortung verspüren und wissen, dass wenn man bei solch einer Feier auf der Bühne steht, die Sache auch eine mediale Wirkung hat.“ Deshalb gab der gebürtige Sulinger den Bremern einen Rat mit auf den Weg: „Ich würde Werder vorschlagen, noch einmal intensiv mit Marco Grüll zu reden, um zu prüfen, ob es glaubhaft ist, was er da sagt. Oder ob er ein Spieler ist, der in der Form eigentlich gar nicht zu Werder passt.“
Nun war die emotionale Situation, in der sich die Mannschaft von Rapid Wien nach dem Derbytriumph befand, alles andere als gewöhnlich. Auch an anderen Fußballstandorten hat es in der Vergangenheit nach prestigeträchtigen Siegen schon Szenen gegeben, in denen Profis – etwa mit einem Megafon in der Hand und in der Fankurve stehend – fragwürdige Gesänge mitgegrölt haben. Ex-Werder-Keeper Sebastian Mielitz, der in Bremen-Walle ebenfalls mitdiskutierte und früher mitunter auch auf dem Zaun vor der Ostkurve zu sehen war, meinte dennoch: „Klar, es steckt da viel Euphorie drin, aber man muss trotzdem darauf aufpassen, was man sagt. Man sollte lieber noch einmal durchatmen und prüfen, ob das auch alles so richtig ist.“ Ganz ähnlich sah es Clemens Fritz: „Du hast so kurz nach dem Spiel viel Adrenalin und Testosteron in dir. Da ist es nicht so einfach, die Emotionen im Griff zu haben. Diese Aktion ist aber nicht zu entschuldigen.“