Herz, Leidenschaft, Liebe. Das waren Vokabeln, die nach dem Abpfiff im Weserstadion fielen. Sie wirken bei nüchterner Betrachtung vielleicht etwas übertrieben. Aber wer war schon so ganz nüchtern nach diesem Spiel?
Nach diesem nächsten Werder-Spiel unter dem Trainer Alexander Nouri, nach welchem Werders Fans beglückt nach Hause gehen durften. Werder hatte drei Wochen nach dem VfL Wolfsburg auch den Favoriten Bayer Leverkusen mit 2:1 geschlagen – und es war einfach mitreißend, wie Werder sich auch in dieses Spiel geworfen hatte.
„Wir mussten bis an unsere Grenze gehen“, sagte Nouri hinterher, als er, begleitet von Nouri-Sprechchören, zum ersten TV-Interview kam. „Wir haben mit Herz und Leidenschaft gespielt, das freut mich einfach für die Menschen“, sagte er nach seiner Premiere als Werders Cheftrainer. So war das Spiel in der Tat, und es tat der Werder-Seele irgendwie gut, dass Nouri diesen besonderen Team-Spirit noch einmal angesprochen hatte. „Wir müssen übers Team kommen“, sagte Nouri – und einer, der von ihm ganz besonders als Teamplayer gelobt wird, hatte das Siegtor geschossen. „Er arbeitet unfassbar viel für das Team“, sagte Nouri über Ousman Manneh.
Werder spielte richtig guten Fußball
Der gab hinterher zu, dass er vorher unruhig geschlafen habe und jetzt noch gar nicht so richtig begreifen kann, was dann passierte. „Schon immer wollte ich nichts als Fußball spielen“, sagte der Junge aus Gambia, der vor zwei Jahren als Flüchtling nach Bremen gekommen war. Und nun hatte er vor 41 000 begeisterten Bremern das Tor des Abends geschossen, in einem Spiel, in dem es intensiv zuging und in dem Werder mal klar überlegen und mal in ziemlichen Schwierigkeiten war.
War das wirklich das Duell zwischen dem Tabellen-15. der Liga und einem ambitionierten Champions-League-Teilnehmer? Das durfte man sich nach 20 Minuten durchaus fragen, denn diese 20 Minuten hatten wohl zum Besten gehört, was den Zuschauern im Weserstadion zuletzt geboten worden war. Was das fußballerische Niveau anbelangt, sah es attraktiver aus als bei so manchem Spitzenspiel der Liga. Werder setzte den favorisierten Gegner vom Anpfiff weg unter Druck. Werder kombinierte. Werder spielte richtig guten Fußball. Leverkusen war beeindruckt.
Gnabrys Verletzung führt zu Bruch im Spiel
Auf den Flügeln gingen Serge Gnabry und vor allem Izet Hajrovic immer wieder ins Dribbling. Es kamen zwar nicht Torchancen in Hülle und Fülle heraus, es kamen aber genug Szenen heraus, die Anlass für Szenenapplaus boten. Nach 13 Minuten konnte erst recht applaudiert werden, Werder hatte zum verdienten 1:0 getroffen. Wieder hatte sich Hajrovic auf der rechten Seite durchgesetzt, diesmal gegen gleich drei Gegenspieler. Seinen Pass nach innen konnte zwar Ousman Manneh noch nicht umsetzen, er scheiterte am Bayer-Keeper Bernd Leno. Den Nachschuss jedoch brachte Zlatko Junuzovic im Tor unter.
Es war aus Bremer Sicht der Höhepunkt dieser wirklich herausragenden 20 Minuten, doch es folgte eine zweite Halbzeit der ersten Halbzeit, in der sich das Blatt wendete. Zufall oder nicht, es begann quasi mit einer Verletzung von Serge Gnabry. Werders Hochbegabter hatte sich in einem Zweikampf am Rücken wehgetan, es sah nach einer Rückenblockade aus. Er musste behandelt werden, hielt dann zwar noch bis fast zum Pausenpfiff durch, doch es war, als würde jetzt ein anderer Gnabry mitspielen. Kurz vor der Halbzeit musste er sich – gegen Fin Bartels – auswechseln lassen.
Gnabrys Verletzung ging einher mit einem Bruch im Spiel der Bremer. Sie ließen sich einschnüren in ihrer Hälfte, und in dieser Phase wirkte es in der Tat wie das temporeiche und druckvolle Spiel eines Champions-League-Klubs gegen eine Mannschaft mit Problemen beim Verteidigen. Das 1:1 lag zwar nicht in der Luft, aber es passte zu den sich verändernden Kräfteverhältnissen auf dem Platz. Es passte auf jeden Fall zum Defensiv-Problem, das es schon seit Jahren in Bremen gibt. Auch an diesem Herbstabend ließ sich die Null nicht halten im Weserstadion.
Auf der rechten Seite der Leverkusener kam Kevin Kampl in den Genuss, bis zur Grundlinie vordringen und nach innen flanken zu dürfen. Und innen im Bremer Strafraum, da hielten sich zwar genügend Bremer Spieler auf. Bayer-Angreifer Hakan Calhanoglu kam dennoch völlig unbedrängt dazu, zu köpfen. Er hätte sich aussuchen können, in welche Ecke des Tores er den Ball lenkt.
Mannehs Enschlossenheit zahlt sich aus
Wer jedoch zur Pause geglaubt hatte, dass der Favorit den – nun auch noch personell geschwächten – Gegner demnächst vollends beherrschen würde, hatte falsch geglaubt. Werder stemmte sich gegen den unguten Lauf, den das Spiel zum Ende der ersten Halbzeit genommen hatte. Und wurde belohnt. In der 59. Minute schickte Izet Hajrovic aus dem Halbfeld einen Freistoß in den Leverkusener Strafraum. Zlatko Junuzovic verlängerte ihn und hatte dabei das Glück, dass Wendell den Ball so abfälschte, dass er bei Werder-Stürmer Ousman Manneh landete.
Manneh schoss sofort – und seine Entschlossenheit zahlte sich aus. Im vollbesetzten Weserstadion durfte man die erneute Führung bejubeln. Ein Tor, das quasi eine schöne B-Note hatte für die Fans: Im ersten Cheftrainer-Spiel des Alexander Nouri hatte der seit Langem von Nouri geförderte anerkannte Flüchtling Ousman Manneh sein erstes Profi-Tor für Werder erzielt.
Konnten die Gäste, die bereits am Dienstag in der Champions League gegen Tottenham Hotspurs gefordert sind, das Ganze wie schon in der ersten Halbzeit zum Kippen bringen? Konnten sie erst mal nicht. Ein Leverkusener Dauerdruck blieb zunächst aus. Sie schafften zwar eine optische Überlegenheit, sie hatten häufiger den Ball, sie spielten mehr Pässe, von denen auch mehr ankamen. Doch dass der für den verletzten Jaroslav Drobny ins Werder-Tor zurückgekehrte Felix Wiedwald andauernd den Retter spielen musste? Das geschah trotzdem nicht. Werder hielt stand, bis zum Abpfiff.