Ergebnisse können im Fußball eine trügerische Sache sein. Sie sind die einzige Währung, die zählt – und doch können sie das Bild einer Mannschaft verzerren. Bayer Leverkusen etwa startete miserabel in die Bundesliga-Saison. Vier Punkte aus sechs Spielen entsprechen nicht den Ansprüchen des Werkvereins.
Trotzdem war Werder gewarnt, nicht nur aufgrund des Leverkusener 2:0-Siegs gegen Atletico Madrid. Leverkusen scheiterte bislang vor allem an der eigenen Chancenverwertung. Nur die Bayern, Hoffenheim und der SC Freiburg hatten an den ersten Spieltagen mehr Chancen herausgespielt. Das musste Werder-Coach Ole Werner beim Basteln seines Matchplans berücksichtigen.
Werder leicht defensiver eingestellt
Werner hielt zwar am 5-3-2-System fest. Er stellte mit Ilia Gruev jedoch einen defensiveren Spieler neben Romano Schmid. Gruev übernahm zwar taktisch die Rolle, die sonst Leonardo Bittencourt ausfüllt. Er wich im Offensivspiel auf die Seite aus und nahm bei gegnerischen Ballbesitz einen Sechser in Manndeckung. Allerdings rückte Gruev dabei nicht zu aggressiv heraus.
Somit spielte Werder keine so konsequente Manndeckung wie in den vergangenen Partien. Zwar bildeten sich noch immer Pärchen auf dem ganzen Feld. Schmid und Gruev nahmen die gegnerische Doppelsechs auf, Christian Groß bewachte den gegnerischen Zehner. Auf den Flügeln rückten die Bremer Außenverteidiger heraus.
Allerdings deckte Werder nicht auf dem ganzen Feld durch. Das lag auch an der Leverkusener Aufstellung. Sie versuchten zwar, Werder in die eigene Hälfte zu locken. Dazu hielt sich die Leverkusener Viererkette zurück. Auch Robert Andrich ließ sich immer wieder fallen, um das Spiel aus der eigenen Hälfte zu gestalten. Werder ließ sich jedoch nicht locken. Erst im Mittelfeld suchte Bremen den Zugriff.
Bayer und die doppelte Flügelbesetzung
So entstand in der ersten Halbzeit das klassische Muster „Außenseiter gegen Favorit“: Werder lauerte auf Konter, während Leverkusen rund 55% Ballbesitz sammelte. Dass sie nicht mehr erhielten, hatte zweierlei Gründe: Zum einen wagte Leverkusen kein allzu riskantes Pressing. Auch Werders Abwehr konnte den Ball immer wieder zirkulieren lassen.
Zum anderen spielten die Leverkusener selbst recht schnörkellos nach vorne. Mit ihrem breit angelegten 4-2-3-1 versuchten sie, Werders Außenverteidiger auf den Flügeln festzupinnen. Moussa Diaby und Jeremie Frimpong hielten ihre Positionen auf den Außen. Anthony Jung und Mitchell Weiser mussten tief bleiben, um sie zu decken.
Im Zentrum wiederum zeigte sich Leverkusen beweglich. Hier ließen sich die Stürmer immer wieder fallen, um sich vor Werders Abwehr anzubieten. Werders Verteidiger rückten konsequent mit. Das funktionierte größtenteils gut, provozierte aber auch einige Male Lücken. Gerade wenn Weiser auf rechts doch einmal herausrückte, stand die Abwehr in der letzten Linie zu offen. Leverkusen bespielte diese Lücken sehr konsequent und kam somit immer wieder zu Torabschlüssen.
Die Werkself spekuliert auf Gegenkonter
Trotzdem erhielt Bayer nie die komplette Kontrolle über das Geschehen. Das war auch ein wenig ihr Kalkül: Bayer-Coach Gerardo Seoane möchte schnelle Spiele provozieren, bei denen Leverkusen das eigene Tempo ausspielen kann. So sprinteten Leverkusens vier vordere Akteure nach einem Ballverlust nicht zurück, sondern verblieben in vorderster Linie. Bayer spekulierte darauf, einen Gegenkonter zu starten, falls der Bremer Konter scheitert.
Diesen Gefallen tat ihnen Werder nicht. Die Bremer spielten die eigenen Angriffe konsequent zu Ende. Sie wagten häufiger als zuletzt den Fernschuss, sodass der Ball nicht im Spiel blieb. Vor allem aber spielte Werder nach Ballgewinnen konsequent nach vorne. Dazu scheuten die Verteidiger auch nicht den langen Ball. Niclas Füllkrug hielt diese langen Bälle gewohnt stark. Selbst wenn Werder dann den Ball verlor, geschah dies weit in der Leverkusener Hälfte.
So entstand ein Spiel, in dem beide Mannschaften ihre Möglichkeiten bekamen. Werder kreierte einige Großchancen nach Kontern, während Leverkusen im eigenen Spielaufbau punktete. Am Ende gaben beide Teams 19 Torschüsse ab. Für Werder war dies der Höchstwert der aktuellen Saison, für Leverkusen der zweithöchste.
Offensive Wechsel machen sich bezahlt
Das Tempo blieb über die gesamte Spielzeit hoch. Nur in einer Phase veränderte sich die Dynamik des Spiels. Nach dem Führungstreffer zog sich Leverkusen etwas zurück. Es folgte die einzige Phase des Spiels, in der Werder mehr Ballbesitz als der Gegner hatte. Werner unterstützte die Aufholjagd, indem er offensiv wechselte: Lee Buchanan (69., für Jung) schob auf links weiter nach vorne, Oliver Burke (69., für Groß) brachte Tiefe ins Spiel. Ducksch agierte fortan aus einer tieferen Rolle. Ein Standard-Tor durch Milos Veljkovic (82.) besorgte den verdienten Ausgleich.
Werder hielt gegen eins der offensivsten Teams der Liga mit. Zwar konnte Werder gegnerische Chancen nicht komplett verhindern. Dazu waren Leverkusens Angriffe zu ausgefeilt. Dafür blieb Werder aber selbst ständig auf dem Sprung und spielte Konter stark aus. Manchmal mögen Ergebnisse im Fußball trügen. Dieses 1:1 hingegen spiegelt den Spielverlauf wider.