Frank Baumann wirkt ganz entspannt, von Abschiedsschmerz keine Spur. Dabei sind die Tage gezählt, bis er den SV Werder Bremen nach fast 25 Jahren verlässt. Anfang Juni wird der Geschäftsführer Fußball sein Büro im Weserstadion räumen, um einfach mal eine Pause zu machen. Vorher nimmt sich der 48-Jährige aber noch mal viel Zeit für ein ausführliches Interview mit unserer Deichstube und spricht dabei zum Beispiel über die Weltherrschaft, eine Massagebank und schlaflose Nächte.
Herr Baumann, Sie haben 2019 einmal die „Weltherrschaft“ mit Werder angestrebt. Wie lange dauert es noch, bis es so weit ist?
Das war damals wahrscheinlich eine komische Frage, auf die ich dann auch irgendwie komisch antworten musste, oder?
Das stimmt. Sie machen gerne mal solche Späße, aber sonst eher intern. Was glauben Sie, haben die Menschen draußen für ein Bild von Ihnen?
Sie können ja nur ein öffentliches Bild haben, das in erster Linie durch die Berichterstattung über Werder zustande kommt. Ich habe aber immer versucht, authentisch zu sein. Als Spieler oder später auch als Geschäftsführer ist man natürlich immer etwas vorsichtiger in seinen Äußerungen bei gewissen Themen, und sicherlich gibt es einen privaten und einen öffentlichen Frank Baumann, die nicht zu 100 Prozent identisch sind.
Double-Kapitän, Ehrenspielführer, Geschäftsführer, Investor, 25 Jahre im Klub – kaum einer hat den SV Werder so geprägt wie Sie. Was macht das mit Ihnen?
Es gibt viele Personen, die Werder noch ganz anders geprägt haben und über Jahrzehnte in führenden Positionen waren. Das war bei mir nicht der Fall. Acht Jahre als Geschäftsführer sind aber sicherlich eine Zeit, in der man etwas gestalten und gewisse Dinge entscheiden kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Es gab viele tolle Momente, die mir Werder geschenkt hat, und ebenso tolle Menschen, die ich kennenlernen durfte.
Wo haben Sie sich bei Werder am wohlsten gefühlt?
Da würde ich die Spielerzeit wählen, weil es der Ursprung von dem war, was kommen sollte und ich damals endgültig mein Hobby zum Beruf machen konnte.
Gibt es einen Ort, an dem Sie besonders gerne waren?
Thomas Schaaf würde wahrscheinlich die Massagebank nennen. Jeden Tag kam er rein und sagte: Jetzt liegt der schon wieder auf der Bank.
Weil Sie es so mochten oder weil Sie es brauchten?
Beides. Der Körper ist nun einmal das Kapital der Spieler. Ich hatte aber auch immer ein paar Baustellen. Ansonsten liebe ich auch den Rasen, die Kabine war mir immer wichtig und das Stadion an Spieltagen sowieso.
Wer hat Sie in den 25 Jahren am meisten geprägt?
Als Spieler war es definitiv Thomas Schaaf. Er war der entscheidende Grund, warum ich damals zu Werder gekommen bin. In der Zeit danach waren es Klaus Allofs und Klaus Filbry, mit denen es eine sehr enge Zusammenarbeit gab.
In Ihrer Zeit als Spieler war Werder lange Zeit ein Topklub, holte Titel, spielte europäisch. Als Geschäftsführer ging es für den Verein eher ums sportliche und finanzielle Überleben. Wie haben Sie diese Diskrepanz als ehrgeiziger Ex-Profi ertragen?
Ich habe ja auch andere Zeiten erlebt. Und wenn man Werder bundesligahistorisch verfolgt hat, dann weiß man, dass der Verein nicht immer nur an der Spitze mitgespielt hat. Eigentlich gab es nur zwei wirkliche Ausnahmen: die Otto-Rehhagel-Zeit und die Thomas-Schaaf-Zeit. Das richtig einordnen zu können, war für mich nie eine Schwierigkeit.
Werder hat die aktuellen sportlichen Ziele erreicht, steht finanziell wieder ordentlich da. Mit dem Perfektionismus im Fußball ist das ja so eine Sache. Trotzdem: Wie ideal ist der Zeitpunkt für Ihren Abschied?
Den idealen Zeitpunkt gibt es wahrscheinlich tatsächlich nicht. Ich bin 2016 Geschäftsführer geworden, als die wirtschaftliche Situation extrem schwierig war und die Mannschaft dabei war zu zerfallen. In sechs der acht folgenden Jahre haben wir unsere sportlichen und wirtschaftlichen Ziele erreicht, in zweien – nämlich im Relegations- und im Abstiegsjahr während der Corona-Pandemie – war das definitiv nicht der Fall. Seit dem Abstieg können wir mit der Entwicklung aber wieder zufrieden sein, eben weil wir ein gutes finanzielles Fundament besitzen und sportlich den nächsten Schritt gemacht haben.
Ihr Vertrag läuft offiziell am 30. Juni aus, was werden Sie am 1. Juli machen?
Ich werde wahrscheinlich schon in der ersten Juni-Woche meinen letzten Arbeitstag hier haben. Danach wird es dann erst einmal darum gehen, Urlaub zu machen und Zeit für die Familie sowie andere schöne Dinge zu haben.
Wie viel Druck wird von Ihren abfallen?
Es wird sicherlich eine ganz andere Situation, weil mein Körper komplett anders konstituiert ist, man einen anderen Tagesablauf mit viel Verantwortung hat. Ich denke aber, dass ich mich schnell daran gewöhnen werde, die Füße auch mal hochzulegen.
Ist die Situation mit 2009 vergleichbar, als das Kapitel als Spieler für Sie endete und sich der bisherige Alltag komplett veränderte?
Es dürfte eher mit 2015 vergleichbar sein, als ich zwar nicht in der ersten Reihe diese Verantwortung hatte, aber ein ähnliches Pensum von der Arbeitsbelastung her gegangen bin. 2009 wusste ich zwar, dass ein neuer Abschnitt kommt, aber auch, dass es schon am 1. Januar 2010 bei Werder in anderer Form weitergeht.
Ganz simpel gefragt: Wie geht es Ihnen eigentlich? Ist das jetzt auch der Moment, an dem Sie sagen, dass Sie unbedingt aufhören müssen?
Nein. Ich bin nicht überlastet oder ausgebrannt. Ich hätte den Job auch noch weiter ausführen können. Mir war aber immer wichtig, selbstbestimmt zu gehen, einen guten Zeitpunkt zu erwischen und gar nicht erst in die Situation zu kommen, dass man den Absprung verpasst. Auch als Spieler war das bei mir schon so.
Können Sie überhaupt ohne Handy leben, was machen Sie jetzt damit?
Eines gebe ich demnächst ja ab, denn ich kann auf jeden Fall ohne das zweite berufliche Werder-Handy leben.
Aber die Kontakte nehmen Sie mit…
Nicht alle.
Wer läuft denn bald ins Leere? Alle Berater?
Einige werden sicherlich in den Kontakten bleiben. Die Journalisten der Deichstube nehme ich auch mit – aber ihr braucht trotzdem nicht anzurufen.
Darf Ihr Nachfolger Clemens Fritz Sie denn anrufen, falls er einen Rat benötigt?
Ich glaube nicht, dass Clemens meine Ratschläge braucht. Wenn er aber doch einmal eine Meinung haben möchte, die er in seine Entscheidung einfließen lassen möchte, dann kann er mich natürlich jederzeit anrufen.
Wo werden Sie künftig Ihren Lebensmittelpunkt haben?
In den nächsten Monaten wird es Bremen bleiben, danach könnte es dann aber schon sein, dass wir als Familie auch mal woanders hingehen – ganz unabhängig von der beruflichen Situation.
Gibt es etwas, was Sie unbedingt mal machen wollen?
Ich möchte wieder etwas mehr Sport treiben. Bei der letzten Auszeit 2015 war ich in einem ähnlichen Fitnesszustand – also katastrophal. Ich wollte dann einen Marathon laufen, was ich damals nach drei Monaten auch getan habe. Es wird jetzt mit Sicherheit ein anderes Ziel geben, das aber noch nicht definiert ist. Aber es ist auch einfach schön, Zeit zu haben, um ganz spontan an den Wochenenden zu sagen, dass wir mal hier oder dorthin fahren.
Welche Rolle soll der Fußball künftig in Ihrem Leben spielen?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich werde bei der EM sicherlich Spiele schauen, aber nur als Fan. Im ersten halben Jahr werde ich auch nicht im Weserstadion auftauchen, die Spiele aber trotzdem verfolgen. Ob ich selbst noch einmal etwas im Fußball mache, das kann sein. Ich will da nichts ausschließen. Ich habe mich damit aber noch überhaupt nicht beschäftigt.
Sie sind Teil der regionalen Investorengruppe, die Werder-Anteile gekauft hat. Was erwarten Sie von Ihrem Invest?
Wir sind alle angetreten, um Werder ein stückweit etwas zurückzugeben und dabei zu helfen, dass der Verein in den nächsten Jahren sportlich erfolgreich sein kann. Wir haben mit unserer zusammengetragenen Summe ausgedrückt, dass wir den handelnden Personen vertrauen – nun geht es darum, diese auch handeln zu lassen.
Wo sehen Sie Werders Platz im deutschen und internationalen Fußball?
Im deutschen Fußball haben wir uns mit unseren Mitteln langsam ins mittlere Drittel der Tabelle fortbewegt. Das ist aber alles nur eine Momentaufnahme. In den letzten Jahren hat man schon gesehen, dass die Tabelle auch immer ein finanzielles Cluster der Liga abbildet. Es gibt aber auch immer ein, zwei Ausreißer nach oben, wie zum Beispiel den VfB Stuttgart oder vorher Union Berlin. Und deswegen gibt es natürlich immer die Hoffnung, dass man auch mal überperformt – aber auch die Demut, dass man aufpassen muss, falls man in einen Negativstrudel gerät. Wir haben aktuell die Möglichkeiten, dass der Kader im mittleren Bereich mitspielt, alles andere muss man dann auch mal mitnehmen, wenn man die Chance dazu hat.
Sie haben gerade durch den Abstieg sehr düstere Zeiten bei Werder erlebt, mit Anfeindungen gegen sich und Ihre Familie. Wie knapp war es damals wirklich, dass Sie Werder verlassen?
Als Teil des Profifußballs war es nicht überraschend, dass Kritik aufkommt, wenn man entweder in der Relegation spielt oder absteigt. Es waren Situationen, die für mich und gerade meine Familie nicht angenehm waren. Wir haben dennoch gesagt, dass es noch ertragbar ist. Und wie gesagt: Ich hatte immer den Anspruch, in einer guten Situation zu gehen.
Sie waren da finanziell längst unabhängig, warum haben Sie sich das trotzdem angetan?
Weil ich es stets als reizvolle Aufgabe und Verpflichtung angesehen habe, der Verantwortung gerecht zu werden und nicht in schlechten Zeiten wegzulaufen. Ich habe immer geschaut, was es braucht, um wieder erfolgreich zu werden und das ganze Konstrukt auf gesündere Füße zu stellen. Natürlich war der Abstieg nach 41 Jahren ein Einschnitt, aber ich wusste, dass es sportlich weitergehen kann. Als wir damals wirtschaftlich nicht wussten, ob wir in die Insolvenz gehen, das war deutlich dramatischer und schwieriger als eine Relegation oder ein Abstieg.
Gab es da auch schlaflose Nächte?
Ja, natürlich. Das lässt einen ja nicht kalt. Ich habe nachts oft überlegt, was die richtigen Hebel sind, um sie in Bewegung zu setzen.
Waren Sie damals bei Transfers noch angespannter als sonst, weil nun wirklich nichts mehr schiefgehen durfte?
Bei eingehenden Angeboten war die Abwägung schon schwierig, ob man es nun annimmt oder möglicherweise noch weiter ausreizen kann. Das gesamtwirtschaftliche Überleben stand eben auf dem Spiel. Auch Neuverpflichtungen sind da schwerwiegende Entscheidungen, weil es fast immer um Millionensummen geht. Es ist ja auch nicht das eigene Geld. Trotzdem habe ich immer versucht, so zu entscheiden, als wäre es mein eigenes Geld. Ich wollte es nicht einfach raushauen, sondern genauestens überprüfen, wie weit wir in den Verhandlungen gehen konnten.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Die tägliche Fahrt zum Stadion und genau dort arbeiten zu dürfen. Und natürlich werden mir die Mitarbeiter fehlen, denen man hier über Jahre oder sogar die ganze Zeit begegnet ist. Wir hatten schöne Momente, sind aber auch gemeinsam durch die schweren Momente gegangen. Das werde ich natürlich vermissen. Bei diesem weinenden Auge ist das lachende Auge aber mindestens genauso groß, dass ich mein Leben nun selbstbestimmt leben kann.