Fußballprofis erzählen zwar gerne, dass sie nicht nachschauen, welche Note sie fürs Spiel bekommen haben. Oder dass sie die ganzen Statistiken und Einstufungen nicht so wichtig nehmen. Aber das stimmt natürlich nicht. Das zeigt sich schon daran, wie oft wütende Spielerberater in den Redaktionen anrufen, weil ihnen die Note für ihren Klienten nicht gefallen hat (früher machten die Spieler das noch selbst). Daraus können sich unschöne Streitgespräche entwickeln, zumal die Interessen ziemlich unterschiedlich sind: Der Sportredakteur wird für seine neutrale Einschätzung bezahlt, was seine Leser schätzen; der Spielerberater oder der Profi hingegen können viel mehr verdienen, wenn die Bewertungen besser sind.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Der Sportchef einer großen Regionalzeitung im Rheinland beendete so eine nervige Streiterei mit einem Manager am Telefon mal mit dem legendären Satz: „Ich stelle Sie jetzt mal zu unserer Pförtnerin durch, dann können Sie der das erzählen.“ Das war nicht böse gemeint, aber damit war das Feilschen um bessere Noten für einen Spieler des örtlichen Bundesligisten beendet.
Im Umfeld von Werder Bremen bleiben solche Anrufe jetzt aus. Der 4:1-Triumph im Spitzenspiel beim FC Schalke 04 wurde bundesweit positiv bewertet. Es gibt übrigens Vereine, da müssen die Spieler in die Mannschaftskasse einzahlen, wenn sie besonders gut abgeschnitten haben – zum Beispiel, weil sie in die „Elf des Tages“ im Fachmagazin „Kicker“ berufen wurden.
Bei Werder würde das für einen kleinen Mannschaftsabend reichen: Sechs Bremer Spieler stehen in der „Elf des Tages“ vom 31. Spieltag, das ist mehr als die halbe Mannschaft und zeigt, wie herausragend die Leistung war. Mitchell Weiser wurde ebenso nominiert wie Marco Friedl, Ilia Gruev, Leonardo Bittencourt, Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug. Eine solche Dominanz eines Vereins in der „Elf des Tages“ ist selten, schließlich stehen hier immer mehr als 200 eingesetzte Spieler zu Auswahl.
Viele Erinnerungen an große Spiele
Es sind also glückliche Tage für die Spieler nach diesem furiosen Sprung an die Tabellenspitze. Wenn Werder tatsächlich aufsteigt, was nun realistischer ist als je zuvor, dann werden sich auch viele Fans noch lange an dieses 4:1 auf Schalke erinnern. Es könnte ein Meilenstein auf dem Weg in eine bessere Zukunft gewesen sein. Gerade in Bremen liebt man die Erinnerung an magische Werder-Spiele, und je nach Alter hat jeder seine Favoriten. Der entscheidende Sieg in München bei der Meisterschaft 2004? Oder das Pokalfinale samt Elfmeterschießen gegen die Bayern 1999? Eines der „Wunder von der Weser“ im Europapokal? Vielleicht der 1:0-Sieg durch ein Tor in der 88. Minute im Abstiegskrimi 2016 gegen Frankfurt?
Klar, es stimmt schon: Die Anlässe für grenzenlosen grün-weißen Jubel wurden im Laufe der Jahre kleiner bei Werder. Aus international wurde national, aus der Meisterschaft wurde der Klassenerhalt, inzwischen geht es um den Aufstieg in der zweiten Liga. Aber das lag nur am Verein und seinen Spielern, es lag nie an den vielen Leuten in der Stadt und der Region, die Werder Bremen leben und lieben. Deren Leidenschaft ist ungebrochen, sie wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Drei Wochen vor Saisonende hören die jüngeren Werder-Fans nun erstmals von einem Rathausbalkon, an dem man mit der Mannschaft vielleicht etwas feiern könnte. Das wären spektakuläre Bilder und große Emotionen, wenn der Marktplatz endlich mal wieder geflutet wäre mit glücklichen Werder-Anhängern.
Die Fans hätten das nach schwierigen Jahren verdient. Erst der zermürbende Abstiegskampf, dann die Entfremdung in der Pandemie – und doch war die Unterstützung sofort wieder da, als sie gebraucht wurde: Vor dem Derbysieg beim HSV, in der ausverkauften Schalker Arena, auch im Heimspiel gegen Nürnberg, als die Zuschauer trotz des 1:1 wieder ein feines Gefühl dafür entwickelten, dass diese Mannschaft Unterstützung braucht, eben weil ihr Extrakönner der Kategorie eines Pizarro, Micoud, Rufer oder Kruse fehlen. Diese Stars verzückten das Publikum, die heutigen Spieler brauchen es.
Auch wenn es die Profis sind, die gute Noten bekommen und die im besten Fall als Aufsteiger in die Geschichte eingehen: Werders Fans haben schon jetzt die Note 1 für die bedingungslose Unterstützung in dieser Zweitligasaison verdient. Der langjährige Bremer Oliver Reck sagte diese Woche einen schönen Satz: „Werder bekommt seit Jahren eine außergewöhnliche Unterstützung von den Fans, obwohl es nicht viel zu feiern gab – deshalb gehört allein schon dieses Publikum wieder in die Bundesliga.“ Jetzt liegt es an den Spielern, diese Fans im wahrsten Sinne des Wortes wieder zu einem erstklassigen Publikum zu machen.