Herr Steffen, von Ihnen ist bekannt, dass Ihnen Werte wie Anstand, Höflichkeit und Respekt sehr wichtig sind. Schreiben Sie auch Autogramme, wenn bei der Frage danach mal das „Bitte“ fehlt?
Ja, das mache ich. Ich sehe mich nicht als Erzieher für andere. Ich achte für mich auf diese Werte und möchte sie vorleben, aber auch mir gelingt das nicht immer. Deswegen halte ich mich mit Ratschlägen an andere zurück. Das ist bei den Werder-Fans, die ich bisher kennenlernen durfte, aber auch gar nicht nötig. Die Menschen sind sehr zurückhaltend, höflich und dankbar für ein Autogramm oder Selfie. Die Freude, die sie ausdrücken, nehme ich als sehr angenehm wahr.
Sie stehen nicht nur während der Tage im Zillertal, sondern generell stark im Fokus der Öffentlichkeit, seit Sie das Traineramt bei Werder übernommen haben. Wie groß ist der Unterschied zur vorherigen Station in Elversberg?
Sehr groß, eindeutig. Das spüre ich aber nicht nur in Sachen Aufmerksamkeit, sondern in allen Themen. Werder ist ein großer Verein mit viel Tradition. Da ist es klar, dass mehr über die Mannschaft und auch den Trainer berichtet wird. Ich bekomme regelmäßig einen Pressespiegel, damit mir bekannt ist, was geschrieben wird. Den gab es in Elversberg nicht.
Wie viele Artikel lesen Sie?
Natürlich nicht alle, das wäre kaum zu schaffen. Es geht eher um die Themenlage. Es gibt Artikel, über die ich nur schnell drüber fliege, andere lese ich dafür ganz genau. Ich möchte wissen, welches Bild von uns nach außen transportiert wird und ob es in meinen Augen richtig oder etwas falsch ist.
Unser Gespräch ist Teil eines wahren Interviewmarathons, der Termine mit diversen Medien vorsieht. Eine neue Erfahrung für Sie?
Ja, dass ich einen ganzen Nachmittag lang bis in den Abend hinein Interviews gebe, ist neu. Das kannte ich in der Form noch nicht. Da hilft viel Wassertrinken zwischendurch, aber ich kann auch so ganz gut sprechen, das haben Sie glaube ich auch schon gemerkt.
Gibt es trotzdem Momente, in denen Ihnen der Rummel zu viel wird?
Wenn ich nach Hause gehe, habe ich ja meine Ruhe. Danach geht es weiter. Mir bereitet meine Arbeit große Freude, und da gehören jetzt nun mal mehr Medienarbeit und Sponsorentermine dazu. Ich bin froh, dass ich ein Trainerteam habe, das mir den Rücken freihält. Ein Stück weit ist es wie eine Verlagerung der Arbeit.
Wie gehen Sie generell mit dem Star-Kult im Profifußball um, in dem viele Spieler durch die Sozialen Medien längst zu eigenen Marken geworden sind?
Also erstmal versuche ich, meine Spieler wie ganz normale Menschen zu behandeln. Ob jetzt einer als Star gilt oder gerade eher wenig Spielzeit hat, ändert an meiner Umgangsweise mit ihm nichts. Dass sich die Welt verändert hat, was die Aufmerksamkeit angeht, die die Jungs aus dem Umfeld erfahren, ist klar. Da können wir aber weit zurückgehen. Jede Generation wird denken: „So wie wir waren, war es super. Was ist denn heute los?“ Dafür können die Jüngeren aber nichts.

Horst Steffen während des Testspiels gegen Parma.
Sind Sie selbst bei Instagram, Facebook und Co. zu finden?
Vor zwei, drei Jahren hat meine Tochter zu mir gesagt: „Du musst auf Insta sein!“ Ich habe das mal ausprobiert. Seitdem bin ich da angemeldet, aber das war’s dann auch. Mir zu folgen, lohnt sich also nicht. Ich poste da nichts. Dazu fehlt mir die Zeit. Für mich sind Soziale Medien Minuten-Räuber.
In Elversberg sind Ihnen die Herzen regelrecht zugeflogen, gefühlt waren Sie beinahe ein Heiliger. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, das alles aufzugeben?
Es ist mir sehr schwergefallen, weil ich wusste, dass ich Menschen enttäuschen werde. Das ist nicht gerade meine Lieblingsdisziplin. Ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass andere Menschen traurig sind. Und trotzdem muss ich zu mir selbst und meinen Überzeugungen stehen. Es war einfach an der Zeit, etwas Neues zu machen. Die Herausforderung bei Werder hat mich unglaublich gereizt, sodass ich Elversberg auf Wiedersehen sagen musste, obwohl mein Herz noch am Verein hängt. Die Menschen fanden gut, was wir auf dem Platz gezeigt haben, was dazu geführt hat, dass sie auch mich gut fanden und mich gefeiert haben. Das war sehr angenehm, ohne dass ich das Bedürfnis hätte, dass es so sein muss. Ich fühle mich grundsätzlich gut mit dem, was ich mache, auch mit meinen Fehlern und trage ein Grundgefühl von Zufriedenheit in mir, ohne dass ich dafür Bestätigung brauche.
Sie sind bis vor Kurzem mit Ihrer alten Mannschaft zum Teil in Kleinbussen zum Training gefahren, für Krafteinheiten ging es in Fitnessstudios irgendwo in der Stadt. Sind die Bedingungen bei Werder jetzt der pure Luxus für Sie?
Es ist auf jeden Fall viel bequemer und komfortabler. Und trotzdem: Ich habe den Jungs in Elversberg immer gesagt, dass es in erster Linie um das Miteinander geht und darum, wie wir als Mannschaft auf dem Platz arbeiten. Und eben nicht darum, wie gut unsere Bedingungen sind. Manchmal führen Dinge, die einem abgenommen werden, auch zu Bequemlichkeit. Das darf nie passieren! Es ist vollkommen in Ordnung, dass die Jungs in bestimmten Bereichen Erleichterungen erfahren, aber wer bequem wird, bekommt es mit mir zu tun. Bequemlichkeit kann ich nicht tolerieren.
Wenn wir beim Thema sind: Was gönnen Sie sich persönlich? Haben Sie eine Sammelleidenschaft, sind Sie ein Genussmensch, ein Theatergänger?
Eis ist schon ein großes Thema bei mir (lacht). Ich habe es schon reduziert, aber wenn zu Hause gefeiert wird, ist in der Regel das Tiefkühlfach voll. Vanille-Eis mit ein bisschen was drauf oder Joghurt-Eis, das sind schon Sachen, bei denen ich schwach werden kann. Ich trinke auch gerne einen guten Espresso oder Cappuccino. Ansonsten gönne ich mir die Natur. Wenn ich merke, dass ich es gerade gebrauchen kann, gehe ich raus, höre ein bisschen Musik oder auch mal gar nichts.
Klassik? Rock? Was kommt bei Ihnen aus den Kopfhörern?
Alles! Ich mache mir immer eine Jahres-Playlist, und die ist gespickt mit vielen Emotionen. Manchmal ist es eine Filmmusik, die mich an einen Film erinnert, den wir vielleicht mal geschaut haben. Auch von den Liedern, die die Mannschaft zum Feiern hört und die mir vorher überhaupt nichts gesagt haben, nehme ich manchmal das eine oder andere mit auf. Ich bin da wirklich querbeet unterwegs. Klassik und Heavy Metal eher weniger, aber es kann auch mal Trance sein. Und natürlich die Heroen von damals: Bruce Springsteen, Grönemeyer und Marillion, meine Lieblingsband.
Sie wirken enorm nahbar, präsentieren sich sehr menschlich. Woher kommt das?
Ich habe ein Naturell, das dem entspricht. Und eine Leidenszeit, die hinter mir liegt und mich stark geprägt hat. Als Spieler hatte ich einen Überehrgeiz. Nach jedem Spiel, bei dem ich gefehlt habe, dachte ich: Jetzt geht die Welt unter! Das hat zu Verletzungen geführt, die lange gedauert haben. Ich hatte viele Operationen. Ich wollte so sehr Bundesligaspieler sein! Nach Niederlagen habe ich geheult, und wenn ich einen Fehler gemacht hatte, hat mich das tagelang malträtiert. Das waren Erfahrungen, die mir irgendwann gezeigt haben, dass es so nicht richtig sein kann.

Horst Steffen spricht gut gelaunt mit den Medien.
Wie haben Sie das in den Griff bekommen?
Indem ich an mir gearbeitet habe. Durch Meditation habe ich meine innere Ruhe gefunden. Heute bin ich mit mir im Reinen und mir selbst gegenüber viel gnädiger geworden. Ich muss nichts mehr erreichen, um mir auf die Schulter klopfen zu können. Ich empfinde mich als guten Typen so wie ich bin, mit allen Fehlern – egal, ob ich erfolgreich bin oder nicht.
Geben Sie solche Erfahrungen an Ihre Spieler weiter?
Ich präsentiere nicht ständig meinen Lebensweg, und trotzdem ist es manchmal hilfreich, weil ich gewisse Dinge durch die eigene Karriere nachvollziehen kann. Auch wenn meine aktive Zeit inzwischen schon etwas länger zurückliegt, weiß ich, wovon ich rede. Mir kann kein Spieler sagen, dass es nicht möglich ist, seinen Teamkollegen bei der Auswechslung abzuklatschen.
Sie haben Sozialversicherungsfachangestellter und Heilpraktiker gelernt. Können Sie davon als Trainer in irgendeiner Weise profitieren?
Nein, gar nicht. Es waren gute Ausbildungen. Heilpraktiker war meine Alternative, falls es mit dem Trainerjob nicht funktioniert. Eine Garantie dafür gab es ja nicht, auch wenn ich die Überzeugung hatte, dass ich es schaffen kann. Irgendwann rief der MSV Duisburg an und hat mir angeboten, die zweite Mannschaft zu übernehmen. Das war mein Einstieg.
Sie haben vier Kinder und vier Enkelkinder – mussten Sie als Opa schon Werder-Trikots besorgen?
Da ist meine Familie schon selbst ganz gut unterwegs. Es ist eine große Werder-Fangemeinde dazugekommen, da fiebern bei uns alle mit. Bei uns wird schon fleißig geplant: „Ach, wenn ihr da spielt, dann können wir da hinkommen, und dieses Spiel würden wir auch gerne sehen.“
Helfen Ihnen Ihre 207 Bundesligaspiele dabei, sich in der ersten Liga nun erstmals auch als Trainer zurechtzufinden, oder hat sich in der Zwischenzeit zu viel verändert?
Die Zeiten sind nicht mehr vergleichbar, was etwa den Umgang der Spieler untereinander angeht, die Medien und was noch alles dazugehört. Das Spiel ist noch das gleiche, aber das ganze Drumherum hat sich verändert.
Werder hat schon einmal einen Trainer verpflichtet, der früher beim SC Kapellen-Erft an der Seitenlinie stand: Markus Anfang. Eine große Liebe wurde es nicht. Warum läuft es mit Ihnen besser?
Weil wir unterschiedlich sind, die Zeit eine andere ist und eine Parallele allein nicht reicht, um einen Zusammenhang herzustellen. Ich möchte gute Arbeit leisten und hoffe, dass die von Erfolg gekrönt ist. Die Vorbereitung läuft gut an, aber später in den Meisterschaftsspielen geht es um die Punkte – und die wollen wir holen. Es kann jeder davon ausgehen, dass ich mich und unsere Arbeit immer wieder überprüfe und versuche, das Beste für den Verein herauszuholen.
Unter Ihrem Vorgänger Ole Werner hat der Verein einen erfolgreichen Weg eingeschlagen. Inwieweit können Sie darauf aufbauen?
Ole hat gute Arbeit geleistet, und jetzt versuche ich, meine Art des Spiels herüberzubringen. Wenn man Manchester City und den FC Liverpool betrachtet, dann gibt es unterschiedliche Wege, um guten Fußball zu spielen. Die Spieler sind jetzt erst einmal neugierig auf alles Neue, aber irgendwann wird auch das zur Gewohnheit werden. Deshalb gilt: Die Zeit mit Ole Werner war schön und gut, aber jetzt kommt die Zeit mit Horst Steffen und seinem Trainerteam – und die wird auch schön.
Spüren Sie eine Form von Bringschuld?
Nein, überhaupt nicht. Ich trage den Grundsatz in mir, immer meine beste Leistung zu bringen – ganz unabhängig davon, was vorher war. Ich mag auch das Wort „Schuld“, das in „Bringschuld“ beinhaltet ist, nicht. Wir sind verantwortlich für unser Leben und unsere Handlungen, und dafür übernehme ich die volle Verantwortung. Dann weiß ich, dass es zu Entscheidungen führt, zu denen ich stehen kann.
Es heißt, Sie haben bei Werder neue Alltagsregeln eingeführt. Was ist ab sofort vorgegeben, was untersagt?
Ich habe gesagt, dass beim Essen erst aufgestanden wird, wenn alle zu Ende gegessen haben. Und wenn die Spieler beim Physio auf der Liege liegen, sollen sie sich keine Clips auf dem Handy anschauen. Das möchte ich nicht. Jeder Spieler verlangt Wertschätzung und Respekt, das haben sie sich auch verdient, und alle anderen hier auch.
Thomas Schaaf war es, der bei Werder einst den Leitsatz implementiert hat, dass ihm ein 5:4 lieber sei als ein 1:0. Sind Sie in diesem Punkt Brüder im Geiste?
Absolut! Die Leute wollen etwas sehen, deshalb kommen sie ins Stadion. Über ein 1:0 spricht man im Nachgang weniger, als wenn du einen 0:3-Rückstand in einen 4:3-Sieg gedreht hast. Ich will natürlich nicht unbedingt drei Tore kassieren und lege viel Wert auf die Defensive. Das sieht man auch in den bisherigen Trainingseinheiten, denke ich. Aber sobald eine Möglichkeit besteht, nach vorne zu spielen, dann wollen wir auch nach vorne spielen. Ich will Mut und Selbstvertrauen auf dem Platz sehen, ängstlichen Fußball mag ich nicht. Es gibt andere Gründe, um im Leben Angst zu haben, aber nicht den, dass wir möglicherweise ein Fußballspiel verlieren könnten.