Nach dem ersten Abstieg des SV Werder Bremen seit 41 Jahren kreist vor allem eine Frage über dem Weserstadion: Darf Sportchef Frank Baumann weitermachen? Die Antwort kann nur der Aufsichtsrat geben – und war eigentlich für Pfingstmontag erwartet worden. Doch nach Informationen unserer Deichstube gibt es noch keine endgültige Entscheidung des Kontrollgremiums über die Zukunft von Baumann, sondern bislang nur den klaren Auftrag, die Räder am Laufen zu halten: Der Sportchef soll so schnell wie möglich einen neuen Trainer verpflichten und sich um die dringend notwendigen Transfers kümmern. Erst Mitte der Woche, möglicherweise auch ein paar Tage später, will der Aufsichtsrat per Abstimmung für Klarheit sorgen. Die Mehrheit der sechs Mitglieder des Gremiums soll für einen Verbleib von Baumann sein. Dessen Vertrag läuft noch bis zum 30. Juni 2022.
„Meine Überzeugung gegenüber Frank ist nach wie vor vorhanden. Ich halte es aber für wichtig, trotzdem mit der nötigen Besonnenheit und nicht aus der Emotion heraus eine Entscheidung zu treffen. Wir im Aufsichtsrat werden das aber schnellstmöglich tun“, hatte Aufsichtsratschef Marco Bode am Sonntag gesagt. Der Abstieg hat die Beteiligten hart getroffen, die Enttäuschung ist riesengroß. Und natürlich sind Bode und Co. auch die Proteste nach dem Spiel nicht entgangen. „Vorstand raus“ und „Baumann raus“ hatten rund 500 Fans skandiert. Dabei versuchten sie, ins Stadion einzudringen, konnten aber von der Polizei gestoppt werden. Und bei einer nicht repräsentativen Online-Umfrage auf deichstube.de sprachen sich bis Montagabend rund 85 Prozent der Teilnehmer für eine Werder-Zukunft ohne Sportchef Baumann aus.
Darüber will zwar auch der Aufsichtsrat noch mal mit etwas Abstand zum Abstieg diskutieren, aber die Antwort steht aus zwei Gründen eigentlich schon fest. Erstens: Weil die Zweite Liga wesentlich früher als die Bundesliga startet – schon am 23. Juli -, ist der Zeitdruck enorm. Werder braucht nicht nur einen neuen Trainer, sondern auch eine neue Mannschaft, denn parallel sollen die besten Spieler verkauft werden, um die Finanzen in Ordnung zu bringen. Da muss der Verein handlungsfähig sein. Ein Wechsel des Sportchefs könnte in dieser Hinsicht durchaus riskant sein – vor allem, wenn kein Nachfolger sofort bereitsteht. Mit personellen Alternativen zu Baumann wurde sich zwar beschäftigt, aber bislang keine Lösung gefunden. Kandidaten wie Markus Krösche (jetzt Eintracht Frankfurt) oder Rouven Schröder (jetzt Schalke 04) sind schon wieder vom Markt.
Damit wären wir bei Punkt zwei: Der Aufsichtsrat steht im Herbst - vermutlich im September - zur Wahl und möchte so kurz davor keine langfristige Entscheidung treffen. Denn ein neuer Sportchef würde mindestens einen Zwei-, eher einen Drei-Jahres-Vertrag einfordern.
Es wird also sehr wahrscheinlich mit Baumann weitergehen, wenngleich der am Sonntag im Sport1-Doppelpass ausdrücklich betonte: „Ich bin keiner, der an seinem Posten klebt. Wenn der Aufsichtsrat zu der Entscheidung kommt, dass wir eine Veränderung brauchen, dann werden wir im Sinne des Vereins zu einer sehr guten Lösung finden.“ Doch zur Trennung wird es nach Lage der Dinge nicht kommen. Baumann setzt seine Arbeit einfach fort, spricht mit Trainer-Kandidaten und Spieler-Beratern. „Ich habe klare Ideen, wie wir uns aus der Lage befreien können. Ich bin überzeugt, dass ich der Richtige bin für Werder“, hatte Baumann zuvor ungewohnt forsch Werbung in eigener Sache gemacht. Auch die "Bild"-Zeitung berichtete am Montagabend, dass Werder weiterhin an Baumann festhalten wolle. Aufsichtsrats-Chef Marco Bode sowie sein Geschäftsführer-Kollege Klaus Filbry sprachen sich für einen Verbleib des 45-jährigen Ex-Nationalspielers aus. Die Entscheidung fiel nach „Bild“-Informationen bei einer Sitzung des Kontrollgremiums.
Auch seine Geschäftsführer-Kollegen Klaus Filbry und Hubertus Hess-Grunewald müssen keine persönlichen Konsequenzen befürchten. Auf Filbry, der noch einen Vertrag bis 2024 besitzt, will der Aufsichtsrat gerade jetzt nicht verzichten. Der Mann für die Finanzen hat gerade erst die überlebenswichtige Werder-Anleihe auf den Weg gebracht. 20 Millionen Euro will der Club damit einsammeln. Da wäre es ein fatales Zeichen, wenn nun der Vorsitzende der Geschäftsführung seinen Hut nehmen müsste. „Es ist der klare Wunsch des Aufsichtsrates, dass wir die Aufgaben in den kommenden Wochen in der aktuellen Konstellation angehen“, hob Filbry am Sonntag im NDR-Sportclub hervor – noch vor dem endgültigen Votum des Kontrollgremiums.
Bei Hess-Grunewald spielt das ohnehin keine Rolle. Als Vereinspräsident nimmt er eine Sonderrolle ein und kann eigentlich nur von den Mitgliedern aus dem Amt gedrängt werden – und seine Wiederwahl steht erst 2022 auf der Tagesordnung.
Wenn schon niemand gehen muss, bliebe aber noch eine andere Möglichkeit: der freiwillige Rückzug. Doch da ist von allen Seiten stets der Hinweis zu hören, dass sich niemand aus der Verantwortung stehlen will – schon gar nicht nach dem GAU, dem Abstieg in die Zweite Liga. Den hatte Werder vor einem Jahr gerade noch so in der Relegation verhindern können. Damals blieben alle Verantwortlichen im Amt. Nun musste sich zumindest der Trainer verabschieden. Florian Kohfeldt wurde ein Spiel vor Saisonende entlassen. Dessen Nachfolger soll Baumann noch in dieser Woche präsentieren.