Wenn man ehrlich ist, dann ist es an einem schlechten Tag gar nicht so einfach, in der Bundesliga gegen tapfer kämpfende Kieler den Siegtreffer zu erzielen – wenn die Stürmer nicht mehr Füllkrug und Ducksch heißen, sogar nicht einmal mehr Ducksch und Njinmah. Sondern: Oliver Burke und Keke Topp.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Der Traumsturm mit Füllkrug und Ducksch schoss Werder zu Aufstieg und Klassenerhalt, beide wurden Nationalstürmer, Füllkrug sogar Bundesliga-Torschützenkönig. Gegen Kiel begannen Ducksch und Njinmah in der Startelf, neben dem dritten Offensivmann Romano Schmid. Aber sie blieben blass, weil ihnen zu viele Aktionen misslangen (diesmal vor allem Njinmah) und weil sie keine grandiosen Kopfballspieler sind (diesmal vor allem Ducksch). Und so stemmten sich in der Schlussphase des schwachen Werder-Spiels die eingewechselten Topp und Burke gegen den Heimfluch. Topp hatte bis dahin viel damit zu tun gehabt, in der Bundesliga Fuß zu fassen – als Ergänzungsspieler mit einem Saisontor. Burke war bis dahin bemüht, seine Rolle als Profifußballer irgendwie zu retten – mit ein paar Kurzeinsätzen, die sich auf magere 22 Minuten summierten, ohne Treffer in dieser Saison.
Wie beide dann aber gemeinsam das erlösende Tor zum Bremer 2:1-Sieg erzielten, war aus vielen Gründen besonders. Topp flankte von der Seite, obwohl er von seiner Statur und seiner Abschlussstärke her der Zielspieler im Sturmzentrum sein sollte. Es war sogar schon seine dritte gute Flanke seit seiner Einwechslung in der 66. Minute – wenn es nach Leistung geht, hat Topp gegen Kiel mehr Pluspunkte gesammelt als Njinmah. Und dann erzielte Burke ausgerechnet ein Kopfballtor, nachdem Werder zuvor viele Flanken wirkungslos vors Tor geschlagen hatte, wo sich ein Königreich für einen Kopfballspezialisten auftat – nur halt ohne König.
Und es wird noch besser: Burke köpfte den Ball nicht nur lässig ins Tor, weil ihm die Kugel perfekt auf den Kopf gefallen wäre. Nein, der Schotte schraubte sich schon während der Flanke derart in die Höhe, als wäre er der fünfte Flutlichtmast im Weserstadion. Das war stark und lässt vermuten, dass er das eigentlich ziemlich gut kann, bisher aber ziemlich selten zeigte.
Beide Stürmer, Topp und Burke, waren keine Kandidaten für die Startelf, mussten dann aber helfen – weil Werders Plan A nicht funktionierte, vor allem nicht in der zweiten Hälfte. Dann ist es natürlich gut, wenn Ole Werner noch völlig andere Typen einwechseln kann, die unkonventioneller spielen als ihre Kollegen. Weniger gut ist, warum der Plan A nicht hinhauen konnte. Viele Kleinigkeiten stimmten nicht, in der Summe war das schon fast zu viel, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen.
Zum einen sind da die erwähnten Flanken. Immer hoch auf Schmid, das ist inzwischen ein humorvoller Spruch auf den Rängen, weil im Angriffsspiel viel zu oft hohe Bälle den wuseligen, aber eher kleinen Romano Schmid erreichen sollen. Mal sind diese Bälle aus der Not geschlagen, mal ist aber klar, dass an der Stelle nur Schmid steht. Gegen Kiel waren es in der ersten Stunde neun hohe Werder-Flanken, die in den Strafraum flogen. Das Ergebnis: Zwei landeten bei Ducksch und Njinmah, die diese Bälle nicht verwerteten. Eine landete bei Leo Bittencourt, der es nicht besser machte, so wie auch Schmid. Ein Ball kam zu Stage, doch statt den Kopf zu nehmen, probierte er es akrobatisch mit dem Fuß. Drei landeten direkt beim Gegner, eine im Nirgendwo. Das Problem bei diesen Flanken ist nie der Anfang, sondern das Ende. Der erste flache Ball, den der starke Stage in den Strafraum spielte, hätte fast zum 2:0 durch Schmid geführt, das Tor wurde jedoch aberkannt.
Qualität am Ball zu niedrig
Die schwache Flanken-Bilanz ist auch deshalb ärgerlich, weil im Spielaufbau viele Anläufe und Versuche nötig waren, um überhaupt mal eine Chance herauszuspielen. Ob Pässe über 20 Meter, über zehn Meter oder auch nur drei – die Anzahl der Fehlpässe war in allen Bereichen zu hoch, die Qualität mit dem Ball am Fuß zu niedrig. Der Aufbau wirkte dadurch ideenlos bis unbeholfen, erst recht, wenn Spieler mit dem Ball ins Aus rannten. Auch das gab es zu sehen.
An solchen Nachmittagen ist es tatsächlich hilfreicher, die Bälle nach vorne zu schlagen. Doch kaum war der „Brecher“ Topp im Spiel, wurde er mehrmals flach in die Tiefe geschickt – mit Pässen, über die sich der schnellere Njinmah sicher gefreut hätte. Es passte einfach wenig zusammen, bevor es das versöhnliche Ende gab. Niemand wäre Ole Werner böse gewesen, wenn er seine Auswechslungen schon viel früher getätigt hätte.
Die Länderspielpause bietet nun viel Zeit zum Üben. Vielleicht zeigt Burke seinen Kollegen bei der Gelegenheit auch noch mal, was man mit einer guten Flanke alles anstellen kann.