Als Frank Baumann deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte, bekam er das anfangs gar nicht mit. Auf Einladung eines früheren Kicker-Reporters war Baumann in seine fränkische Heimat gereist, um auf einer Burg in heimeliger Atmosphäre über das Leben als Fußballmanager zu philosophieren. Damals, an einem Abend im August 2019, sagte er vor den Gästen auf der Burg eher beiläufig: „Bis 50 möchte ich das noch machen.“

Grün auf weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Eine Nachricht, die sich am nächsten Tag wie ein Lauffeuer verbreitete. Ein Fußball-Manager der Bundesliga, der seinen Abschied ankündigt – das gibt es eben nicht alle Tage. Baumann selbst aber hatte die Wirkung seiner Worte unterschätzt. Als man ihn am nächsten Tag am Handy erreichen konnte, verstand er die Aufregung nicht. „Was soll ich denn Großes gesagt haben?“, bat er um Aufklärung für die vielen Anrufe. Für ihn war das überhaupt keine Nachricht, weil er sich selbst nicht so wichtig nimmt.
Im Jahr 2025, dem Jahr seines 50. Geburtstags, wäre er fast ein Jahrzehnt im Amt – eine solche Epoche mitgestaltet zu haben, findet er bedeutender als den Zeitpunkt, wann seine Arbeit enden wird. Der Gedanke, nicht ewig im Hamsterrad Bundesliga mitzulaufen, war aber ernst gemeint. Unlängst präzisierte er das im Interview mit der Sportbild sogar: „Ich möchte mit spätestens 50 Jahren bei Werder aufhören und werde eine Auszeit nehmen.“
Heute ist Baumann 47. Sein Vertrag als Geschäftsführer Sport endet im Juni 2024. Dann ist er 48. Was seinen Abschiedsfahrplan betrifft, lässt er sich von niemandem in die Karten schauen. Aber: Baumann ist ein Mann mit Prinzipien – und deshalb ist ein Abschied in diesem Sommer 2023 sehr unwahrscheinlich, so verlockend das für ihn auch wäre. Man stelle sich vor, Werder hätte Ende Mai als Aufsteiger souverän die Klasse gehalten (und das ist weiterhin ein realistisches Szenario), dann wäre der Abstieg sportlich endgültig repariert. Mehr noch: Werder stünde mit einem Nationalstürmer Niclas Füllkrug und einem beliebten Trainer Ole Werner gut da, beide holte Baumann nach Bremen.
Dass Füllkrug im Sommer bleibt, ist nur eine vage Hoffnung – es könnte also sein, dass die nächste Saison für Werder sehr viel komplizierter wird. Sich deshalb aber lieber schon in diesem Sommer zu verabschieden, passt eher nicht zu Baumann. Für ihn ist Werder immer wichtiger als sein eigenes Ansehen. Wenn er den Zeitpunkt selbst bestimmen kann, wird er ihn so wählen, dass er ein bestelltes Feld hinterlässt. Seinem potenziellen Nachfolger Clemens Fritz mehr Verantwortung zu übertragen, war in den vergangenen Monaten ein erster Schritt. Im Juli fängt mit Johannes Jahns ein neuer Kaderplaner an, der von RB Salzburg kommt.
Erst wenn das Zusammenspiel zwischen Fritz und Jahns gut funktioniert, wäre der von Baumann verantwortete sportliche Bereich so stabil aufgestellt, dass ein vollständiger Rückzug problemlos möglich wäre. Jahns wird ein paar Monate brauchen, um seine Rolle bei Werder zu finden und Fritz zu entlasten. Denn klar ist ja auch: Wenn Baumann geht und Fritz sein Nachfolger würde, dann müsste der jetzige Leiter Profifußball, wie Fritz genannt wird, noch viel mehr strategische Themen von Baumann übernehmen.
Ein Abschied im Sommer 2024 wäre da schon sinnvoller, jedoch auch mit einem Makel behaftet: Es wäre ein Ausstieg zum Ende eines Vertrages, der vom Aufsichtsrat eben auch nicht verlängert worden wäre. Vorstands-Chef Klaus Filbry, der gerade selbst bis 2026 verlängerte, ist nicht der einzige bei Werder, der die Verlängerung des Baumann-Vertrages um wenigstens ein Jahr bis 2025 begrüßen würde. Dann läge Baumann knapp unter den angepeilten 50 Jahren, denn erst im Oktober 2025 würde er den runden Geburtstag feiern.
So bewusst er sich als Spieler einst für Werder entschieden hat (und gegen Kaiserslautern mit Trainer Otto Rehhagel), so selbstbestimmt würde Baumann das Kapitel gerne beenden: Werder soll dann besser dastehen als 2016, zu Beginn seiner Managerzeit. Davon ist er nicht weit entfernt, damals war Werder 13. der Bundesliga.
Eins darf für diese Szenarien aber nicht passieren: ein erneuter Abstieg. Viele im Verein glauben, dass Baumann sich die Wochen nach einem solchen Abstieg nicht noch einmal antun würde. Die ganze Kritik, so berechtigt sie auch war, hat ihn beschäftigt. Ob der Aufsichtsrat ihn noch einmal machen lassen würde, wäre ohnehin erst abzuwarten. Ein gutes Stichwort: Fritz wäre in jedem Szenario zwar der logische und Werder-typische Nachfolger. Allerdings kann Baumann das nicht entscheiden. Die Ernennung der Geschäftsführer ist Sache des Aufsichtsrats.
In jedem Fall ist Baumann gut beraten, das Ende seiner Amtszeit nicht mit dem Bau des neuen Nachwuchsleistungszentrums in der Pauliner Marsch zu verknüpfen. Sonst müsste er noch bis 70 arbeiten.