Auf den ersten Blick hat Werders gute Saison nichts mit dem Stadion in Krakau zu tun. Bei genauer Betrachtung aber doch: Denn dort schrieb die deutsche U21-Nationalmannschaft am 30. Juni 2017 nicht nur ein Stück Fußball-Geschichte, sondern auch ein Stück der neueren Werder-Geschichte – wie sich nun, Jahre später, in Bremen zeigt. Damals feierten knapp neun Millionen Fernsehzuschauer den EM-Triumph der deutschen Elf, die im Endspiel gegen Spanien mit 1:0 gewann.

Grün auf weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Einigen Spielern dieses Finales gelangen große Karrieren, etwa Serge Gnabry beim FC Bayern oder den Spaniern Kepa (FC Chelsea) und Marco Asensio (Real Madrid). Drei Jungs von damals spielen heute für Werder Bremen: Mitchell Weiser, Niklas Stark und Maximilian Philipp. Sie alle standen in jenem Finale in der Startelf. Weiser schoss in der 40. Minute sogar das Siegtor. Philipp traf im Halbfinale im wichtigen Elfmeterschießen gegen England.
Es sind Beziehungen dieser Art, die Werder heute auf dem Transfermarkt helfen. Denn Geld ist kein entscheidendes Kriterium für einen Wechsel nach Bremen. Die Grün-Weißen zählen trotz des Wiederaufstiegs zu den finanzschwächsten Vereinen der Bundesliga. Gestandene Profis wie Weiser und Stark, die viele Jahre bei Hertha oder woanders unter Vertrag standen, verdienen an der Weser heute weniger als früher. Und auch weniger, als sie andernorts verdienen könnten. Philipp wiederum, der im Winter kam, ist nur ausgeliehen; seinen Arbeitsvertrag schloss er mit dem VfL Wolfsburg.
Gemeinsame Zeiten und Erfolge schweißen Fußballer zusammen. Werders Torhüter Michael Zetterer spielt dabei ebenfalls eine Rolle, denn auch er gehörte zu jenem U21-Jahrgang des Trainers Stefan Kuntz. Zetterer spielte damals schon in Bremen – und auch wenn er bei der EM 2017 nicht zum Kader gehörte, kennt er Stark, Weiser und Philipp aus anderen U21-Länderspielen. Dass sich ein ablösefreier Bundesligaprofi wie Stark nach fast 200 Bundesligaspielen und zwei A-Länderspielen für Werder entschied, hängt maßgeblich mit den Typen zusammen, die er hier kennt und mag.
Die emotionalen Jubelbilder nach dem Aufstieg spielten eine weitere Rolle, die feiernden Massen im Stadion und am Osterdeich zeugen von der Fußballbegeisterung an der Weser. Auch Philipp äußerte sich zuletzt froh darüber, nun vor dieser Kulisse spielen zu dürfen, die er bisher nur als Gegner erlebte.
All das hilft Werder im Moment, um Spieler für sich zu begeistern, die aufgrund ihrer Qualitäten auch für finanzkräftigere Vereine im In- und Ausland interessant wären. Mitunter verstärken sich die Effekte gegenseitig: Weiser kam auch durch seine enge Beziehung zu Leo Bittencourt an die Weser, beide kennen und mögen sich seit Jahren. Weisers Karriere war ins Stocken geraten, Bayer Leverkusen wollte ihn loswerden. In Bremen blühte er wieder auf und zeigte seine Qualitäten auf der rechten Außenbahn, die ihn schon oft in den Dunstkreis der Nationalmannschaft brachten. Werder bekam ihn ablösefrei. Heute wird Weisers Marktwert in der Branche auf rund zehn Millionen Euro geschätzt. Was auch bedeutet: Heute könnte sich Werder diesen Spieler niemals leisten, hat ihn aber trotzdem in den eigenen Reihen.
Bei Stark und Philipp ist es ähnlich. Als Nationalspieler hatte Innenverteidiger Stark schon einen Marktwert von 20 Millionen Euro, bis er im Hertha-Wahnsinn an den Rand des Geschehens gedrängt wurde. Auch für Philipp zahlte Borussia Dortmund nach der U21-EM rund 20 Millionen Euro Ablöse. Jahre später spielte er in Wolfsburg keine Rolle mehr, Werder konnte ihn deshalb nun ausleihen.
In Bremen wollen auch sie beide nun wieder aufblühen. Und Werder will davon profitieren. Das ist eine clevere Personalpolitik für einen Verein, der auch in den nächsten Transferperioden kreativ sein muss, um die finanziellen Nachteile im Vergleich zur Konkurrenz auszugleichen. Hilfreich für das Werben um solche Spieler ist auch die Personalie Füllkrug: Dessen Karriere neigte sich einem eher durchschnittlichen Ende entgegen, vor einem Jahr spielte er noch in der zweiten Liga. Jetzt ist er Deutschlands Nationalstürmer Nummer eins und schaffte es zur Weltmeisterschaft. Sein Beispiel zeigt den anderen, dass man auch in Bremen gesehen wird, wenn man wieder aufblüht.