Bei Marvin Ducksch fällt nicht nur sein Auftreten im Spiel und neben dem Platz positiv auf. Auch so manche Zahl in der Statistik verrät eine Menge über die neue Situation des Bremer Nationalstürmers. Mit etwas Verspätung spielt Ducksch nun die Rolle, für die er mal von Werder geholt wurde: Er ist der gesetzte Stürmer Nummer 1, der Dreh- und Angelpunkt in der Offensive, der seine Nebenleute auch mal mit Worten oder Gesten in die Spur bringt.
Genau dafür hatte Markus Anfang ihn in der zweiten Liga haben wollen. Der Trainer kannte Ducksch aus gemeinsamen Jahren in Kiel und plante – damals allerdings zu voreilig – einen Machtwechsel im Werder-Sturm: Füllkrug raus, Ducksch rein. Was inzwischen aus anderen Gründen so kam, war zu Beginn der Zweitligasaison eine eher schräge Idee. Denn Füllkrug war als Persönlichkeit und als Fußballer viel zu stark für die Bank. Und Ducksch war in beiden Bereichen noch nicht so gut wie heute.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Vereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Erst an der Seite von Füllkrug reifte Ducksch zu einem besseren Spieler, man könnte auch sagen: in dessen Schatten. Denn Füllkrug zog auf dem Feld und im Umfeld viel Aufmerksamkeit auf sich, Ducksch war immer nur der Mann neben ihm, der im Zusammenspiel enorm von Füllkrugs Präsenz profitierte. Beide schossen Werder erst zum Aufstieg und dann zum Klassenerhalt – ein kleines Stürmermärchen, das in der Nationalmannschaft fortgesetzt wurde. Als Füllkrug nach Dortmund wechselte, hing Ducksch einige Spiele durch. Er wirkte frustriert und kam kaum zu Torchancen. Als dann auch noch Europa-League-Gewinner Rafael Borré nach Bremen wechselte, war es fraglich, wer die Rolle als Füllkrug-Nachfolger und Nummer 1 im Angriff übernehmen würde: Ducksch oder Borré?
Inzwischen ist das pro Ducksch geklärt. Er präsentiert sich verbessert und kompletter als je zuvor. In 80 Pflichtspielen für Werder schoss er nun 40 Tore. Er würzt seine Aussagen nach den Spielen mal mit Humor, mal mit deutlicher Kritik. Und er liefert seit seiner Vertragsverlängerung im Sommer weiter zuverlässig ab. Vor dem Spiel gegen Leipzig hat Ducksch schon 13 Scorerpunkte auf dem Konto: sieben Tore und sechs Vorlagen. Es gibt hier aktuell nur fünf bessere Bundesligaspieler: Bayerns 100-Millionen-Mann Harry Kane, der auf 25 Scorerpunkte kommt (20 Tore, fünf Assists), Serhou Guirassy vom VfB Stuttgart (19 Scorerpunkte), Victor Boniface von Tabellenführer Leverkusen (17), Bayerns Leroy Sané (17) sowie der Angreifer des jetzigen Gegners Leipzig, Lois Openda (15).
Aber: Diese Stürmer spielen alle bei Spitzenklubs. Ducksch hingegen liefert seine Tore und Vorlagen bei einem Kellerklub ab. Bremen feierte in dieser Saison erst drei Siege, wenn Ducksch traf: gegen Mainz (4:0), Union Berlin (2:0) und Augsburg (2:0). Stürmer bei Werder zu sein, ist ein mühsamer Job. Genau das honorierte Bundestrainer Julian Nagelsmann, als er Ducksch nominierte.
Seine gewachsene Bedeutung für das Bremer Spiel kann man an nackten Zahlen erkennen. In der vergangenen Saison, also an der Seite von Füllkrug, schoss Ducksch „nur“ viermal das wichtige 1:0 für Werder. Jetzt ist nicht mal die Hinrunde vorbei, und Ducksch hat das schon dreimal geschafft. Er hat auch mehr Ballbesitzphasen als zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison: Viele, ja fast alle Angriffe laufen über ihn.
Interessant ist der aktuelle Vergleich mit Füllkrug, der in 15 Saisonspielen erst fünf Tore erzielt hat (alle für den BVB, an den ersten zwei Spieltagen im Werder-Trikot blieb er torlos). Ducksch hat in dieser Saison mehr Tore und Ballkontakte als Füllkrug, spielt mehr Pässe und bereitet mehr Torschüsse seiner Mitspieler vor, nämlich 25 (Füllkrug: 17). Dafür zeigt Füllkrug in Dortmund die Qualität, die Werder durch die neue Situation im Sturm schmerzlich fehlt: Im BVB-Trikot stürzte er sich schon in 105 Luftduelle und gewann davon die Hälfte. Ducksch hingegen meidet das, er suchte erst 28 Kopfballduelle und verlor 65 Prozent. Er gewinnt dafür mehr Zweikämpfe und mehr Dribblings als sein Sturmpartner Borré. Der Kolumbianer ist in den Sprints zwar schneller, dafür läuft Ducksch in jedem Spiel mehr Kilometer – auch das ist ein Indiz für den Aufwand, den er als Führungsspieler betreibt.
Ducksch wirkt erwachsener, er ist in seiner Rolle bei Werder aufgegangen. Das macht ihn für andere, zahlungskräftigere Vereine interessant. Ihn zu halten, dürfte für Werder schwer werden, zumal die Bremer auf hohe Transfereinnahmen angewiesen sind. Gut möglich also, dass Werder den Sturm im nächsten Sommer komplett neu aufbauen muss – denn der ausgeliehen Borré gehört ab 1. Juli 2024 wieder zu Eintracht Frankfurt.
Auf das Preisschild für Marvin Ducksch könnte Werder auch dies schreiben: Er hat bisher mehr Ballkontakte und mehr Torschussvorlagen als Harry Kane.