Bei Werder waren sie selbst ein wenig gespannt, wie das im Alltag mit dem neuen Trainer Horst Steffen funktionieren würde. Nicht nur wegen des Altersunterschieds, denn nach dem jüngsten Trainer der Bundesliga (Ole Werner war vergangene Saison erst 36) haben die Bremer nun plötzlich den ältesten Chefcoach (Steffen ist 56). Die Werder-Bosse Clemens Fritz und Peter Niemeyer hatten nach ihren Gesprächen und Verhandlungen zwar schnell einen guten Eindruck von Steffen. Aber wie ein neuer Trainer bei den Profis ankommt, weiß man erst, wenn er ein paar Mal zur Mannschaft gesprochen hat und wenn man sieht, wie die Spieler seine Vorgaben umsetzen.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Nach den ersten Eindrücken kommt Horst Steffen bei der Mannschaft gut an, was auch daran liegt, dass er durch seine herzliche und kommunikative Art in vielen Alltagssituationen anders auftritt als der eher zurückhaltende und sachliche Ole Werner. Vor allem im Umgang mit jüngeren Spielern fällt das auf. Diese Talente und Jungprofis entwickeln unter Steffen das Gefühl, dass sie nicht nur zum Auffüllen des Trainingskaders da sind, sondern dass sie im Laufe der Saison eine echte Chance haben könnten und dass sich der Trainer wirklich für sie interessiert.
Als hilfreich erwies sich bisher, dass Steffen nicht wie wild die Formationen ändert und verschiedene Systeme ausprobiert. Seit dem ersten Tag gibt es ein neues, aber klar definiertes Spielsystem: Es ist ein 4-2-3-1 mit Viererkette statt der über Jahre in Bremen praktizierten Dreier-Abwehr. Steffen verlangt in diesem System eine Menge taktischer Feinheiten mit und gegen den Ball, weshalb alle Profis im Training gefordert sind, die neuen Abläufe zu verstehen - das gilt für die bisherigen Stammkräfte genauso wie für die Jungs, die aus der erfolgreichen U19 hochgekommen sind.
Die Köpfe der Spieler sind also mit vielen Dingen beschäftigt, weshalb die Probleme aus der Vergangenheit aktuell etwas in den Hintergrund geraten sind. Ob sie im Laufe der kommenden Wochen wieder auftreten, wird spannend. Denn so gerne sich Werder vergangene Saison für einen tollen Teamgeist feierte – im Prinzip erfasste dieser Geist nur die eng verschworene Gruppe, die regelmäßig spielte. Es gab in jüngster Vergangenheit diverse Konflikte in der Werder-Kabine. Vor ein paar Jahren war es alt gegen jung (was manche im Team auch als gut gegen schlecht verstanden), zuletzt war es etabliert gegen neu (auch hier war im kleinen Kreis oft von gut und schlecht die Rede). Und oft waren es die Ego-Shooter mit ihren persönlichen Ambitionen gegen die große Gruppe.
Horst Steffen ist nett und streng. Genau darauf könnte es nun ankommen. Er fördert nicht nur, er fordert auch – und zwar neben dem täglichen Engagement, das für einen Berufsfußballer selbstverständlich sein sollte, ausdrücklich auch Teamgeist. Er kann es nicht leiden, wenn einer in der Gruppe mit einem schlechten Gefühl zum Training kommt, weil ihn andere im Kader nicht gut behandeln. Er kann es auch nicht leiden, wenn der eine Spieler dem anderen nicht den Platz in der Startelf gönnt. Und er mag es nicht, wenn den vielen helfenden Mitarbeitern kein Respekt gezollt wird.
Wie konsequent ist Steffen?
Die Frage ist nun, mit welcher Konsequenz Steffen das bei Werder durchzieht. Denn es wäre in Teilen neu. Ordnet auch Steffen alles dem Ergebnis unter und lässt deshalb den mächtigen und etablierten Kräften in der Kabine ihre Ruhe? Oder zieht er konsequent sein Ding durch, nach Regeln, die für alle gelten? Wie reagiert er, wenn sich ein Spieler beklagt, weil ein anderer früher eingewechselt wurde?
Nach allem, was man aus seiner erfolgreichen Zeit in Elversberg hört, ist Steffen ein Verfechter des Miteinanders und ein Gegner von Egoismen. Das ist schlecht für solche Spieler, die in manchen Phasen als Ich-AG unterwegs zu sein schienen oder nach eigenen Regeln spielten. Die bei hohen Bällen nicht hochsprangen, die eine Auswechslung nicht akzeptieren wollten oder die schlechte Stimmung verbreiteten, wenn sie am Wochenende gar nicht spielen durften.
Es gibt einige starke Charaktere in der Werder-Kabine, mal mit mehr, mal mit weniger Spielzeit – aber stets mit großem Ego. Als Störenfriede sollten sie ab sofort besser nicht mehr auftreten. In Elversberg sortierte Steffen solche Spieler nämlich konsequent aus. Dabei ging es nicht um schwierige Charaktere an sich, sondern um Spieler, die sich nicht als Teil der Gruppe verstanden oder die sich über einen Kollegen stellten.
Immerhin: Steffen ist kein Trainer, der stets dieselbe Elf spielen lässt. Auch nicht nach Siegen. Er ist gerne unberechenbar und will verschiedene Qualitäten im Kader nutzen. Das hat zwei Folgen: Alle Spieler, auch die jüngeren, spüren, dass sie mehr Chancen auf Einsätze haben; manche, vor allem die etablierten, spüren aber auch, dass sie mal draußen landen werden. Das muss der neue Trainer moderieren. Nett und streng ist dafür der passende Mix. Nur nett wäre zu wenig.