Natürlich war Marvin Ducksch nicht glücklich, dass er gegen Hoffenheim schon nach 64 Minuten raus musste. Und es ärgerte ihn, dass ihm wieder kein Tor gelang, zum vierten Mal hintereinander. Trotzdem muss man seine Auswechslung nicht gut finden, denn: So früh vom Feld zu müssen, beraubt Ducksch ja nicht nur der Möglichkeit, noch ein Tor zu schießen – es untergräbt auch seinen Status als Bremer Matchwinner, der mit einer Aktion den Ausgang eines Spiels beeinflussen kann. Sein letztes Tor war schließlich nicht irgendeins, sondern das Siegtor bei Werders 1:0-Erfolg in Mainz.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
In der Schlussphase gegen Hoffenheim stürmten Nick Woltemade, Justin Njinmah und Dawid Kownacki – diese drei können zusammen nicht mal ansatzweise die Tore und Vorlagen vorweisen, die Ducksch zu Werders guter Platzierung beigesteuert hat. Neun Tore und fünf Vorlagen: Ducksch war an 42 Prozent aller Bremer Treffer beteiligt. Zum Vergleich: Njinmah kommt auf fünf Tore, Woltemade und Kownacki haben noch nie ein Bundesligator für Werder geschossen. Wem würde man es also eher zutrauen, den Ausgleich zu schießen?
Der Zeitpunkt für eine kleine Torlos-Serie und eine frühe Auswechslung ist für Ducksch auch deshalb schlecht, weil Bundestrainer Julian Nagelsmann bald den Kader für die März-Länderspiele bekannt gibt. Beim letzten Mal war Ducksch erstmals dabei und kam zu zwei Einsätzen im Deutschlandtrikot. Wird er wieder nominiert, würde das seine Chancen auf eine EM-Teilnahme erhöhen.
Auch Ducksch vernimmt die Kritiker, die seine weniger gewordenen Tore, technische Mängel und eine destruktive Körpersprache bemängeln. Diese Kritik ist weniger in den Medien zu finden als unter den Fans und in den vermeintlich sozialen Netzwerken. Aber mal ehrlich: Soll Ducksch in jedem Spiel treffen? Dann käme er auf 34 Saisontore, was an die historischen Lewandowski-Dimensionen einst bei Bayern erinnert. Mit Lewandowski hat Ducksch jedoch nur gemeinsam, dass auch der in München mal früh ausgewechselt wurde, obwohl er noch Torschützenkönig hätte werden können. Die Gesichter beider Spieler nach der Auswechslung glichen sich. Doch die beiden Trainer, Pep Guardiola und Ole Werner, scherten sich weniger um die persönlichen Ziele ihrer wichtigsten Spieler – warum auch immer.
Die Bayern mussten später schmerzhaft erfahren, dass Empathie im Fußball keine Einbahnstraße ist. Lewandowski wollte nur noch weg und wechselte nach Barcelona. Wie lange Ducksch noch das Werder-Trikot trägt, ist offen. Sein Vertrag läuft bis Juni 2026. Er hat aber schon Signale gesendet, dass ein Wechsel nicht auszuschließen ist. Ein Nationalspieler wird schnell in anderen Sphären gehandelt. Für Ducksch spricht: Er ist der erfolgreichste Stürmer bei Werder und wichtig dafür, den Ball überhaupt ins letzte Angriffsdrittel zu bekommen. Für einen Wechsel spricht: Ihm fehlt ein hochklassiger Sturmpartner, der ihn nach gut eingefädelten Angriffen sieht und anspielt. Niclas Füllkrug konnte das, die heutigen Mitspieler schaffen es oft nicht.
Finanziell könnte Werder bei Ducksch mit größeren Klubs nicht mithalten. Aber es gibt eine andere Chance: Wertschätzung ausdrücken, durch Spielzeit und Worte. Bei den Vertragsgesprächen mit Füllkrug ging das auf Werders Seite schief. Das sollte sich bei Ducksch besser nicht wiederholen. Jedenfalls könnte auch der langsam das Gefühl bekommen, die torlosen Spiele würden bei ihm eher wahrgenommen als seine Tore und Vorbereitungen. Sein Pfostentreffer gegen Hoffenheim hätte ein Tor sein können, die Szene war gut gemacht. Im Herbst blieb Ducksch schon einmal vier Spiele ohne Treffer, danach schoss er drei hintereinander. Das ist bei Stürmern normal.
Die Zukunftsfragen im Werder-Angriff sind jedenfalls spannend: Raphael Borré ist schon weg, für Ducksch gibt es ebenso einen Markt wie für die jungen Justin Njinmah und Eren Dinkci, deren Profil (Schnelligkeit plus Tore plus Alter) für viele Vereine interessant ist. Mit Nick Woltemade gibt es Gespräche über eine Vertragsverlängerung, aber wer in 555 Spielminuten noch nie an einem Tor beteiligt war, muss in seinem Kerngeschäft besser werden, bevor er Forderungen stellt – es können nicht immer nur die anderen Feldspieler für Tore und Vorlagen zuständig sein, wenn Woltemade spielt. Er muss stärkeren Einfluss auf die Ergebnisse haben, sonst wird er in der Stürmerhierarchie nicht aufsteigen. Ob Kownacki bleibt, ist offen, bisher ist das auf beiden Seiten ein Missverständnis.
Ducksch zu verlieren wäre von all diesen Namen sportlich der größte Verlust. Der Österreicher Marco Grüll kommt im Sommer zu Werder, er wird aber normalerweise etwas Zeit brauchen, um mit den Gegebenheiten in Bremen so richtig warm zu werden...