Und dann sagte der junge Trainer etwas fast schon Verrücktes, das ihn noch lange verfolgen sollte: „Ich habe den Matchplan erkannt. Wir sind in einem 4-4-2 auf der Pressinglinie 1 angelaufen, nach Ballgewinn wollten wir über den ballfernen Zehner umschalten. Im Ballbesitz sind wir in einer Dreierkette abgekippt mit einem asymmetrischen Linksverteidiger und einem breitziehenden linken Zehner, sodass wir in einem 3-4-3 respektive 3-1-5-1 abgekippt sind. Die Frage ist: Wie haben wir das umgesetzt?“
Die Zuhörer quälte nach diesem Vortrag eher der Gedanke, ob es nicht noch ganz andere Fragen gibt, wenn ein Trainer so den Fußball erklären will. Gesagt hat diese Sätze einer der jüngsten Fußball-Lehrer der Branche, der Nürnberger Robert Klauß, damals 36 Jahre jung. Vor einem Jahr hielt es der unerfahrene Cheftrainer für eine gute Idee, damit auf eine kritische Frage nach der 1:2-Niederlage gegen St. Pauli zu antworten. Seither gilt der bis dahin recht unbekannte Klauß als Beispiel für junge Trainer, die offenbar grandios ausgebildet wurden, aber wenig Bezug haben zu normalen Fußballfans.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Ole Werner ist noch vier Jahre jünger als sein Kollege beim FCN, an jenem Spieltag im Februar 2021 steuerte er mit Holstein Kiel dem Aufstieg entgegen und besiegte die Würzburger Kickers nach einem umstrittenen Elfmeter mit 1:0. Als er zu diesem Elfmeter befragt wurde, antwortete Werner: „Ich war vom Elfmeterpfiff überrascht.“ Ein paar Minuten später sagte er noch: „Solche Spiele musst du gewinnen, wenn du oben bleiben willst.“
Diese einfachen Sätze des heutigen Bremer Trainers haben fast schon Thomas-Schaaf-Format. Man nickt zwangsläufig, wenn man sie hört. Das Publikum kann damit mehr anfangen als mit verschnörkelter Rhetorik. Schaaf wurde auch dadurch zur Legende. Dass es bei Werder mal um kippende Spieler ging, kam in der Regel nur nach großen Erfolgen vor.
Die Fans würden gerne mit ihm quatschen
Werner knüpft in seinen ersten Monaten an der Weser wohltuend an diese norddeutsche Tradition an. Sagen, was ist – aber nicht mehr daraus machen. Am Wochenende zum Beispiel, nach dem siebten Bremer Sieg in Folge, kam Werner keineswegs auf Wolke sieben angeflogen. Statt sich nach dem 2:1-Sieg in Rostock auf die Schulter zu klopfen, sagte er erst einmal: „Wir haben nicht unser bestes Spiel gemacht.“ Das hatten die Fans auch so gesehen. Was im Prinzip auch für seinen nächsten Satz gilt: „Natürlich bangst und hoffst du in den letzten Aktionen, weil man dann auch nicht mehr viele Möglichkeiten hat, dort einzugreifen.“ Viele Fans würden ihm dann gerne ein Bier aufmachen und sagen: Junge, lass uns mal über Fußball quatschen!
Man kennt das ein wenig von Jürgen Klopp, dessen Normalität in allen Lagen des Trainerlebens ihn zu einem der beliebtesten Fußball-Lehrer der Welt gemacht hat. Doch Werner trägt ja nicht mal so eine Kappe, mit der seit Jahren überraschend viele Trainer im Fußballbereich versuchen, ein wenig vom Klopp-Hype zu profitieren. Werner kommt mit der Wollmütze. Es ist halt kalt.
Natürlich wissen auch Werner und Klopp sehr genau, wie sie mit einem ballfernen Zehner und mit einer ersten Pressinglinie umzugehen haben. Aber man kann sich auch darauf verlassen, dass sie niemanden damit nerven. Florian Kohfeldt schaffte das als Werder-Trainer nicht immer. Wenn er nach Niederlagen mal über „zwanzig nicht so schlechte Minuten im Gegenpressing“ redete oder über „Osakos Aufhalten in den Zwischenräumen“, fragten sich viele, ober er nicht besser mal das große Ganze betrachten sollte als solche Kleinigkeiten, die Fans nach Niederlagen sowieso nicht trösten.
Als der frühere Werder-Star Mario Basler vom taktischen Exkurs des Nürnberger Trainers hörte, war er bedient. Der heutige Experte beim Sender Sport1 meinte: „Wenn das ein Trainer bei uns früher so in der Kabine erzählt hätte, wäre ich aufgestanden und heimgegangen. Das versteht ja kein Mensch, das ist lächerlich.“ Man kann auch an Franz Beckenbauer erinnern. Der sagte nicht nur „Geht's raus und spielt's Fußball“, sondern kam als Bayerntrainer nach einer deftigen Niederlage mal mit diesen Worten in die Kabine: „Seid doch nicht so traurig, ihr könnt es halt nicht besser.“ Mehmet Scholl saß damals bedröppelt in jener Kabine. Der feine Dribbler, der später eine Debatte über die neue Generation der „Laptop-Trainer“ anzettelte, versicherte später: Etwas Motivierenderes als diesen banalen Beckenbauer-Satz habe er nie gehört. Auch schöner Fußball kann sehr einfach sein.