Das wäre ein toller Abend für Marco Friedl geworden: Die österreichische Mannschaft startet mit einem der ersten Knallerspiele in die Europameisterschaft, am 17. Juni trifft das Team in Düsseldorf auf den Top-Favoriten Frankreich. Das Duell des Bremer Abwehrspielers mit Weltstar Kylian Mbappé wird es nach Lage der Dinge aber nicht geben. Nationaltrainer Ralf Rangnick hat in seinem vorläufigen EM-Kader auf Werders Kapitän verzichtet. Friedl steht nur auf Abruf bereit.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Das war in doppelter Hinsicht eine unerwartet harte Entscheidung von Rangnick. Zum einen, weil Friedl in Bremen gerade die beste Saison seiner Karriere spielte und sich in Sachen Präsenz, Zweikampfführung und Stellungsspiel im Vergleich zu früheren Jahren steigerte. Zum anderen aber auch, weil bei Österreich in der Innenverteidigung größere Not herrscht: Real-Madrid-Star David Alaba fällt wegen einer Kreuzbandverletzung aus, andere Abwehrspieler kamen gerade erst aus Verletzungspausen zurück.
Dass es für Friedl trotzdem nicht reichte, ist ein bitteres Signal: Er bringt trotz aller Verbesserungen offenbar nichts mit, was andere Spieler dem ambitionierten österreichischen Kader in dieser Situation nicht auch geben können. Ob Rangnick damit richtig liegt, wird das Turnier zeigen. Österreich wird nach dem Sieg im Herbst gegen Deutschland eine Menge zugetraut. Aus Bremer Sicht sind Mittelfeldspieler Romano Schmid und der künftige Stürmer Marco Grüll dabei.
Friedl hat das Problem, unter dem viele Fußballprofis nach schwachen Anfangsjahren leiden: Die schlechten Spiele hängen ihm in der öffentlichen Warnehmung noch nach. Ist der Ruf erst ruiniert, dauert es deutlich länger, bis gute Leistungen das Image nachhaltig verbessern. Jedem Werder-Fan (und auch Ralf Rangnick) fallen eine Menge haarsträubender Friedl-Fehler ein, ob unter Florian Kohfeldt, Markus Anfang oder Ole Werner, hier vor allem im ersten Jahr nach dem Aufstieg. TV-Experte Jonas Hummels, der Bruder des Weltmeister-Verteidigers Mats, fragte deshalb schon, ob es bei Friedl wirklich für die Bundesliga reicht.
Kein Unterschied zu EM-Fahrer Veljkovic
Als man den Eindruck gewinnen musste, die Kapitänsbinde würde ihn zusätzlich verunsichern, ärgerte sich Friedl im Sommer selbst öffentlich über seine schwachen Leistungen und kündigte an, es besser zu machen. Das ist ihm gelungen. Im Prinzip gibt es von den relevanten Daten her keinen großen Unterschied zwischen ihm und seinem Nebenmann bei Werder, Milos Veljkovic, der es im Kader Serbiens zur EM geschafft hat. Friedl hat sogar mehr Zweikämpfe geführt und gewonnen als Veljkovic, im Luftkampf sind die beiden Bremer gleich stark. Veljkovic ist in der Offensive gefährlicher, dafür war Friedl – wenn auch auf solidem Niveau – schneller und laufstärker. Im Verbund mit dem dritten Abwehrspieler Anthony Jung trugen Friedl und Veljkovic viel zu Werders neuntem Platz in der Bundesliga bei. Friedl schaffte es viermal in die Elf des Tages im Fachmagazin „Kicker“, öfter als jeder andere Bremer. Wenn er eine Nominierung fürs Nationalteam verdient gehabt hätte, dann jetzt.
Sein Weg verlief aber nie kerzengerade. Als er nach der Ausbildung beim FC Bayern die ersten Profi-Einsätze unter Jupp Heynckes erhielt, reichte es nicht für ganz oben. Der Weg zu Werder schien Sinn zu machen, um sich bei einem kleineren Verein zu etablieren. Doch statt den Innenverteidiger nach zwei Jahren gewinnbringend verkaufen zu können, stieg Werder mit ihm ab. Das war ursprünglich anders geplant.
Der Streik war ein Tiefpunkt
Tiefpunkte gab es nicht nur auf dem Rasen, sondern auch daneben. Es bleibt unvergessen, dass sich Friedl nach dem Abstieg wegstreiken wollte. Um einen Wechsel zu Union Berlin zu erzwingen, weigerte er sich, für Werder gegen Rostock aufzulaufen. Der Transfer platzte, Manager Frank Baumann verhängte eine Geldstrafe – und musste ein Jahr später, nach dem Aufstieg, ebenso erstaunt wie viele Fans feststellen, dass die Mitspieler Friedl zum neuen Kapitän wählten, als Nachfolger des erfahrenen Ömer Toprak. Das war auch für manchen Führungsspieler bei Werder erstaunlich. Entsprechend rumorte es, als Friedl im ersten Jahr mit der Binde am Arm schwach spielte, dann aber als Kapitän die Niederlagen im Fernsehen erklären musste.
Aus dieser heiklen Phase ist Friedl gestärkt hervorgegangen. Die Fans haben ihm seinen Streik weitgehend verziehen. Den Weg ins Nationalteam muss er sich über noch bessere Leistungen im Verein erarbeiten. Damit kann er in der neuen Saison anfangen – ganz ohne EM-Belastung.