Wunsch und Wirklichkeit haben bei Absteigern aus der Bundesliga nicht immer viel miteinander zu tun, das zeigten zuletzt Vereine wie der Hamburger SV oder der kommende Gegner Fortuna Düsseldorf. Und auch bei Werder weiß man nach dem ersten halben Jahr in der zweiten Liga gut einzuschätzen, dass diese Liga dem DFB-Pokal ähnelt: Sie hat ihre eigenen Gesetze.
Das liegt nicht nur daran, dass in der zweiten Liga wirklich jeder jeden besiegen kann (selbst Tabellenführer St. Pauli hat sieben Spiele nicht gewonnen). Es wird auch am Alter der eingesetzten Spieler deutlich: Entgegen der landläufigen Meinung ist die zweite Liga nämlich kein Sprungbrett für junge Profis, die noch nicht reif sind für den großen Bundesligafußball. Das Gegenteil ist richtig: Eine Startelf in der zweiten Liga ist im Durchschnitt ein Jahr älter als in der Bundesliga.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Das erlebte man auch in Bremen. Der Wunsch, mit einer jüngeren Mannschaft einen Neuaufbau zu starten, musste im Laufe der Hinrunde der Wirklichkeit weichen: In dieser Liga braucht man vor allem Erfahrung und Cleverness, um konstant die nötigen Ergebnisse zu schaffen. Und so wurde Werders Startelf immer älter: Von 23,8 Jahren in den ersten Wochen, der jüngsten Bremer Formation seit vielen Jahren, stieg das Alter bis auf zuletzt 27,6 Jahre bei der Formation, die Ole Werner bei den Siegen gegen Aue, Regensburg und Hannover aufs Feld schickte.
Diese drei wichtigen Erfolge, mit denen Werder den Anschluss an die Aufstiegsplätze herstellte, wurden vor allem mit Routine errungen. Das fing im Tor an, wo Jiri Pavlenka (29 Jahre) statt Michael Zetterer (26) das Vertrauen erhielt. In der Abwehr kommandierte Ömer Toprak (32), im Mittelfeld zeigten Christian Groß (32) und Leo Bittencourt (28) ihre Erfahrungen aus sehr vielen Spielen. Und im Sturm gehören Niclas Füllkrug (28) und Marvin Ducksch (27) schon seit Jahren nicht mehr zu den Nachwuchshoffnungen. Von den jüngeren Profis hatten sich Ende 2021 nur zwei in der siegreichen Startelf etabliert: Felix Agu (22) und Romano Schmid (21).
Nach anfänglichen Schwierigkeiten sprachen vor allem Tempo und Flexibilität für Agu, der auf beiden Außenbahnen defensiv wie offensiv Akzente setzen kann. Er kam auf 14 Einsätze. Seine 1028 Spielminuten im Werder-Trikot werden nur von einem der jüngeren Spieler übertroffen: von Schmid, der in allen 18 Saisonspielen am Ball war und mit zwei Toren und drei Vorlagen wichtige Akzente setzte. Schmid kam auf 1252 Spielminuten.
Wo sich eine siegreiche Startelf findet, landen andere Spieler draußen. Dazu gehörten in Bremen auch jüngere Spieler. Ihnen fehlte entweder mangels Erfahrung die Konstanz, oder sie kamen fußballerisch an ihre Grenzen. Fast abwechselnd gehörten sie ein paar Wochen zur Stammformation, konnten sich aber nicht etablieren. Zu Saisonbeginn bekamen Eren Dinkci (20) und Niklas Schmidt (mit 23 nicht ganz so jung) viele Einsätze. In der Saisonmitte übernahm Ilia Gruev (21) die wichtige Position im defensiven Mittelfeld, doch auch wenn er das spielerisch ansprechend löste, stabilisierte er das Team nicht: Mit Gruev gelangen zwischen dem 7. und 15. Spieltag nur zwei Siege. Andere Jungprofis wie Manuel Mbom (21) oder Lars Lukas Mai (21), denen man Stammelf-Potenzial zugetraut hätte, konnten sich auch nicht festspielen. Oscar Schönfelder (20) gefiel nach Einwechslungen mit seinen Dribblings, Fabio Chiarodia (16) feierte seine erste Spielminute.
Weil nach positiven Coronatests mehrere Stammspieler am Wochenende fehlen könnten, dürfen einige Jungprofis darauf hoffen, erstmals unter Ole Werner zu beginnen. Dann liegt es an ihnen, zu beweisen, dass sie Werder spürbar weiterhelfen. Agu und Schmid haben es vorgemacht. Viele solcher Chancen bekommt man bei einem Aufstiegsaspiranten erfahrungsgemäß nicht – schon gar nicht in einer Liga, in der Erfahrung die Jugend schlägt.