Manche Gespräche vergisst man nie. Vergangenen Donnerstag hatte ich so eins. Es war der Tag, an dem Werder spätabends veröffentlichte, dass es ein Ermittlungsverfahren gegen Trainer Markus Anfang gibt.

GRÜN AUF WEISS ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Mit meinem Gesprächspartner war ich lose für die Woche verabredet, er hatte mich ein paar Tage vorher angerufen und wollte sich über Fußball austauschen. Um 14.14 Uhr an jenem Donnerstag schrieb er die Nachricht: „Wann hast du heute Zeit auf einen Kaffee?“ Ich verschob meine Termine auf den Abend und bot 16.30 Uhr an. Einen Treffpunkt zu finden, war nicht so einfach, denn mein Gesprächspartner kannte sich in Bremen nicht gut aus. Ich schlug das Café Ambiente am Osterdeich vor, weil es gleich neben dem Weserstadion liegt. Mein Gesprächspartner hieß: Markus Anfang.
Unser Treffen sollte wenig später eine spektakuläre Wende nehmen, aber das ahnten wir beide nicht, als er nach der Begrüßung den Blick schweifen ließ und sagte: „Ich wusste gar nicht, wie schön es hier ist.“ Er bat mich, ihn über meine Kontaktverfolgungs-App einzuchecken. Wir suchten uns eine ruhige Ecke.
Uns verbinden viele gemeinsame Stationen in den vergangenen 25 Jahren, deshalb siezen wir uns nicht. Wir waren beide in Kaiserslautern, auf Schalke, in Leverkusen und in Köln. Er als Spieler und Trainer, ich als Reporter. Da gehen einem die Themen nicht aus. Manches war privat, wir waren schließlich nicht zum Interview verabredet, sondern zum Gedankenaustausch.
Markus Anfang hatte Ideen für den Werder-Wiederaufbau
Bei Kaffee und Pfefferminztee ging es nach einer halben Stunde auch um Werder. Ihn beschäftigte dieser mentale Rucksack nach dem Abstieg, den er bei vielen Leuten in Werders Umfeld feststellte. Wir diskutierten auch das veränderte Spielsystem mit zwei Stürmern. Und wir waren schnell einig, wie wichtig es ist, dass Torjäger Niclas Füllkrug nach seiner Suspendierung wieder auf dem Feld steht.
Anderes haben wir kontrovers diskutiert, zum Beispiel manchen Neuzugang. Jetzt war er in seinem Element. Leidenschaftlich sprach er über diese schwierige Mission in Bremen, über den komplizierten Sommer, als er morgens in die Kabine kam und erfuhr, wer gerade verkauft wurde. Bei all seinen Ausführungen wurde deutlich, wie sehr er sich mit der Aufgabe identifiziert und dass er Ideen hat, wie man Werder in den nächsten Jahren wieder zu einem erstklassigen Bundesligaverein machen könnte.
Werder dürfe nicht so werden wie der HSV, meinte er, man müsse den Wiederaufbau ernst nehmen und die Mannschaft wachsen lassen, statt jedes Jahr alles wieder zu verändern. Er wirkte nicht wie einer, der in Bremen quasi auf Montage ist. Er wollte länger bleiben. Werders Tradition faszinierte ihn, auch deshalb wollte er unbedingt von Darmstadt herkommen.
Während unseres Gesprächs blickte er oft auf seine Smartwatch, die mit dem Handy verbunden war und alle eingehenden Nachrichten und Anrufe anzeigte. Bei einem Cheftrainer sind das ziemlich viele.
Die Bedienung servierte ihm gerade die zweite Tasse Tee, als wir auf Frank Baumann zu sprechen kamen. Ein anderer Managertyp als diejenigen, die wir aus Köln, Schalke oder Leverkusen kannten. Aber eine Werder-Legende. Bei aller Kritik nach dem Abstieg fanden wir, dass es wichtig ist, jemandem mit so viel Profi-Erfahrung in verantwortlicher Position zu haben. Gerade jetzt, wo Marco Bode nicht mehr da ist. Anfang musste schmunzeln, als er ausgerechnet in diesem Moment einen Anruf bekam. „Das ist Baumi, da muss ich kurz ran“, sagte er. Baumi steht in der Werderwelt für Baumann.
Es war der Anruf, der alles verändern sollte. Es war jetzt kurz nach 18 Uhr. Das Gesicht des Trainers wurde ernst und er gab mir ein Zeichen, dass die Musik im Hintergrund zu laut sei, er könne das Gespräch nicht gut verstehen. Ich schaute mich vom Tisch aus um, sah aber keinen Mitarbeiter des Cafés. Nach längerem Zuhören sagte der Trainer in diesem Telefonat erstmals selber etwas, nur zwei Wörter: „Gegen mich?“
Er schaute irritiert. Er beachtete mich nicht mehr und fragte noch einmal: „Gegen mich?“ Er sei gleich im Auto und rufe zurück, sagte er noch und legte auf. Unsere Blicke trafen sich, er wirkte aufgewühlt und sagte: "Sorry, ich muss weg, kannst du die Rechnung übernehmen?" Ich überlegte kurz, was wohl los sei. Ich dachte, ihm sei jemand gegen das Auto gefahren. Auch da würde ein Rheinländer „Gegen mich?“ fragen.
Und dann sagte ich diesen einen Satz: „Kein Problem, du bist ja noch länger in Bremen und kannst dich beim nächsten Mal revanchieren.“ Ein Kaffee, ein Wasser und zwei Tassen Tee: Der Beleg eines denkwürdigen Treffens.