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Werder-Kolumne Warum Topraks Zukunft für Werder eine heikle Frage ist

Er kam nur, weil sogar ein Notnagel ausfiel: Ömer Toprak. Eine Erfolgsgeschichte wurde das mit ihm und Werder aber nicht, meint Jean-Julien Beer. Je nach Saisonverlauf muss Werder eine Entscheidung treffen...
15.11.2021, 17:10 Uhr
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Warum Topraks Zukunft für Werder eine heikle Frage ist
Von Jean-Julien Beer

Zu den schönen Geschichten, die man sich bei Werder gerne erzählt, gehört die von Herrn Nothnagel. Man muss die Schreibweise des Namens ignorieren und sich gedanklich auf eine Hotelterrasse im Zillertal versetzen. Während des Sommer-Trainingslagers lädt Werder die Journalisten gerne ins Hotel ein, wo ein Spieler für Fragen zur Verfügung steht. An jenem Tag im Sommer 2018 fiel die Wahl auf Sebastian Langkamp, der ein halbes Jahr zuvor von Hertha BSC gekommen war. Im Hotel saß man nun zusammen, als ein Journalist zu einer legendären Frage ansetzte, aber nicht mehr dazu kam, sie zu beenden. „Herr Langkamp“, so begann der Reporter, „in Dortmund gab es mal einen Spieler, der später zu den Würzburger Kickers wechselte, der hieß Nothnagel…“

Schon ging das Gelächter los. Manche wollen noch gehört haben, dass die Frage mit „haben Sie von diesem Spieler schon gehört?“ endete, in jedem Fall wechselte Langkamp die Gesichtsfarbe und war noch eine Weile kaum zu beruhigen. Später erzählte Trainer Florian Kohfeldt, dass er seinen Spieler gerade noch von der Abreise abhalten konnte.

Der Journalist war ein Quereinsteiger in die Medienbranche, zuvor hatte er als Optiker gearbeitet – und nun ziemlich genau Langkamps Rolle bei Werder vorhergesehen. Diese Anekdote führt zur Verpflichtung von Ömer Toprak: Denn als im Sommer 2019 nach Milos Veljkovic (Zehenbruch) auch noch der „Notnagel“ Langkamp wegen einer Muskelverletzung ausfiel, musste Werder in höchster Not umplanen und neue Abwehrspieler suchen.

Als Erste-Hilfe-Maßnahme beförderte man Christian Groß zu den Profis, erst für ein paar Wochen, letztlich für immer. Aber auch eine namhafte Verstärkung sollte her: Die Wahl fiel auf Toprak, der zuvor für Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen in der Champions League spielte. Weil sich Werder so einen Kracher nicht leisten konnte, musste ein Trick helfen: Erst wurde Toprak für eine Gebühr von etwa zwei Millionen Euro für eine Saison ausgeliehen, danach griffen eine Kaufverpflichtung und der Zweijahresvertrag, der am Ende der jetzigen Saison ausläuft. Als Ablöse kassierte der BVB etwa 4,5 Millionen Euro plus Leihgebühr – zuzüglich des Millionengehaltes kostete das Gesamtpaket Toprak die Bremer also einen zweistelligen Millionenbetrag. Mit dem Wissen von heute kann man sagen: viel zu viel! Aber das wäre unfair, auch der WESER-KURIER bezeichnete Toprak damals als „Geschenk des Himmels“. Denn auf dem Platz und in der Kabine setzte er neue Maßstäbe. Auf den Transfermarkt kam er nur, weil Dortmund Mats Hummels von den Bayern zurückholte.

Leider war Toprak in Bremen oft verletzt. Manchmal fiel er Wochen aus, manchmal Monate. Mal war es eine im Training lädierte Wade, mal ein Foul im Pokalspiel in Frankfurt. Immer wieder kämpfte er sich heran, wie zuletzt, als er nach fast zwei Monaten Pause beim Sieg in Nürnberg in den Schlussminuten sein Comeback gab. In seiner ersten Saison bei Werder verpasste er 23 Spiele. Werder rettete sich erst in der Relegation gegen Heidenheim, ohne Toprak. Im zweiten Jahr verpasste er sieben Spiele, Werder stieg ab. Jetzt, in der zweiten Liga, stand Toprak erst in drei Spielen 90 Minuten auf dem Platz.

Eine Erfolgsgeschichte ist das nicht, und doch: Nur fünf Spiele müsste er noch machen, dann hätte er für Werder mehr Pflichtspiele absolviert als für Dortmund, wo er 51 Mal verteidigte. Schon im Heimspiel gegen Schalke wäre Topraks Einsatz als Kapitän und Abwehrchef wichtig, doch ob die Wade das zulässt, ist mal wieder unklar.

Dass ein fitter Toprak Werder auf ein anderes Level hebt, ist keine Frage. Ob man seinen Vertrag verlängern sollte, hingegen schon. Bereits bei seiner Verpflichtung war er eine Investition in die Gegenwart, nicht in die Zukunft. Inzwischen ist er 32 Jahre alt. Sportlich kann Werder ihn nicht ersetzen. Aber er ist auch ein Topverdiener. Seine Klasse immer nur für ein paar Spiele zu erleben, kann sich Werder nicht leisten – unabhängig davon, ob Toprak bei einem verpassten Aufstieg in der zweiten Liga bleiben würde. Je nach Saisonverlauf könnte der Zeitpunkt kommen, an dem es Sinn macht, in der Abwehr auf jüngere Spieler zu setzen. Stichwort Wiederaufbau. Diese wären zwar nicht so gut, aber belastbarer, günstiger und zukunftsfähig. Nur der Aufstieg könnte eine Vertragsverlängerung mit Toprak zur Selbstverständlichkeit machen. Weil er das Gegenteil eines Notnagels ist, kann Toprak seine Zukunft in Bremen selbst beeinflussen: Je häufiger er spielt, desto eher steigt Werder auf. Nur: Umgekehrt gilt das auch.

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