Nach drei Niederlagen in den vergangenen vier Spielen kann man bei Werder eine Menge Fragen stellen. Zu den Schwächen in der Defensive zum Beispiel. Oder überhaupt zum sportlichen Konzept fünf Monate nach dem Abstieg, das bisher für Außenstehende vor allem darin besteht, dass Clemens Fritz als "Leiter Profifußball" ständig wiederholt, wie gut er Werders Kader findet. Man darf auch den Plan für die Offensive hinterfragen - zumal Werder bei diesen drei Niederlagen nicht ein einziges Tor erzielte.
Ein paar Fragen beantworten sich inzwischen von selbst. Werder spielt nicht wie ein potenzieller Aufsteiger, und das liegt neben einer schlecht organisierten Abwehr und einem leblosen Mittelfeld auch am Angriff: Marvin Ducksch ist halt kein Simon Terodde, auch wenn er deutlich teurer war. Der noch teurere Niclas Füllkrug war bei Werder Bremen noch nie so wertlos wie in der bisherigen Zweitliga-Hinrunde. Und Eren Dinkci? Bei dem lohnt sich inzwischen eine genauere Betrachtung.

GRÜN AUF WEISS ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Natürlich kann man Dinkci mit seinen 19 Jahren nicht für Werders Probleme verantwortlich machen. Dass der Bremer Junge überhaupt Stammspieler ist, darf als einer der wenigen erfreulichen Aspekte der Saison verbucht werden. Das Problem ist eher die Rolle, die er spielt, draußen auf der Außenbahn. Dort ist er weit weg vom gegnerischen Tor und verliert in Laufduellen viele Bälle.
Fakt ist: In sieben Zweitligaspielen hat Dinkci noch kein Tor geschossen. Für einen jungen Spieler ist das einerseits nicht schlimm, andere wären froh, schon so oft zu spielen. Andererseits, und hier fängt das eigentliche Problem an: Diese null Tore passen überhaupt nicht zu dem Eren Dinkci, der sich bei Werder in kürzester Zeit in den Profikader geschossen hat. Er stand immer für Tore und nicht für herausragende Sprintleistungen oder Dribblings. Bis er zu den Profis kam, wusste er noch nicht einmal, dass er schnell ist.
Schon als Eren Dinkci die ersten Male bei den Profis trainierte, fiel er sofort auf. Damals war er erst 18 Jahre. In einer Länderspielpause durfte er sich mal zeigen. Bei diesen Trainingseinheiten schoss Dinkci sehr viele Tore. Im Schnitt machte er aus zehn Chancen acht Treffer. Da tuschelten auch die erfahrenen Spieler. Und die Trainingszuschauer fragten sich, wer der Junge ist.
Im Jugendbereich hatte sich Dinkci schon einen Namen gemacht. Als Torjägertalent des SC Borgfeld und auch als Knipser in den Bremer Verbandsauswahlmannschaften. Als Werder ihn in der A-Jugend – also ziemlich spät - verpflichtete, wurde er mit 22 Toren in 20 Spielen prompt Torschützenkönig der U19-Bundesliga. Auch bei der U23 in der Regionalliga traf er sofort: acht Spiele, sieben Tore. Bei seinem Bundesligadebüt unter Florian Kohfeldt traf er im Dezember 2020 nur 226 Sekunden nach seiner Einwechslung zum 1:0-Sieg in Mainz. Es war ein anspruchsvolles Kopfballtor: guter Laufweg, Körpertäuschung, Kopfball gegen die Laufrichtung des Torhüters – Siegtor in der 90. Minute. In der ersten Liga, wohlgemerkt.
Man kann also fragen, ob Dinkci bei Werder in der aktuellen Saison nicht zu weit vom Tor entfernt spielt - und damit weder dem Spieler, noch dem Verein geholfen ist. Es klang zwar nett, als Markus Anfang unlängst erwähnte, dass die Zuschauer aufspringen, wenn Dinkci in den Strafraum läuft. Aber vielleicht sollte er sich einfach viel öfter dort aufhalten.
Natürlich gibt es Beispiele dafür, dass sich junge Spieler erst einen zentralen Platz im Team erarbeiten mussten und auf der Außenbahn anfingen. Der prominenteste Fall war Bastian Schweinsteiger. Andererseits: Warum sollte Werder nicht auf Dinkcis allergrößte Stärke setzen, den Torabschluss? Klar, um wie Ducksch oder Füllkrug als einzige Sturmspitze gegen zwei Innenverteidiger zu bestehen, dafür fehlt ihm noch der Körper. Aber als zweite Spitze um einen Stoßstürmer herum wäre Dinkci viel wertvoller, da käme er zu seinen Torchancen.
Ohnehin würde Werder mehr Präsenz im Strafraum sicher nicht schaden. Eine solche Position sieht Anfangs Spielsystem mit zwei Flügelstürmern aber nicht vor. Nach nun schon sechs nicht gewonnen Spielen ist die Frage zulässig, ob man nicht mal das Spielsystem an den Stärken des Kaders ausrichten sollte, statt es umgekehrt zu probieren. Erst recht, wenn man so ein außergewöhnliches Sturmtalent wie Dinkci im Kader hat. Ein Risiko wäre das nicht: Es kann schließlich nur besser werden.