Wollen wir uns wirklich grämen? Werder lässt Punkte liegen gegen Mannschaften, die eigentlich zu bezwingen wären. Das passiert auch anderen – nicht zuletzt den Bayern, und das ist durchaus Anlass zur Freude gewesen. Bei uns jedenfalls.

Die langjährige Bremer Sportsenatorin Anja Stahmann (56) schreibt im Wechsel mit Jörg Wontorra, Lou Richter, Christian Stoll und Oliver Reck für unsere Zeitung, was ihr bei Werder aufgefallen ist.
Lag es beim Spiel von Werder gegen den Tabellenletzten Darmstadt nun an der fehlenden Einstellung, an der geschwächten Abwehr oder an einem Gegner, der sich widerborstig – und vor dem Tor effektiv – gezeigt hat, um wenigstens die Bremer zu schlagen, bevor er mit Leipzig und Bayern demnächst vor ganz großen Herausforderungen steht?
Ich weiß es nicht. Die Werder-Abwehr hat sich in der Personalnot stabiler gezeigt als erwartet und im Sturm nicht so effektiv wie erhofft. Zudem wirkte der reaktionsschnelle Marcel Schuhen als Darmstädter Torhüter ausgeschlafen und hat wenig zugelassen.
Was ich aber sicher weiß: Das Spiel in Bremen ist im Kölner Keller entschieden worden. Vor der Einführung des Video-Beweises hätte Werder die Partie verloren.
Zudem kann ich mich an kaum ein Fußballspiel erinnern, in dem ich so viele gelbe Karten gesehen habe. Das ist für die nächsten Spiele eine ziemliche Hypothek für eine Mannschaft, die sich inzwischen aus dem Abstiegsfeld bis auf vier Punkte an die Europacup-Plätze herangearbeitet hat – und der Abstand hätte zwei Punkte geringer sein können, wenn Werder die Darmstädter vom Platz gefegt hätte.
Auf der anderen Seite weiß ich nicht, was Werder im Moment mehr fürchten muss – den Abstieg in den Tabellenkeller oder den Aufstieg in die Höhen der Europäischen Wettbewerbe. Angesichts des Kaders wäre Platz sechs aus meiner Sicht, jedenfalls im Moment, eher ein Problem als ein Anlass zum Feiern. Vor Europa hat die Mannschaft um Ole Werner noch einiges an Entwicklungsarbeit vor sich, wie die durchweg glücklichen Punktgewinne in den Partien gegen Bochum, Mainz, Köln und Darmstadt in diesem Jahr zeigen. Werder wäre nicht der erste Verein, der die unschöne Erfahrung macht, dass die Doppelbelastung durchs internationale Geschäft einen Sog in Richtung zweite Liga auslösen kann. Ein zu erfolgreicher Saisonausklang könnte den Verein im Aufbau einer stabilen Mannschaft mit einem breit aufgestellten, flexiblen Kader also eher belasten. Europa: Schlecht für die Mannschaft, schlecht für den Verein, schlecht für das Nervenkostüm der Fans.
Aber bitte nicht falsch verstehen: Das ist kein Plädoyer für eine Niederlage gegen den direkten Konkurrenten um Platz sechs am Sonntag. Hoffenheim steht punktgleich in der Tabelle, ist aber torgefährlicher als Bremen, wenn auch hinten schwächer aufgestellt. Das verspricht zumindest ein attraktives Spiel, zumal Werder ja inzwischen auch auswärts wieder punkten kann.
Gegen Darmstadt waren die Sorgen in der Innenverteidigung noch riesig – halb so schlimm, wie sich gezeigt hat. Da sprang Christian Groß ein, dessen Leistung und Körpersprache nicht im Mindesten verrieten, dass er die letzten Spiele im Wesentlichen auf der Bank verbracht hat. Er rackert, motzt nicht, erfüllt die Aufgaben, die der Trainer ihm aufgetragen hat – wenn's sein muss auch auf ungewohnter Position. Top!
Marvin Ducksch dagegen hat sein Versprechen nicht eingehalten, weniger zu maulen und an seiner Körpersprache zu arbeiten. Warum ein Profifußballer trotz Videoschiedsrichter mit einer Schwalbe einen Elfmeter erschleichen will, bleibt mir ein Rätsel. Genau, wie sein anschließendes Gemecker.
Wie erfrischend dagegen die Auftritte von Julian Malatini. Der verfügt über Spielintelligenz und Technik und könnte sich noch als wertvoller Einkauf der auslaufenden Ära Baumann erweisen. Wie schön, dass er mit Nelson Valdez einen Bremer gefunden hat, der ihm das Ankommen an der Weser erleichtert. Es gibt durchaus Kritik am Konzept der Werder-Familie – aber hier zeigt sich ihre Stärke.
Das gilt auch für die Personalie Clemens Fritz. Dass er bleibt, halte ich für eine logische Entwicklung. Stabilität und Vertrauen sind wichtig im Leben – und sie gehören langfristig auch zu den Säulen des Erfolgs. Dass er als Ziel die Europa-Plätze ausruft, ist da sogar konsequent. Nur – wie gesagt: Bitte nicht schon in dieser Saison.