Auf den ersten Blick ist es für viele Fans nicht zu verstehen: Seit Monaten heißt es im Umfeld des Vereins, dass Werder in diesem Sommer aus wirtschaftlichen Gründen einen Millionen-Überschuss auf dem Transfermarkt erzielen muss – und dann leisten sich die Bremer einen Millionen-Mann wie den belgischen Jungstar Samuel Mbangula von Juventus Turin für rund zehn Millionen Euro. Der offensive Außenbahnspieler wird der zweitteuerste Neuzugang der Werder-Geschichte nach Davy Klaassen, der unter dem Manager Frank Baumann für knapp 14 Millionen aus Everton kam.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Was wie ein Widerspruch klingt, lässt sich bei genauer Betrachtung leicht aufklären: Denn es stimmt einfach nicht, dass Werder in diesem Sommer einen Überschuss von sieben oder noch mehr Millionen Euro erzielen muss. Zwar steht das sinngemäß auch im Anleiheprospekt, mit dem neue Geldgeber an Bord geholt wurden. Aber wichtig ist zu wissen: Das Geschäftsjahr des SV Werder endet ja nicht am Ende des Transferfensters im August, sondern erst am 30. Juni 2026. Das heißt: Sollten sich alle bösen Transfergeister gegen die Bremer verschwören und kein Spieler in diesem Sommer für einen höheren Millionenbetrag verkauft werden, könnte Werder einen solchen Verkauf auch noch im Winter realisieren oder nach der Saison im Mai.
All diese Einnahmen, ob sie heute fließen, im Winter oder am Saisonende, würden in der Bilanz des laufenden Geschäftsjahres 2025/26 verbucht – aus dieser Sicht macht es also keinen Unterschied, wann verkauft würde. Rein sportlich istes eher so: Wenn ein Verkaufskandidat wie Romano Schmid jetzt keinen neuen Klub findet, wäre Trainer Horst Steffen sehr froh, denn dann könnte er mindestens bis zur Winterpause, vielleicht sogar bis Saisonende auf die Klasse des filigranen Österreichers setzen. Wie realistisch das bei Schmid und anderen Leistungsträgern ist, wird der Markt nun zeigen. Hinter den Kulissen zeichnet sich eher ab, dass noch in diesem Sommer ein Verkauf in Millionenhöhe über die Bühne geht. Aber unterschrieben ist noch nichts.
38 wichtige Millionen
Das Neue und Gute für Werder ist: Der Verein muss nicht erst auf eine Einnahme warten, sondern ist – wie bei Samuel Mbangula – schon jetzt handlungsfähig. Das hängt mit den 38 Millionen Euro zusammen, die Werder Anfang 2024 von einer regionalen Investorengruppe bekam, dem sogenannten regionalen Bündnis, dem bis zu seinem Schalke-Wechsel auchBaumann selbst angehörte. Diese Kapitalerhöhung erleichterte schon im vergangenen Jahr Werders wirtschaften. Wichtig ist jedoch, so ist es zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung abgestimmt, diese Handlungsfähigkeit zu erhalten und nicht wieder zu verlieren. Wenn Werder nur ausgibt, aber keine größeren Summen einnimmt, wären die 38 Millionen schnell aufgebraucht.
Auch die Banken als Geldgeber achten genau darauf, dass Werder nach wirtschaftlich schwierigen Jahren wieder positives Eigenkapital hat. Werder investiert in Steine und Beine: Neun der 38 Millionen flossen gerade als Eigenkapital-Einlage in die Finanzierung des neuen Nachwuchs-Campus. Weitere Millionen wurden für Vertragsverlängerungen benötigt (z.B. Stage, Friedl, Zetterer oder Lynen), um die Gehälter dieser Spieler zu erhöhen und deren Transferwerte zu behalten. Auch die 2024 verpflichteten Skelly Alvero und Julian Malatini kosteten Ablösen.
Endlich wieder flüssig zu sein, erlaubt Werder heute ein anderes Handeln als nach dem Abstieg oder in den bedrohlichen Jahren der Pandemie. Die Zeiten sind vorbei, dass Werder erst einen Stammspieler verkaufen musste, um jemanden holen zu können. Dieser Druck führte vor zwei Jahren dazu, dass Nationalstürmer Niclas Füllkrug erst am 31. August nach Dortmund wechselte und Werder in der Hektik des letzten Transfertages Rafael Borré unter Vertrag nahm – der ein Fremdkörper blieb und nach wenigen Monaten nach Brasilien verschwand.
Die jetzigen Sportbosse Clemens Fritz und Peter Niemeyer wollen und können es anders machen: Erst einmal gezielt selbst agieren, um durch einen Schlüsseltransfer die Mannschaft gezielt zu stärken, statt im Transferendspurt plötzlich auf irgendwas reagieren zu müssen. Das hat den Vorteil, dass der neue Spieler viele Wochen früher bei Werder ist, das Spielsystem und die Mannschaft kennenlernen kann und damit idealerweise gleich zum Saisonstart eine wertvolle Verstärkung ist.
Geschäftsführer Klaus Filbry gewährt der Sportlichen Leitung den finanziellen Rahmen, damit Werder aus der Position der Stärke den Kader gestalten kann. Ein kleines Risiko ist damit verbunden, weil nicht klar ist, ob der neue Spieler einschlägt oder ob ein Millionenverkauf eines Werderspielers am Ende wirklich über die Bühne geht. Aber das ist ein vertretbares Risiko. Und wer weiß: Vielleicht schlägt der neue Mann so ein, dass er in einem Jahr das Doppelte oder Dreifache wert ist. Dann hätte Werder sehr viel richtig gemacht.