Einer der bekanntesten Sätze des legendären Sepp Herberger gilt für Werder nicht mehr: „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“ Zwar dürfen wegen der Pandemie ohnehin keine Zuschauer ins Stadion kommen. Wer sich die Bremer Spiele aber im Fernsehen anschaut, der weiß vorher ziemlich genau, was er zu sehen bekommt.
Eine Mannschaft nämlich, die sich auch gegen schlagbare Gegner weit zurückzieht und schon Halbzeiten ablieferte, in denen sie überhaupt nicht aufs gegnerische Tor schoss. Mit einer Fünf-Mann-Abwehr, die von einer defensiven Mittelfeldreihe so abgedichtet wird, dass sie in den bisherigen 28 Saisonspielen nur 43 Gegentore kassierte (im Vorjahr waren es nach 28 Spieltagen noch erschreckende 62 Gegentore); wenn der Gegner aber das Tor trifft, wäre das häufig leicht zu verteidigen gewesen.
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Eine Mannschaft mit einem Mittelfeld, das bei eigenem Ballbesitz in der Regel keinerlei Kreativität entfaltet. Und mit einem Angriff, in dem Spieler entweder viel laufen, aber wenig schießen (Sargent). Oder selbst einfache Pässe aus sechs Metern in den falschen Fuß oder zum Gegner spielen (Rashica). Oder die wenigen Torchancen so vergeben, als würden sie nicht schon viele Jahre in der Bundesliga spielen (Selke).
Es ist dabei egal, welche Spieler der Trainer aufs Feld schickt. Am Gesamteindruck ändert sich wenig. Klar, in dieser Corona-Krise muss sich der Traditionsverein irgendwie in der Bundesliga und damit am Tropf der TV-Millionen halten. Diesem Ziel ordnet Florian Kohfeldt alles unter. Spielerische Entwicklung? Ansehnlicher Fußball? Werder-DNA? Sehr viel wichtiger sind die 30 Punkte, die das Team schon geholt hat – und auf die alle Konkurrenten im Tabellenkeller seit ein paar Wochen neidisch schauen.
Glück ist kein zuverlässiger Begleiter...
Das Problem: Es werden, ebenfalls seit ein paar Wochen, keine 31 oder 33. Gegen Bayern, Wolfsburg und Leipzig setzte es die zu erwartenden Niederlagen. Gegen so starke Teams bräuchte Werder Glück. Gegen andere, wie Stuttgart, bräuchte es Können oder einen besseren, robusteren Kader. Und so steckt der Verein, bei dem es nach einer gruseligen Saison kein „Weiter so“ geben sollte, wieder dort, wo er vor einem Jahr war: im Abstiegskampf.

GRUEN AUF WEISS ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet. Die Kolumne erscheint in der Regel dienstags.
Es war halt doch kein Betriebsunfall, der in der Relegation in Heidenheim repariert wurde. Seither wurde das Team durch den Not-Verkauf von Davy Klaassen weiter geschwächt. Zum Glück standen im DFB-Pokal bisher nur unterklassige Gegner im Weg, der Einzug ins Halbfinale beschert wertvolle Einnahmen.
Doch Glück ist im Profifußball kein zuverlässiger Begleiter. Die Sportliche Leitung des SV Werder muss ihre Fehlerliste der vergangenen Jahre weiter abarbeiten und die beschönigende grün-weiße Brille ablegen, um wirklich mal entscheidend voranzukommen. Nicht immer ist es die Pandemie, die ein besseres Abschneiden verhindert. Das beweisen in dieser Saison Vereine wie der VfB Stuttgart (ein Aufsteiger), der SC Freiburg (musste auch Leistungsträger verkaufen) oder Union Berlin (wo man Max Kruse schätzt und dankt).
Zur Wahrheit in Bremen gehört nicht nur, dass ein Sieg in den letzten sechs Spielen vielleicht schon zum erneut erlösenden Klassenerhalt reichen könnte. Wahr ist auch, dass der Kader vor allem im Mittelfeld nicht erstklassig besetzt ist und niemand Werder um diesen Sturm oder den Torwart beneidet, egal, wie oft sie sich das und andere Dinge im Verein noch einreden. Rashica ist schon sehr lange keine Rakete mehr, Pavlenka gehörte nie zu den besten Torhütern der Liga, Osako wird niemals ein Kruse. Man kann diese Liste sehr lange fortführen, oder man reduziert es auf diesen Fakt: Mit Niclas Füllkrug und Ömer Toprak sind die einzigen beiden Spieler, die qualitativ herausstechen, zu oft verletzt.
Auch deshalb kann Werder in dieser Saison noch absteigen. Das würde sich auch in einer nächsten Bundesligasaison nicht ändern. Ein „Weiter so“ würde es erst dann nicht mehr geben, wenn sich Werder von Konkurrenten wie Freiburg, Union oder Stuttgart abschaut, wie man auch bescheidenere Mittel beim Kaderbau effizient einsetzen kann. Jung ist dabei übrigens kein Kriterium – es muss schon jung und überdurchschnittlich gut sein. Das würde, siehe Aufsteiger Stuttgart, auch für einen Neustart in der 2. Liga gelten. Denn dort wird ein „Weiter so“ erfahrungsgemäß am allerwenigsten verziehen.