Inzwischen ist es so weit, dass man als Zuschauer die Spiele von Werder kurz stoppen möchte, um auf dem Platz zu Marvin Ducksch zu gehen. Ihn vielleicht in den Arm zu nehmen, ihm Mut zuzusprechen, ein Schokolädchen zu reichen oder ein isotonisches Getränk und ihn einfach mal zu fragen: Junge, was ist denn los?

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Nein, das hier wird keine Kolumne, in der Marvin Ducksch dafür kritisiert wird, dass er in Augsburg eine große Chance nicht nutzte und beim Pokalspiel in Cottbus nicht traf. Im Gegenteil: Ducksch hat nun wirklich reichlich Tore für Werder geschossen und vorbereitet – und auch im DFB-Pokal einen der Treffer von Keke Topp gut aufgelegt.
Aber das mit seinen vielen Toren und Vorlagen ist inzwischen irgendwie ein Problem, denn seine guten Werte passen oft nicht zu dem Eindruck, den er vermittelt. In Augsburg machte Duckschsein 100. Spiel für Werder, das ist eine stolze Zahl. Er schoss seit seinem Kommen im August 2021 beachtliche 45 Tore, weitere 30 Treffer legte er seinen Mitspielern auf.
Wenn er in dieser letzten Transferwoche in Bremen bleiben sollte, würde Ducksch am Samstag gegen Borussia Dortmund dann auch sein 100. Erstligaspiel machen. Das ist viel mehr, als ihm zugetraut wurde. Ducksch galt lange als typischer Zweitligastürmer, für den es ganz oben nicht reicht. Dann wechselte er zu Werder und wurde erfolgreich: 20 Tore steuerte er zum Aufstieg bei, nirgends hatte er in einer Zweitligasaison mehr geschossen, nicht in Hannover, nicht in Kiel und nicht beim FC St. Pauli. An der Seite von Niclas Füllkrug klappte es sofort auch in der ersten Liga: zwölf Tore im ersten Jahr. Das schaffte er sogar wieder, als Füllkrug schon beim BVB war. Auch das: richtig gut.
Ducksch hat also in seiner Karriere noch nie so viele Tore geschossen wie bei Werder, er war noch nie so erfolgreich als Fußballer, hier wurde er sogar Nationalspieler – seine beiden Länderspiele kann ihm keiner nehmen. Er hat noch nie so viel Geld verdient wie in Bremen und war bei einem Bundesligatrainer noch nie so gesetzt wie unter Ole Werner. Er müsste eigentlich platzen vor Glück, in jedem Spiel gut gelaunt sein und die bisher schönsten Jahre seiner Karriere total genießen. Stattdessen wirkt er geknickt, ratlos, frustriert – das war schon in der Rückrunde so, als er sich viele Verwarnungen wegen Meckerns einhandelte. Man fragt sich: Warum eigentlich? Wenn auf dem Feld ein Pass nicht bei ihm ankommt oder die Idee eine Mitspielers misslingt, dann wirkt Duckschs Körpersprache schnell so, als würde alles Pech der Erde auf seinen Schultern lasten. Wenn er vorzeitig und torlos vom Feld genommen wird, wollen Reporter sogar Tränen gesehen haben.
Deshalb sei noch mal betont: Ducksch hat bei Werder mehr geleistet, als alle bei seinem Transfer von Hannover an die Weser erwartet hatten. Er ist auch ohne Tore wichtig, weil er mit seinen 30 Jahren erheblich mehr Erfahrung mitbringt als die jungen Angreifer Keke Topp (20) und Justin Njinmah (23). Weil er Räume schafft und das Spiel verlagern kann, weil er an guten Tagen mit seinem feinen Fuß gefährliche Bälle in den Strafraum schlägt.
Als würde er noch auf etwas warten...
Aber seit ein paar Monaten wirkt er so, als würde er auf etwas warten, was da noch kommt in seiner Karriere. Ein Topklub? Ein großer Vertrag im Ausland? Mehr Wertschätzung? Natürlich war es schöner für ihn, an der Seite eines Könners wie Niclas Füllkrug zu stürmen, der ihm die Tore auflegte und eine Menge von der Drecksarbeit erledigte, um die sich Ducksch zuletzt selbst kümmern musste. Aber die Füllkrug-Ducksch-Jahre kommen wohl nicht zurück. Und natürlich ist es krass für Ducksch, wenn er sieht, was für eine internationale Karriere sein Sturmpartner hinlegte: WM, EM, Finale der Champions League, jetzt ein Vertrag in England. Dazu muss man aber sagen: Füllkrug ist eine andere Kategorie als Ducksch, er bringt einfach das bessere Gesamtpaket mit.
Deshalb ist Ducksch aber kein schlechter Stürmer. Die frühen Pfiffe, der Unmut des Publikums, die überflüssigen Kommentare in den sozialen Netzwerken, die ihn sehr beschäftigen – das hat er nicht verdient, das belegen seine Zahlen. Wenn er Werder verlässt, gäbe es eine Lücke, die kein anderer im Kader sofort schließen kann. Wer glaubt, mit einem jungen Sturmduo Topp-Njinmah durch die Saison gehen zu können, der hat die Härte des Bundesligafußballs nicht verstanden. Und wenn ein neuer Mann zwölf Tore schießt? Würde der dann gefeiert? Vielleicht muss Ducksch an seiner Körpersprache arbeiten, damit er zufriedener wirkt und nicht so schnell den Unmut der zahlenden Zuschauer anzieht. Im Gegenzug sollten die Fans bedenken: Es gibt dankbarere Aufgaben, als heute Mittelstürmer im Bremer Angriff zu sein.