Vor zwei Wochen, nach dem Aus im DFB-Pokal beim Drittligisten Bielefeld, stellte der WESER-KURIER fest: Werder braucht Veränderungen. Denn Hierarchie, Leistungsbereitschaft und der Umgang im Team passen nicht zu den Zielen des Vereins, Menschen begeistern zu wollen und wieder international zu spielen. Mit dem jetzigen Personal wird das eher nicht gelingen. Und so kündigte Sportchef Clemens Fritz trotz des Sieges bei der B-Elf von Meister Leverkusen nun genau diese Änderungen für den kommenden Sommer an: Werder brauche einerseits aus wirtschaftlichen Gründen signifikante Transfererlöse, aber eben auch eine gewisse Dynamik sowie Veränderungen im Kader, um den nächsten Schritt zu machen.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Es steht also ein Umbruch bevor, in der Mannschaft, nicht aber auf der Trainerposition. Ole Werner hat sich bei den Entscheidern im Verein ein gewisses Ansehen erarbeitet. Die Heftigkeit aber, mit der sein Team im desaströs verlaufenen Februar außer Kontrolle geriet, hat auch ihm ein paar Schrammen verpasst. Er sollte sich seiner Angriffsflächen in Fragen der taktischen Flexibilität, dem Reagieren auf Formkrisen und dem Bei-Laune-Halten der zweiten Reihe bewusst sein. Aber man schätzt bei Werder seine ruhige Art nach den wirren Monaten unter Vorgänger Markus Anfang. Wenn sich der noch junge Trainer in kniffligen Fragen erkennbar entwickelt, kann er bei Werder mit gutem Gefühl einen neuen Vertrag unterschreiben.
Von zentraler Bedeutung beim bevorstehenden Umbruch ist die Auswahl der Spieler: Wer trotz Verkäufen von Stammkräften danach besser werden will, der muss sehr gut einkaufen und eine hohe Einigkeit mit dem Cheftrainer haben, dass die neuen Spieler dann auch bedingungslos spielen. Das wäre ein weiterer Entwicklungsschritt für Werder. Mit Breite im Kader muss man umgehen können – sonst verkümmert die zweite Reihe und spielt dann so schwach wie ein Julian Malatini eben spielt, wenn er monatelang nur an der Playstation zum Einsatz kam.
Die Verantwortlichen müssen sich der Skepsis einer breiten Fanbasis bewusst sein, die ihnen einen Top-Umbruch eher nicht zutraut. Anders als zuletzt geschehen, müssen die Werder-Macher nun liefern. Der Blick zurück erklärt die Zweifel. Der vermeintliche Super-Coup Naby Keita hätte Werder nie passieren dürfen, und wenn man sich die Aufstellung beim Sieg in Leverkusen anschaut, ist es Fakt: Von den Neuzugängen der letzten eineinhalb Jahre stand nur einer in der Startelf, nämlich Stürmer André Silva – und der hat in sechs Spielen für Werder immer noch kein Tor geschossen. Dagegen wurden sechs der Neuen nicht für geeignet befunden, von Beginn an zu spielen. Sie saßen alle auf der Bank: Marco Grüll, Derrick Köhn, Skelly Alvero, Issa Kaboré, Keke Topp und Malatini.
Michael Zetterer sollte eher nicht Teil des Umbruchs sein. Für Torhüter mit seinen Qualitäten im Spielaufbau gibt es immer einen Markt, in Leverkusen zeigte er auch seine grundsätzlichen Qualitäten. Er hilft der Mannschaft als Anspielstation und Eröffnungsspieler mehr, als seine drei Fehler in der bisherigen Saison geschadet haben. Was bei Zetterer oft nicht bedacht wird: Er spielt erst seine erste komplette Saison. Vergangene Saison kam er am achten Spieltag für Jiri Pavlenka zwischen die Pfosten – er verdrängte ihn durch Leistung. Dass Torhüter in ihren ersten beiden Jahren Fehler machen, ist normal. Bei Welttorhüter Manuel Neuer waren es einst so viele, dass die Boulevardmedien brüllten: „Manuel Teuer – kostet dieser Torhüter Schalke die Meisterschaft?“
Pavlenka machte mehr Fehler
Verglichen damit sind Zetterers Patzer nach zwei Ecken und bei einem Fernschuss nicht dramatisch. Kurios ist, dass Pavlenka viel mehr schlechte Szenen hatte, mit dem Ball am Fuß, aber trotzdem in Bremen ein höheres Standing genießen durfte. Dabei schaffte es Pavlenka viele Jahre in keine Rangliste des Fachmagazins Kicker, es gab auch nie ein Angebot anderer Vereine für ihn – obwohl Werder ihn gerne verkauft hätte und auch er Bremen eher als Sprungbrett sah.
Bei Zetterer ist das anders. Er ist mit Milos Veljkovic der dienstälteste Werderaner. Beide wurden 2015 vom damaligen Manager Thomas Eichin verpflichtet, so lange ist das her. Nach heiklen Verletzungen ist Zetterer nun da, wo er immer sein wollte: im Bremer Tor. Er lebt seinen Traum, er träumt nicht von einem anderen Leben. So richtig honoriert wird das vom Werder-Umfeld bisher nicht. Dass er wegen einer Erkältung gegen Wolfsburg nicht den Platz räumte, war nur logisch. Dieter Burdenski, Werders Rekordmann, betonte immer, dass er nie seinen Ersatzmann ins Tor gelassen hätte: „Auf keinen Fall! Der konnte ja auch Bälle halten. Dann wird der dreimal angeschossen und behält plötzlich meinen Platz.“ Nationaltorhüter Toni Schumacher spielte sogar lieber mit gebrochenen Fingern, statt seinen Rivalen spielen zu lassen. Er wurde genau dafür bewundert und gefeiert.