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Neues Buch Werder-Präsident Ries hat nicht für die Nazis spioniert

Immer wieder rankten sich böse Gerüchte um den jüdischen Werder-Präsidenten Alfred Ries. Ein neues Buch räumt damit gründlich auf – Ries hat niemals mit den Nazis kollaboriert.
19.03.2022, 21:00 Uhr
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Werder-Präsident Ries hat nicht für die Nazis spioniert
Von Frank Hethey

Immer mal wieder geistert der böse Verdacht durch die Welt, Alfred Ries habe insgeheim mit den Nazis zusammengearbeitet. Der frühere Präsident des SV Werder Bremen soll als Agent der Abwehr für Hitler-Deutschland spioniert haben. In den frühen Nachkriegsjahren ging man im Bremer Amt für Wiedergutmachung sogar dem Verdacht nach, Ries könne Mitglied der NSDAP gewesen sein – als Jude.

Doch diese Spekulationen dürften nun endgültig der Vergangenheit angehören. Im jetzt publizierten Sammelband "Werder im Nationalsozialismus. Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder" nehmen ausgewiesene Fachleute seine Vita gründlich unter die Lupe. Das Ergebnis: Es ist nichts dran an den Gerüchten. 

Mit dem neuen Buch liegt erstmals eine wissenschaftliche Untersuchung der Vereinsgeschichte im Dritten Reich vor. Der Fokus liegt auf dem so heftig angefeindeten Ries. Wie der Untertitel aber klar macht, spielen noch weitere jüdische Vereinsmitglieder eine Rolle. Unter ihnen der hochdekorierte Kriegsveteran Arthur Rosenthal und Werder-Schiedsrichter Hugo Grünberg, die beide 1942 in Minsk ermordet wurden. Präsentiert wurde das umfangreiche, reich bebilderte Buch am Donnerstagabend in der Ostkurve des Weserstadions vor mehr als 100 Gästen. Erschienen ist es im Bielefelder Werkstatt-Verlag, der sich schwerpunktmäßig mit deutscher Fußballgeschichte befasst. 

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Bei ihrer Buchvorstellung wies die Historikerin Sabine Pamperrien auf die Vielzahl neuer Quellen hin, die das Bild des einstigen Vereinschefs zurechtrücken. Sie selbst hat sich mit der Mär vom Agenten Ries befasst, die 2017 durch den Sporthistoriker Arthur Heinrich neue Nahrung erhielt und 2020 in einem Fernsehbeitrag weitergesponnen wurde. Dabei seien Gestapo und Abwehr in einen Topf geworfen worden – doch tatsächlich habe die Abwehr verfolgten Juden Agentenausweise ausgestellt, damit sie im Ausland unbehelligt leben konnten. Der Abwehrmitarbeiter Walter Frischmuth gab diese Aussage im Dezember 1952 in Bremen zu Protokoll. Die Behörde habe seinen Angaben aber "schlichtweg nicht geglaubt". 

Für den Juristen Dirk Harms, ehemals Richter am Landgericht Bremen, spiegelt sich darin die dritte Verfolgung des jüdischen Vereinschefs wider – erst die Verfolgung durch die Nazis, dann die Nachstellungen im Rahmen der Wiedergutmachungsverfahren, schließlich die Verdächtigungen in der Gegenwart. Sein Fazit: Der Sporthistoriker Heinrich habe eine von "vornherein tendenziöse Darstellung" vorgelegt, die keiner kritischen Prüfung standhalte.

"Wir sind unglaublich froh, dass wir belegen konnten, dass Alfred Ries kein Kollaborateur war", sagte Thomas Hafke. "Ries war ein Opfer, aber wurde zum Täter gemacht." Der Sozialwissenschaftler war jahrelang für das Fanprojekt Bremen tätig und maßgeblich an der Erstellung einer Ries-Broschüre beteiligt, die als Vorstufe des neuen Werder-Buchs gelten kann.

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Eine Ausnahme sei der Fall Ries sicher nicht, sagt Mitautor Marcus Meyer, Leiter des Denkorts Bunker Valentin. Als Beispiel nennt er den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Carl Katz. Doch woher diese Bezichtigungen? Meyer spricht vom "Scham der Tätergesellschaft". Da sei es "ganz hilfreich, wenn es Kollaborateure gibt". Eine Rolle könnte in seinen Augen auch traditionelle "Klassenfeindschaft" gespielt haben. In den Nachkriegsbehörden saßen eben nicht nur alte Nazis. Sondern auch Sozialdemokraten und Kommunisten, die sich mit der vermeintlichen Schuld bürgerlicher Juden befassten. Eine aberwitzige Konstellation: Obschon sie gemeinsam unter dem NS-Regime gelitten hatten, habe es keine Solidarisierung gegeben.

Erleichtert zeigte sich der aktuelle Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald über die Entlastung seines Vorgängers. "Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre: Unsere Wertschätzung für die Leistungen von Alfred Ries hätte das nicht gemindert." Auf das moralische Dilemma jüdischer Kollaborateure im Dritten Reich machte die Soziologin Tamar Rapoport von der Hebrew University of Jerusalem und Humboldt Universität Berlin aufmerksam. Positiv äußerte sie sich über die Bandbreite der Erinnerungsarbeit im deutschen Fußball. Ihre These: Die Aufarbeitung der Familiengeschichte sei abgeschlossen. "Nun wollen die Jüngeren wissen, was in ihren Vereinen geschehen ist." 

Nicht mehr erlebt hat Hilde Ries die Buchpublikation und damit die vollständige Rehabilitation ihres Mannes. In die Recherchen war sie noch eingebunden, erst kürzlich ist sie hochbetagt in Wiesbaden gestorben. In Bremen wollte sie nach dem Tod ihres Mannes im August 1967 nicht bleiben – die Vergangenheit war für sie noch allzu lebendig.

Info

Fabian Ettrich, Marcus Meyer, Lucas Bracht u.a.: Werder im Nationalsozialismus. Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder. Verlag Die Werkstatt, Bielefeld. 320 Seiten, 29,90 €

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