Einmal mehr schreiben es Wirtschaftswissenschaftler schwarz auf weiß: Wirtschaftlich droht Bremerhaven zusammen mit den Regionen Cuxhaven und der Wesermarsch, den Anschluss zu verlieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Für die Studie untersuchte das Institut, wie von ihr 96 zuvor definierte Regionen in Deutschland bei bestimmten Themen abschneiden. Dafür bewertete es die Gebiete nach verschiedenen messbaren Indikatoren.
Beschränkt auf die wirtschaftliche Entwicklung betrachteten die Forscher neben der Arbeitslosigkeit die Kaufkraft, die Überschuldung privater Haushalte und das Bruttoinlandsprodukt. Dabei schnitt neben Schleswig-Holstein Ost und Bremerhaven auch Bremen schlecht ab. IW-Direktor Michael Hüther sagte bei der Präsentation der Studie in Berlin: „Bei Bremerhaven fällt vor allem die hohe Verschuldung der privaten Haushalte ins Gewicht.“ Hier sei die Seestadt zusammen mit den Landkreisen Cuxhaven und Wesermarsch sogar bundesweiter Spitzenreiter. Bremen und Schleswig-Holstein Ost erhalten wegen der hohen Arbeitslosenquote eine schlechte Bewertung der Wirtschaftsentwicklung.
So negativ will es der Sprecher der Stadt Bremerhaven, Volker Heigenmooser, nicht sehen: „Wir sollten uns den Pessimismus nicht von außen in die Stadt tragen lassen.“ Bei der Pro-Kopf-Verschuldung sieht er eine statistische Verzerrung dadurch, dass die Stadtgrenze auch Landesgrenze sei: „Würde man hier das niedersächsische Umland hinzuzählen, sehe das schon ganz anders aus.“
Heigenmooser sieht es so, dass die Erkenntnisse nicht neu seien. Zum Ende der 1990er-Jahre habe man aber nach einigen Jahren der Schockstarre begonnen, die Probleme anzugehen. „Die Arbeitslosenquote von Bremerhaven lag mal bei 25 Prozent. Jetzt sind wir knapp über zwölf Prozent“, fügt der Sprecher an. „Keiner legt hier die Hände in den Schoß, und es wird weiter an der Modernisierung der Stadt gearbeitet.“ Was die finanzielle Situation der Menschen in Bremerhaven angehe, sehe Oberbürgermeister Melf Granz (SPD) klar, dass die Stadt das soziale Gleichgewicht hinbekommen müsse. Sprecher Heigenmooser sagt über die aktuelle Situation: „Bremen ist von den Jobs her so breit aufgestellt wie noch nie, und pro Kopf gibt es mehr Jobs und wie es sie nicht in vielen anderen Städten gibt.“ Dabei nehme die Zahl der akademischen Jobs stetig zu.
Weitere Faktoren für die Studie waren unter anderem das Durchschnittsalter der Bevölkerung, die Geburtenrate oder auch die Breitbandversorgung. Fasst man alle Faktoren der Studie zusammen, stuft das IW insgesamt 19 Regionen als gefährdet ein. Der Handlungsbedarf sei dabei am größten in der Altmark, in Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg sowie den Ruhrgebietsregionen Emscher-Lippe und Duisburg/Essen. Auf den dritten und vierten Plätzen befinden sich acht weitere Regionen. Dann kommt auf dem fünften Platz Bremerhaven in einer Gruppe zusammen mit Regionen wie Dortmund, Halle an der Saale oder auch Südsachsen.
Bei der Demografie steht Bremerhaven dagegen genauso durchschnittlich da wie viele andere Regionen. Ganz vorn liegt bei dieser Studie die Seestadt bei der Zahl der Azubis. Hier sind es mindestens neun Prozent bezogen auf alle Beschäftigten in der Stadt mit einer Ausbildung, womit man sich im Spitzenfeld befindet. Dabei ist es so, dass viele Jobs und Ausbildungsplätze von Personen besetzt werden, die im niedersächsischen Umland wohnen – in manchen Jahren ist es jeder Zweite.
Gute Infrastruktur
Auch bei der Infrastruktur steht Bremerhaven besser da als viele andere Regionen. Die größten Probleme sieht das IW bei den Regionen Emscher-Lippe, Trier und der Westpfalz. Bei Regionen auf dem Land trägt beispielsweise der mangelnde Breitbandausbau zur Infrastrukturschwäche bei. Nimmt man die Internetanbindung, die Ärztedichte, kommunale Schulden sowie Immobilienpreise zusammen, diagnostizierte die Studie Probleme in Südniedersachsen, der Südheide sowie in Schleswig-Holstein Nord und Süd-West.
Damit die Regionen nicht in die Abwärtsspirale geraten, schlägt IW-Direktor Hüther vor: „Hohe Schulden versperren den Weg zu notwendigen Investitionen und schränken die Handlungsfähigkeit massiv ein. Die Politik muss daher über Schuldenerlasse auf kommunaler Ebene nachdenken, wobei natürlich die Anreizwirkung nicht außer Acht gelassen werden darf.“ Denn sobald kaputte Straßen nicht mehr repariert werden, würden sich die Anwohner verglichen mit anderen Regionen schlecht behandelt fühlen. Dadurch nehme die Unzufriedenheit zu.
Als Datenmaterial verwendete die Studie nicht ganz aktuelle Zahlen. Die Arbeitslosenquoten stammen beispielsweise von 2017, und die Daten des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf sind aus dem Jahr 2016. Das garantierte allerdings, dass für alle Regionen, Städte und Landkreise die Zahlen zuverlässig vorlagen.