Immer mehr Menschen setzen sich sehr bewusst damit auseinander, was sie essen und trinken. Sei es aus ethischer Überzeugung oder weil sie Bestandteile von Lebensmitteln nicht vertragen. Prominente machen es vor, und der Berliner Koch Attila Hildmann erklärt in zahlreichen Fernsehsendungen, wie man vegan kocht.
Dieser Trend schlägt sich auch in Szenevierteln vieler Großstädte nieder. Den Latte-Macchiato gibt es hier häufig auch mit Sojamilch statt mit herkömmlicher Kuhmilch. Die Zeiten, in denen Vegetarier und Veganer als Ökoweltverbesserer abgestempelt wurden, sind längst vorbei.
Doch wie sieht die Realität im Supermarkt aus? Gibt es immer mehr Sojamilch für Veganer in den Regalen der Discounter-Ketten? Immerhin stellt das Marktforschungsunternehmen Nielsen in einer aktuellen Untersuchung fest: „Lukrative Nischensortimente gewinnen für Industrie und Handel immer mehr an Bedeutung.“ Von Februar 2014 bis Januar 2015 habe der Lebensmitteleinzelhandel etwa 289 Millionen Euro mit vegetarischen und veganen Produkten umgesetzt. Das sei ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Absatz sei im selben Zeitraum um 23 Prozent gewachsen. Das Volumen der verkauften Ware betrug laut Nielsen circa 98 000 Tonnen.
Vegetarisch ist aber nicht vegan. In Deutschland gelten 7,8 Millionen Menschen als Fleisch vermeidende Vegetarier, aber nur 900 000 Konsumenten leben vegan. Das heißt, sie lehnen unter anderem alle Lebensmittel ab, die tierischen Ursprungs sind. Dazu gehört natürlich Fleisch, aber auch beispielsweise Honig. Und im Gegensatz zu Vegetariern verzichten Veganer auch auf die tierische Milch; sie greifen stattdessen zu Ersatzprodukten wie Mandel-, Hafer- oder Sojamilch.
Diese Erzeugnisse sind bis heute aber ein absolutes Nischenprodukt. Der größte Teil derjenigen, die Milch trinken, ins Müsli schütten oder zum Kochen verwenden, kauft Kuhmilch. Peter Rose, Leiter des Studiengangs Management im Handel an der Hochschule Bremen, sagt: „Nur 0,3 Prozent aller Konsumenten ab 14 Jahren verwenden täglich Sojamilch. Das sind umgerechnet 210 000 Menschen in Deutschland.“ Bei der Abfrage derjenigen, die Sojamilch nicht täglich, aber doch mehrmals wöchentlich verwenden, sieht es nicht viel besser aus, sagt Rose. Nur 0,6 Prozent aller Befragten gehörten demnach zu den regelmäßigen Sojamilchtrinkern.
Diese Zahlen sprechen für sich. Wie kann es aber zu einer so großen Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und dem tatsächlichen Konsum kommen? Christoph Burmann, Leiter des Lehrstuhls für innovatives Markenmanagement an der Universität Bremen, hat darauf eine Antwort: „Es ist ein grundsätzliches Problem, das uns bei Umfragen immer wieder begegnet. Oft gibt es einen gravierenden Widerspruch zwischen dem, was Konsumenten in Umfragen sagen, und dem, was sie tatsächlich tun.“ In Interviews versuchten die Probanden als rationale, aufgeklärte Personen aufzutreten – auch wenn das nicht ihrem tatsächlichen Kaufverhalten entspricht. Das werde in Wirklichkeit von Gefühlen und Gewohnheiten getrieben. Burmann sagt: „Die Marke, die schon in der Kindheit im Kühlschrank stand – das ist ein Träger positiver Gefühle. Dagegen haben es neue Produkte sehr schwer.“ Das gilt auch für Milch.