Es ist 16.45 Uhr im Hafen von Jamaikas Hauptstadt Kingston. Da liegt sie vor mir, die 130 Meter lange und 21 Meter breite „CFS Panjang“. Sie ist zehn Jahre alt und fasst mehr als 600 Standardcontainer. An einigen Stellen sind kleine Rostflecke zu sehen. Sie verraten, dass sie ständig im Einsatz ist. Als Feederschiff (englisch „to feed”: füttern, versorgen) transportiert sie Container von den kleineren zu den großen Häfen. Dort warten bereits große Frachter, um die Ladung über die Ozeane zu bringen. Eine Voraussetzung für diesen Zubringerdienst ist ein geringer Tiefgang. Die „CFS Panjang“ taucht lediglich 6,2 Meter tief ein und kann damit auch in flacherem Wasser wie im Hafen von Belize City anlegen. Das Schiff stellt für mich in den kommenden elf Tagen meine 130 Meter Karibik dar.
In meinem Hotel abgeholt und mich zum Hafen gefahren hat mich Jens Pohl. Er arbeitet für die Bremer Reederei Harren & Partner. Bis vor einigen Monaten gehörte ihr die Mehrheit an der Container Feeder Services – kurz CFS. Gegründet hatte das Unternehmen, das in der Karibik mit 16 Schiffen den Containerverkehr organisiert, Peter Harren 1999.
Pohl ist bis zum Verkauf des Feederdienstes mehrmals im Jahr von Bremen nach Jamaika geflogen, um regelmäßig vor Ort zu sein. Heute ist ein Konsortium aus einer spanischen Schifffahrtsagentur und Finanzinvestoren Eigentümer der CFS. Harren & Partner ist weiterhin für das Schiffs- und Crewmanagement zuständig. Pohl hat mir bei der Organisation meiner Tour geholfen, nachdem Harren, Chef der Reederei und selbst Kapitän, das Okay für meinen Aufenthalt gegeben hat.
Unsere Fahrt zum Hafen dauert etwa 30 Minuten. Wir passieren dabei die ärmeren Viertel von Kingston. An einer roten Ampel stehen Kinder und strecken uns ihre Hand entgegen. Sie erhoffen sich von uns ein wenig Kleingeld. Einen Tag vorher sagte mir ein Jamaikaner am Touristenstrand, für den man Eintritt zahlen muss: „Unser wichtigstes Kapital siehst Du da oben am Himmel – das ist die Sonne.“ Der Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle des Inselstaats.

Sie wechseln sich auf der Brücke alle vier Stunden ab (von links): Kapitän Valentin Cristian aus Rumänien, Zweiter Offizier Christopher Murray und Erster Offizier Jovan Weir, beide aus Jamaika.
Der Kingston Freeport ist wie die meisten Häfen der Welt nicht für jeden zugänglich. Nur Personen mit einem entsprechenden Ausweis kommen auf das Gelände. Für mich hat Pohl das Dokument besorgt. Ich melde mich an, mein Gepäck wird überprüft. Auch der Mietwagen wird gefilzt. Jamaika ist ein beliebter Ort für den Drogenumschlag.
An der „CFS Panjang“ nimmt mich Giorgi Dolidze aus Georgien in Empfang. Meinen schweren Rucksack packt sich der 28-Jährige auf den Rücken, als wäre er ein Luftballon und trägt ihn bis in die Kabine. Das könnte ich zwar auch selbst übernehmen, aber Widerstand ist zwecklos. Mein erster Kontakt zur Crew ist angenehm. Ich versuche, mir die Namen zu merken. Auf dem Schiff ist das Du üblich, das macht es einfacher. Nur den Kapitän spreche ich als Respektsperson immer mit seinem Nachnamen an.
Kurz lerne ich Kapitän Glenn Peter Wrede aus Hamburg kennen. Er hat jetzt Urlaub und geht von Bord. Ihn löst Kapitän Valentin Cristian aus Rumänien ab. Doch bevor Wrede das Schiff verlässt, gibt er mir einige Hinweise mit auf den Weg: An Deck soll ich mich immer nur mit dem orangefarbenen Overall und mit Sicherheitshelm aufhalten. Liegt das Schiff im Hafen, soll man immer nur an der Seeseite nach vorn laufen. Das ist verständlich, da das Schiff in dieser Zeit zur Hafenseite be- und entladen wird und so die Gefahr größer ist, dass jemandem etwas auf den Kopf fallen könnte. Gehe ich an Deck allein nach vorn, soll ich immer unter der Telefonnummer 31 den Kapitän benachrichtigen. Sonst vermisst mich keiner, sollte ich über Bord gehen. Immerhin erhöht das grelle Orange des Overalls die Wahrscheinlichkeit, dass man mich im Wasser sieht.
Gegen 18 Uhr gibt es Abendessen, das Schiffskoch Viktor Alyeksyeyev zubereitet hat. Der 36-Jährige stammt aus der Ukraine. Beim Essen lerne ich weitere Crewmitglieder kennen. Und was ich auch bemerke: Sonntags gibt es immer Eis. Später begleitet mich der Bosun, das ist die internationale Bezeichnung für den Bootsmann, auf das untere Deck ins Trockenlager, in dem alles lagert, was nicht gekühlt werden muss. Er heißt Oleksandr „Oleks“ Matyushynets, ist 53 Jahre alt und kommt aus Russland. Dort angekommen gibt er mir den quietschorangen Overall.

Im Hafen von Kingston auf Jamaika, kurz bevor ich an Bord gehe. Im Hintergrund ist die „CFS Panjang“ zu sehen.
Geplant war, dass die „CFS Panjang“ um 18 Uhr ausläuft. Doch bis 20 Uhr werden noch Container geladen, erst gegen 22 Uhr kommt das Tankschiff. Ich schaue derweil zwei Crewmitgliedern beim Playstationspielen zu. Auf See gibt es keine schnelle Internetverbindung, und Spielkonsolen brauchen schließlich kein Internet. Später sitze ich im Raucherraum, in dem der Bosun Oleks zusammen mit Kostyantyn „Kostya“ Vakulenko Gitarre spielt, wobei Oleks am besten singen kann. Kostya ist an Bord der Fitter. Das bedeutet, er ist der Schlosser und zuständig für alle anfallenden Reparaturen. Während der Pausen nimmt immer mal jemand die Gitarre in die Hand und spielt ein wenig. Auch Giorgi ist dabei. Später verlässt er die Runde, weil er noch ein paar Gasflaschen im Maschinenraum verstauen soll. Mit der gleichen Leichtigkeit, wie er meinen Rucksack in die Kabine befördert hat, stellt er an der Kaimauer die Gasflaschen zurecht, knotet daran robuste Seile fest, um sie mit dem schiffseigenen Lastkran an Bord zu hieven.
Wann läuft die „CFS Panjang“ aus? Die typische Antwort auf Jamaika lautet „Soon come!“ Das lässt sich mit „Bald!“ übersetzen – allerdings kann das eine Minute, einen Tag oder eine Woche bedeuten. Gegen 2.30 Uhr ist das Tankschiff schließlich fertig. Ich liege bereits in meiner Kabine und höre, wie gegen 2.45 Uhr die Motoren angelassen werden. Um etwa 3.15 Uhr laufen wir aus. Das Schiff schwankt. Eine halbe Stunde später hat sich der Körper an das Schaukeln gewöhnt. Gute Nacht!
Weitere Informationen
„CFS Panjang“
Das Containerschiff „CFS Panjang“ wurde 2008 in China gebaut und fährt unter der Flagge Jamaikas. Es ist knapp 130 Meter lang, fast 21 Meter breit und hat einen Tiefgang von bis zu 7,40 Metern. Zum Vergleich: Der maximale Tiefgang des Kreuzfahrtschiffs „Mein Schiff 6“ beträgt 8,05 Meter, die „CMA CGM Antoine de Saint-Exupéry“, eines der größten Containerschiffe der Welt, hat einen Tiefgang von bis zu 16 Metern. Die „CFS Panjang“ befördert maximal 702 Standardcontainer und fährt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 17 Knoten. Das entspricht etwa 31,5 Kilometer pro Stunde. Obwohl das Schiff in China gebaut wurde, trägt es am Bug den Bremer Schlüssel.
Harren & Partner
. . .ist nach Zeaborn die zweitgrößte Reederei Bremens und hat ihren Sitz im Büropark Oberneuland. Der Kapitän Peter Harren gründete sie im Jahr 1989. Das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben rund 250 Mitarbeiter an Land und etwa 2300 Mitarbeiter auf See. 1999 startete die Firma Caribbean Feeder Services, die über zehn Linien verfügt und 24 Häfen miteinander verbindet. Der Ausgangspunkt ist stets Kingston, die Hauptstadt Jamaikas.