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An Bord der MS „CFS Panjang“ Dritter Tag

WESER-KURIER-Redakteur Florian Schwiegershausen ist elf Tage in See gestochen. Die Binsenweisheit, dass jedes Leben ein stetes Auf und Ab ist, bewies sich auf dem Schiff auf eine andere Art und Weise.
19.04.2019, 23:13 Uhr
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Dritter Tag
Von Florian Schwiegershausen

Um 6.45 Uhr klingelt mein Wecker, damit ich pünktlich zum Frühstück komme. Die Nacht war ruhig. Das Schwanken des Schiffes nimmt mein Körper kaum noch wahr. Der GPS-Check auf dem Smartphone zeigt: Das Schiff befindet sich etwa 50 Kilometer nördlich der Küste von Honduras.

An diesem Morgen hat der Schiffskoch heiße Würstchen – Rindswurst, damit auch die muslimischen Crewmitglieder an Bord sie essen dürfen – und hart gekochte Eier vorbereitet. Ich setze mich in den Crewraum. Etwas später kommen Bordkadett Emre und Maschinenkadett Kedir. Drüben in der Offiziersmesse frühstückt nur der Zweite Maschineningenieur. In der Kombüse klopft Viktor bereits Schnitzel – das heutige Mittagessen. Später begleite ich Kostya, den Fitter und Schlosser. Er arbeitet in der Mitte des Schiffs auf einer Laderampe. Eine Eisenplatte hat ein kleines Loch. Da dort kein Container steht, ist der Schaden zurzeit erreichbar. Ich klettere über die Leiter auf die Plattform und nehme das Schweißgerät sowie andere Sachen entgegen, die der Fitter mir reicht.

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Während er geschickt das Problem behebt, schaue ich ihm wissbegierig zu. Doch plötzlich geht nichts mehr, der Strom ist weg. Der Experte findet das Problem schnell, setzt die Sicherung wieder ein und arbeitet weiter. Das ist gut, denn auf Backbord sind in der Ferne aufgetürmte Wolken mit Regenschauern zu sehen. An Bord des in China gebauten Schiffs gibt es übrigens eine Spannung von 220 Volt und Steckdosen wie daheim, auf anderen Schiffen sind 110 Volt üblich. Die Kühlcontainer hingegen werden mit 440 Volt versorgt. Kostya wird fertig, als die ersten Regentropfen fallen.

Es geht runter in den Maschinenraum. Dort blickt Maschineningenieur Sergiy in seinen Computer, neben ihm liegt ein Musterheft mit Ersatzteilen, Rohrstücken und anderen Dingen. Er möchte etwas bestellen. Der Vorgang an sich funktioniert wie an Land, muss aber viel langfristiger geplant sein. Erteilt er jetzt den Auftrag, sind die Teile erst in etwa drei Monaten da. Die Liste geht bei der Rückkehr in Kingston an die Reederei, die diese dann an die Firma Kloska weitergibt, und die kümmert sich um die Beschaffung. Wenn es dringend ist, kann er die Liste auch per E-Mail über eine Satellitenverbindung verschicken.

Da wir im Nebenraum zur Maschine sitzen, ist es ruhig genug zum Unterhalten. Sergiy stammt aus Sewastopol. Ihm gefalle es ganz gut auf einer Rundtour wie dieser. Da sei man jeden zweiten oder dritten Tag an Land. Früher sei er auf Schiffen gefahren, die wochenlang auf hoher See unterwegs waren. Je mehr Hafenanläufe, desto mehr Arbeit bedeutet das für die Crew. Aber Sergiy, dessen Sohn ebenfalls auf einem Schiff arbeitet, hält das für praktischer. So könne er besser Kontakt zur Familie halten. Dazu hat er für die Länder Mittelamerikas und die Dominikanische Republik alle notwendigen SIM-Karten. Das erzählt er, während er einen Kaffee zubereitet. Fitter Kostya trinkt eine Tasse mit. Kostya stammt aus Kertsch. Beide kommen also von der von Russland annektierten Krim. Zwist oder Feindseligkeiten zwischen den Ukrainern und den Russen an Bord sind aber nicht spürbar. Nach meinem Eindruck geht es auf dem Meer darum, dass die Crew gut zusammenarbeitet.

Zum Mittagessen gibt es die Schnitzel, Makkaroni, dicke weiße Bohnen in Tomatensoße sowie Salat. Danach trinke ich noch einen Kaffee und lege mich für eine kurze Siesta hin. Doch dadurch komme ich etwa 15 Minuten zu spät an Deck. Dort schrubben bereits Kadett Emre und Vollmatrose Mesut die Brücke sowie das Deck. Gleichzeitig rollen und schneiden Bosun Oleks und Leichtmatrose Giorgi von einer schwarzen Rolle Matten zurecht. Sie sollen an den Stellen, an denen Leitern zum Containerdeck führen, verhindern, dass jemand ausrutscht. Oleks scharfes Messer, das er immer in seinem Overall hat, wirkt beim Zurechtschneiden Wunder. Während der Arbeit ist zu hören, wie in einem der Container im Rhythmus des schwankenden Schiffes etwas hin- und herrollt. Doch das Geräusch klang nicht danach, als ob etwas kaputtgehe. Anscheinend ist die Ladung im Inneren nicht genug gesichert.

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In den Container zu schauen, ist in diesem Fall keine Option. Er steht so, dass die Türen nicht einfach mal so zu öffnen sind. Doch es gibt auf dem Schiff eine Liste, in der genau festgehalten ist, was die jeweilige Blechkiste enthält. Wäre etwas für das Schiff Gefährliches darin verstaut, würden die Seeleute den Container öffnen. Das ist in diesem Fall nicht notwendig. Wo auf dem Schiff welcher Container seinen Platz erhält, ist das Arbeitsgebiet des Ersten Offiziers Jovan. Mithilfe des Computers verplant er von Hafen zu Hafen die Stellplätze. Dabei geht es um das Gewicht und auch darum, in welchem Hafen der Container wieder von Bord gehen soll. Zurück an Deck mache ich mich später etwas nützlich: Ich helfe, den Plastikmüll in die entsprechende Tonne auf dem oberen Deck zu tragen. Der Abfall wird am nächsten Tag in Guatemala entsorgt.

Nachmittags überprüfen Giorgi und Emre die Temperaturen der Kühlcontainer. Alles in Ordnung. Einige haben etwa acht Grad, andere minus 18 Grad. Zweimal am Tag werden die Temperaturen gecheckt und die Werte in eine Tabelle eingetragen. Da er gerade am Computer ist, zeigt mir Giorgi auch, wie er mithilfe eines Programms und der Füllmenge der Ballasttanks dafür sorgt, dass das Schiff ausgewogen belastet ist. Ist das Gewicht falsch verteilt, könnte die „CFS Panjang“ im schlimmsten Fall in der Mitte brechen. Doch davon möchte Giorgi lieber nicht reden, sondern von lustigeren Dingen und erzählt eine Anekdote: Einmal habe es einen Fehler beim Übertragen der Einkaufsliste gegeben. Statt zehn Kürbissen enthielt die Lieferung 100: „Wie oft ich da in den Kühlraum gelaufen bin. Und wenn ich wieder hochkam, lagen da immer noch so viele.“

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Vom Bauch des Schiffes wechsele ich zur Brücke. Dort gibt mir der Kapitän meinen Crewpass, der mich berechtigt, in den Häfen an Land zu gehen. Bevor ich das Dokument genauer begutachten kann, meldet sich Chefoffizier Jovan zu Wort. Als Jamaikaner hat er eine besondere Sicht auf die Dinge und sagt: „Florian, schreibe: Wenn wir von einem auf den anderen Tag unsere Arbeit einstellen, kann die Weltwirtschaft dichtmachen. Ich bin aus Jamaika, das Land ist als Insel auf den Schiffsverkehr angewiesen.“

Die Binsenweisheit, dass jedes Leben ein stetes Auf und Ab ist, beweist sich auf dem Schiff auf eine andere Art und Weise. Seitdem die „CFS Panjang“ Guatemala verlassen hat, schwankt der Boden unter meinen Füßen unaufhörlich. Als wir von Jamaika Richtung Guatemala gefahren sind, kam der Wind von Osten. Mit diesem Rückenwind rollten die Wellen von hinten auf das Schiff. Auf dem Abschnitt nach Belize kommen sie von halb rechts und knallen mit voller Wucht auf das Schiff. Aber dem Hörensagen nach sei das im Vergleich zu einem Wintersturm im Ärmelkanal recht harmlos. Im Kühlschrank meiner Kabine scheppern die Flaschen im steten Rhythmus des Wellengangs.

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