„Keine privaten Schiedsgerichte“
Der Zwist über die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) geht weiter. Besonders umstritten: die Investorenschutz-Klauseln. Sie könnten es Konzernen ermöglichen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen. Alexander Pitz hat mit dem Bremer Europaabgeordneten Joachim Schuster (SPD) über das heikle Thema gesprochen.
Herr Schuster, die Vorbehalte in der deutschen Bevölkerung gegenüber TTIP und Ceta nehmen zu. Die kritischen Stimmen gewinnen die Oberhand. Sehen Sie überhaupt noch eine realistische Chance auf einen Erfolg der Abkommen?
Joachim Schuster: Die Wahrscheinlichkeit, dass man zu einem Abschluss kommt, ist relativ hoch. Bei Ceta liegt der Text bereits vor. Allerdings ist er so nicht zustimmungsfähig, weil es noch wichtiger Änderungen bedarf. Das sehen inzwischen viele Verantwortliche so, wie sich jüngst beim Treffen der sozialdemokratischen Parteichefs in Madrid gezeigt hat. Was TTIP angeht, ist die Prognose schwieriger, weil man nicht voraussagen kann, wie die Amerikaner bei den Verhandlungen reagieren werden.
Werden denn die Kanadier beim Hauptstreitpunkt Investitionsschutz zum Einlenken bereit sein? Ceta ist, wie Sie sagten, im Grunde ja bereits ausverhandelt.
Ich glaube schon, dass sie am Ende einlenken. Es ist schließlich nicht so, dass wir keinen Investitionsschutz wollen. Wir wollen nur einen anderen Streitbeilegungsmechanismus. Das heißt: keine privaten Schiedsgerichte. Stattdessen sollen entweder die nationalen Gerichte für alles zuständig sein, oder es wird ein echter internationaler Handelsgerichtshof eingerichtet. Dasselbe gilt dann natürlich für TTIP.
Wie müsste ein solcher Gerichtshof Ihrer Meinung nach gestaltet sein?
Die wichtigste Frage ist: Wer sind eigentlich die Richter? Es kann nicht sein, dass – wie bei privaten Schiedsgerichten üblich – Leute aus Anwaltskanzleien die Entscheidungen treffen, die ansonsten hauptsächlich für multinationale Konzerne arbeiten. Die Richter müssen wirklich unabhängig sein. Zudem brauchen wir vollständige Transparenz bei den Verfahren. Und es muss sichergestellt werden, dass die Staaten weiter regulieren dürfen. Wenn ein Land beispielsweise die Umweltschutzstandards erhöht, darf das kein Klagegrund sein.
Ihr Parteichef Sigmar Gabriel, der zugleich Wirtschaftsminister ist, hatte solche Korrekturen anfangs gar nicht auf der Agenda. Hat ihn der linke Flügel der SPD in puncto Freihandel zu einer kritischeren Haltung gezwungen?
Es ist gut, dass Gabriel diese Position inzwischen auch vollumfänglich vertritt. Ich glaube, sein Zögern hatte damit zu tun, dass er zunächst schwer abschätzen konnte, ob die Regierungen der anderen EU-Länder mitziehen würden. Ich hoffe natürlich, dass er seine Linie nun konsequent vertritt.
Bisher war es so, dass gerade deutsche Unternehmen oft von den Urteilen privater Schiedsgerichte profitiert haben. Wie wollen Sie die deutsche Wirtschaft vom neuen Modell überzeugen?
Bislang ging es bei den Verfahren vor allem um Probleme in sogenannten Willkürstaaten. Wo es ein funktionierendes Rechtssystem gibt, muss sich auch die deutsche Wirtschaft damit abfinden, dass es für solche Streitigkeiten ordentliche Gerichte gibt.
Kann Deutschland, falls es nicht gelingt, die gewünschten Regeln durchzusetzen, Ceta und TTIP scheitern lassen?
Ich finde, das müssten wir dann sogar tun. Die direkten ökonomischen Vorteile für Europa wären ohnehin nicht sehr groß. Es geht in erster Linie darum, vernünftige weltwirtschaftliche Standards zu schaffen. Wenn das nicht gelingt, lohnen sich solche Abkommen gar nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir diese Standards gemeinsam schaffen können.
Bei der Abstimmung im Europaparlament würden Sie als Abgeordneter die Verträge also ablehnen, wenn Kanadier und Amerikaner nicht zu Zugeständnissen bereit sind?
Ja, ganz sicher.
Die Verfechter des Freihandels argumentieren, wenn TTIP scheitere, werde nur China profitieren, weil es dann in der Lage wäre, die eigenen Standards weltweit durchzusetzen – etwa bei der Produktion von Maschinen. Ist diese Sorge berechtigt?
Das sind nur Spekulationen. Selbst wenn wir gemeinsame Standards mit den USA schaffen, ist es keineswegs gesichert, dass die Chinesen sich daran halten. China ist der aufstrebendste und bald größte Markt der Welt mit entsprechender politischer Macht. Statt auf Kraftmeierei zu setzen, sollten wir Europäer daher auch mit China vernünftig reden.
Können Sie skizzieren, welche Bedeutung Ceta und TTIP eigentlich für die Hafen- und Handelsstadt Bremen haben?
Die bremische Wirtschaft hat einen hohen Exportanteil, auch in Richtung Nordamerika. Starke Säulen wie das Mercedes-Werk könnten ebenso wie der Mittelstand etwa von Vereinheitlichungen bei den Industrienormen profitieren. Zudem wird ein erheblicher Anteil des Handels mit Nordamerika über unsere Häfen abgewickelt. Insofern wäre es positiv, wenn Ceta und TTIP den bremischen Unternehmen den Zugang zu den nordamerikanischen Märkten erleichtern würden.
Zur Person
Joachim Schuster (52) ist Abgeordneter des Europaparlaments und Mitglied des Ausschusses für internationalen Handel. Zuvor war der SPD-Politiker Staatsrat in Bremen.