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Besuch in Greetsiel Die deutschen Krabbenfischer leiden

Die deutschen Krabbenfischer leiden. Zwei Jahre Corona und aktuell hohe Dieselpreise hinterlassen Spuren. Ein Besuch in Greetsiel, wo die größte Krabbenfischerflotte in Deutschland zu Hause ist.
22.05.2022, 12:21 Uhr
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Die deutschen Krabbenfischer leiden
Von Marc Hagedorn

Hinter Rolf Gronewold liegen drei schlechte Jahre. Und es sieht nicht so aus, als solle es im vierten Jahr besser werden. Es ist Freitagvormittag in Greetsiel, und eigentlich müsste Gronewold mit seinem Krabbenkutter gerade vom Fang zurück im Hafen sein. Aber sein Boot war gar nicht draußen. „Lohnt sich im Moment für mich nicht“, sagt Gronewold. Vergangene Woche ist er noch rausgefahren, hoch bis vor Sylt. Sieben Tage lang auf See. Krabbenfangen. Das Ergebnis? „Eine Nullnummer“, sagt Gronewold.

Die deutschen Krabbenfischer leiden. Wie Gronewold geht es allen hier in Greetsiel, der Heimat der größten Krabbenkutterflotte Deutschlands. Auch anderswo an der Küste sind die Sorgen groß. In Schleswig-Holstein haben die ersten Betriebe gerade aufgegeben. Zwei Jahre Corona haben ihre Spuren hinterlassen. Dabei ist die Pandemie immer noch nicht besiegt. Und das nächste Problem ist schon da. Der Dieselpreis.

Meinem Sohn gegenüber habe ich ein schlechtes Gewissen.
Krabbenfischer Rolf Gronewold

Krabbenfischer Gronewold steht an Deck seines Kutters, hinter ihm ordentlich aufgereiht ein paar Farbtöpfe. „Wir malern jetzt ein bisschen an der ,Martje' rum“, sagt der 44-Jährige. Aber bevor er gleich damit anfängt, seinen Kutter hübsch zu machen, hat er noch Zeit für Hendrik van der Ploeg, Zeit für ein Gespräch von Fischer zu Fischer. Van der Ploeg war bis gestern draußen auf der Nordsee. Drei Nächte vor Norderney und Juist. 270 Kilogramm frische Krabben hat er mitgebracht. April, Mai, Juni, in diesen Monaten ist es nie leicht. „Aber im Moment ist das gar nichts“, sagt van der Ploeg.

Die beiden Fischer rechnen vor. Für rund einen Euro pro Liter tankten sie zurzeit, alle zwei Wochen für 4000 bis 5000 Euro. Der Dieselpreis ist nach wie vor steuerbegünstigt, aber trotzdem ungewöhnlich hoch. Im vergangenen Jahr haben sie noch 40 bis 50 Cent pro Liter gezahlt, das ist weniger als die Hälfte. Wenn der Motor jetzt 60 Stunden läuft, holt van der Ploeg bei der aktuellen Ausbeute gerade mal die Kosten wieder rein.

Ein Glück, dass der Kilopreis, den die Fischer für ihre Krabben bekommen, im Moment bei rund 8,50 Euro liegt. Kein Vergleich zur großen Krise 2011, als der Preis auf 1,60 Euro hinuntergerauscht war. Trotzdem stellt die Erzeugergemeinschaft der Deutschen Krabbenfischer in diesen Tagen fest: Alle Reserven der Betriebe seien nach drei Jahren Krise aufgezehrt. Gronewold sagt mit Blick auf die Zukunft: „Meinem Sohn gegenüber habe ich ein schlechtes Gewissen.“ Eike ist im dritten Lehrjahr. Er wird Krabbenfischer wie sein Vater und soll das Geschäft eines Tages übernehmen.

Zehn Autominuten südlich vom Greetsieler Hafen sitzt Hilke Looden in ihrem Büro in Pewsum. Seit November ist sie die Bürgermeisterin der Gemeinde Krummhörn, zu der Greetsiel gehört. Vorher hat Looden, parteilos, als Fischereiberaterin für die Landwirtschaftskammer gearbeitet. Sie ist verheiratet mit einem Fischer, sie kennt die Sorgen der Betriebe aus erster Hand. „Gute und schlechte Zeiten hat es immer gegeben“, sagt sie. Aber seit ein paar Jahren stauen sich die Probleme auf.

Wer will das bei den kaum kalkulierbaren Erlösen riskieren?
Bürgermeisterin Hilke Looden

Die Schiffe zum Beispiel. „Seit 2005 ist kein neues Modell mehr zur Greetsieler Flotte dazu gekommen“, sagt Looden. 40 Jahre alt sind die Kutter im Schnitt. Eigentlich müssten sie längst ausgetauscht werden. Eine Million Euro Minimum, eher 1,5 Millionen, müssten die Fischer für ein neues Boot ausgeben – als Ein-Mann-Unternehmen, das eine Familie ernähren muss. „Wer will das bei den kaum kalkulierbaren Erlösen riskieren?“, fragt Looden. Also modernisiert und rüstet nach, wer kann, so gut es eben geht. Und die Flotte altert weiter.

Den Touristen gefällt, was sie im Hafen sehen. „Die Kutter sind der Publikumsmagnet“, sagt die Bürgermeisterin. Wie die Perlen einer Kette liegen sie am Kai, um die 20 an diesem Tag. „Schöne Schiffe“, sagt Ursel Schmidt. Sie kommt vom Niederrhein. Mit ihrem Mann Alfred verbringt sie eine Woche in Greetsiel. Im dritten Anlauf hat es mit dem Urlaub endlich geklappt, nachdem Corona ihnen zweimal einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Solange mussten sie sich am heimischen Computer mit den Live-Bildern der Webcam aus dem Greetsieler Hafen begnügen. „Und dort“, Alfred Schmidt zeigt zur Gaststätte „Hafenkieker“, „habe ich zu meiner Frau gesagt, dort will ich sitzen und ein Bier trinken, wenn wir angekommen sind.“ Vom „Hafenkieker“ haben sie einen unverstellten Blick auf die Kutter.

Greetsiel und seine Fischer. Viele Familien gehen seit mehreren Generationen auf Krabbenfang. Die Greetsieler sind stolz auf ihre Geschichte. Kaum ein Restaurant im Ort, das ohne Nordseekrabben auskommt. Auf den Speisekarten stehen Friesenburger, zwei Reibekuchen mit 100 Gramm Nordseekrabben, Schollenfilet mit Nordseekrabben, ja sogar Schnitzel mit Nordseekrabben. Dass der allergrößte Teil der Tiere in Marokko und nur ein kleiner Rest tatsächlich vor Ort gepult wird, tut der Nachfrage keinen Abbruch.

Krummhörn hat dem Besucher einiges zu bieten. Den Pilsumer Leuchtturm zum Beispiel, rot-gelb gestreift, den der Komiker Otto Waalkes in seinem Kinofilm „Der Außerfriesische“ einst berühmt gemacht hat. Oder die vielen Mühlen. Aber was wäre Greetsiel ohne aktive Fischerei? Ein reiner Museumshafen irgendwann. Das mag sich Bürgermeisterin Looden gar nicht vorstellen. Zu viel würde dem Ort fehlen. „Deshalb wollen wir, dass es so bleibt“, sagt Looden. Viel mehr, als den Hafen und die Infrastruktur in Schuss zu halten, könnten sie als Gemeinde allerdings nicht tun. Fischereipolitik ist vor allem EU-Politik.

Menschen wie Marvin Oltmanns sind die Zukunft der Branche. Der 19-Jährige lernt das Fischereihandwerk. Eigentlich hat er an diesem Freitag frei. Trotzdem hat er die Arbeitsklamotten angezogen und ist zum Hafen gekommen. Er schaut bei Rolf Gronewold und Hendrik van der Ploeg vorbei. „Es zieht einen einfach hierhin“, sagt Oltmanns. Ursprünglich habe er Abitur machen wollen. „Aber in der Schule verdienst du kein Geld“, sagt er. Also ist er etwas früher abgegangen.

Sein Opa war Fischer, auch ein Onkel. Der Vater allerdings nicht. Wie er es fand, dass Marvin sich für den Beruf des Fischers entschieden hat? „Ging so“, sagt Marvin. Lieber wäre es seinen Eltern gewesen, er hätte „etwas an Land“ gelernt.

Die älteren Fischer können die jungen Leute gut verstehen. „Ich hab zwar jetzt ein bisschen gejammert, was sonst nicht so meine Art ist“, sagt Gronewold irgendwann im Gespräch mit dem WESER-KURIER, „aber ich möchte diesen Beruf gegen nichts in der Welt eintauschen.“ Seit 27 Jahren fährt er aufs Meer. Er liebe es, sein eigener Herr zu sein. Weit draußen den morgendlichen Sonnenaufgang zu erleben. Jeden Tag aufs Neue Jagd zu machen auf den Granat, wie die Delikatesse hier heißt. „Das“, sagt Gronewold, „das kann nur jemand begreifen, der es selbst einmal erlebt hat.“ Nächste Woche, das hat er entschieden, wird er wieder hinausfahren.

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