Vor knapp zwei Wochen musste die Bremerhavener Lloyd Werft Insolvenz anmelden. Nach der Vulkan-Pleite 1996 und dem Untergang des Kreuzfahrtschiffes "Pride of America" an der Ausrüstungskaje 2004 steht die Werft damit zum dritten Mal vor dem Aus. Doch die Bemühungen, den Schiffbaubetrieb zu retten, laufen auf Hochtouren. Eine Zwischenbilanz:
Was hat zur Insolvenz der Werft geführt?
Wenn man die Ursachenkette bis zum Anfang zurückverfolgt, war es das Coronavirus. Denn zu den Branchen, die von der Pandemie am schwersten getroffen wurde, zählt die Kreuzfahrtindustrie: Kreuzfahrtschiffe gehörten im Frühjahr 2020 zu den ersten Infektionsherden und wurden daraufhin flottenweise stillgelegt. Als klar wurde, dass die Pandemie so schnell nicht vorübergehen würde, sackte die Nachfrage nach Neubauten dramatisch ab. Das wiederum brachte die Werften in Schwierigkeiten, die sich auf den Bau der Kreuzfahrtschiffe spezialisiert haben. In Deutschland sind das die Papenburger Meyer Werft und der ostdeutsche Schiffbauverbund MV Werften. Die Lloyd Werft hatte sich zwar in den letzten Jahren aus dem Bau von Kreuzfahrtschiffen zurückgezogen, gehört aber als Tochtergesellschaft zu der 2016 gebildeten MV Werften Holding. Die Pleite der Muttergesellschaft riss also die Lloyd Werft mit in den Abgrund.
Warum gehört die Lloyd Werft zu einer ostdeutschen Werftengruppe?
Am Anfang dieser Verbindung stand eine große Enttäuschung: 2015 hatte der malaysische Unternehmer Lim Kok Thay die Lloyd Werft für knapp 35 Millionen Euro gekauft. Mit seiner Hongkonger Genting-Gruppe, die Spielcasinos, Hotels und Freizeitparks betreibt, wollte er in Bremerhaven Kreuzfahrtschiffe für seine konzerneigenen Reedereien bauen lassen. Ein Jahr später waren die Träume allerdings geplatzt: Gentings Manager hatten mit den Werften in Wismar, Rostock und Stralsund besser geeignete Standorte für ihre Pläne gefunden – mit größeren Docks und Hallen, wo von der ersten Stahlplatte bis zum fertigen Schiff alles aus einer Hand produziert werden konnte. Während also in Mecklenburg-Vorpommern investiert und neues Personal eingestellt wurde, musste die Lloyd Werft ein Viertel der Belegschaft abbauen und sich mit dem Yacht- und Spezialschiffbau eine neue Marktnische suchen. Seit rund einem Jahr verfolgt Genting das Ziel, die Lloyd Werft zu schließen.
Hätte die Insolvenz vermieden werden können?
Tatsache ist: Die familiengeführte Meyer Werft hat die Krise – auch dank staatlicher Hilfen – bislang überstanden. Sie verfügt über mehrere Kunden, die dort Schiffe bestellt haben, und versucht überdies, ihre Produktpalette zu erweitern. MV Werften dagegen stellt ein Musterbeispiel dessen dar, was die Wirtschaftswissenschaftler ein "Klumpenrisiko" nennen: Es gibt nur ein Produkt (Kreuzfahrtschiffe), und der Eigentümer der Werft ist gleichzeitig auch noch der einzige Auftraggeber. Das bescherte der krisengeplagten Ostseeküstenregion ein kleines Wirtschaftswunder, solange die potente Genting-Gruppe ihre Schiffe für den asiatischen Markt gar nicht schnell genug in Dienst stellen konnte. Doch ein kleines Virus reichte, dieses Geschäftsmodell zu zerstören. Zum Schluss artete das Ganze in ein Pokerspiel mit dem deutschen Staat aus: Wie viel (deutsches) Steuergeld ist notwendig, um einen asiatischen Freizeit- und Vergnügungskonzern dazu zu bringen, in Wismar ein 1,5 Milliarden Euro teures Schiff zu Ende bauen zu lassen? Bei 600 Millionen Euro an Kreditzusagen stieg der Bund aus. MV Werften musste Insolvenz anmelden.
Welche Aussichten hat die Lloyd Werft?
Als der Insolvenzverwalter Per Hendrik Heerma 2004 der Werft schon einmal zu Hilfe eilen musste, fand er mit der "Pride of America" ein zwar leckgeschlagenes und im Sturm auf den Hafengrund gesunkenes Schiff vor, aber: Er fand wenigstens ein Schiff vor. Jetzt sind die Docks leer, die Auftragsbücher auch und die 300 Beschäftigten überwiegend in Kurzarbeit. Es gab also schon einfachere Mandate für den Hamburger Rechtsanwalt und Sanierungsspezialisten. Genting wollte die Werft zuletzt schließen, verhandelte aber auch immer mal wieder mit Übernahmeinteressenten – so richtig verstanden hat diese Doppelstrategie in Bremerhaven niemand. Heerma bekennt sich jetzt zur Fortführung der Werft: „Wir wollen den Werftbetrieb fortsetzen, dazu steht das Werftgelände der Lloyd Werft in vollem Umfang zur Verfügung. Wir können auch jetzt während des laufenden Insolvenzantragsverfahrens Aufträge annehmen und abarbeiten“, versichert er. Angewiesen ist er dabei allerdings auf die Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter der MV Werften, Christoph Morgen. Denn der Muttergesellschaft gehört das Grundstück der Lloyd Werft. Morgen hat seine Kooperationsbereitschaft bereits bekundet: "Wir wollen eine langfristige Standortsicherung erreichen. Das Gelände ist als Werft ausgewiesen und die Lloyd Werft ist leistungsfähig.“
Wann gibt es wieder Arbeit auf der Werft?
Im Dock 1 der Lloyd Werft liegt seit Mitte der Woche das Schwergutschiff "Annette". Für ein paar kurzfristig angefallene Reparaturarbeiten hatte die Reederei SAL Heavy Lift ein Dock gesucht. "Und dank der freien Kapazitäten auf der Lloyd Werft konnten wir das bedienen", sagt Dirk Harms, Geschäftsführer der benachbarten Werft Bredo Dry Docks. Allzu viel Arbeit fällt bei diesem Auftrag nicht ab für die Lloyd-Werker. "Aber wenn wir da unterstützen können, wollen wir das gerne tun", so Harms.
Die Rönner-Gruppe, Eigentümerin der Bredo, hatte wiederholt ihr Interesse an einer Übernahme der Lloyd Werft bekundet und mit Genting auch darüber verhandelt. Dem Vernehmen nach wollte Genting allerdings doppelt so viel Geld haben, wie Rönner bereit war zu geben. Nun verhandelt Rönner mit dem Insolvenzverwalter, was die Sache vereinfachen könnte. Allerdings hat Heerma einen internationalen Bieterwettbewerb angestoßen, um auch andere Interessenten ausfindig zu machen. Bis zum 1. April sind die Gehälter für die 300 Beschäftigten durch das Insolvenzgeld abgedeckt. Von da an muss die Werft wieder auf eigenen Beinen stehen.