Offiziell war es nur ein Warnstreik. Aber die Häfen einer großen Handelsnation für 48 Stunden lahmzulegen, kommt einem beinharten Arbeitskampf sehr nahe. Auch wenn sich die streitenden Parteien erst einmal auf eine Abkühlungsphase in dem heiß gelaufenen Tarifkonflikt in den deutschen Seehäfen geeinigt haben: Die Gewerkschaft Verdi und die von ihr vertretenen Hafenarbeiter sind offenkundig bereit, den Kampf bis zum Ende auszutragen. Das ist ihr gutes Recht. Ob sie sich damit einen Gefallen tun, ist eine andere Frage.
In der laufenden Tarifrunde für die rund 12.000 Hafenarbeiter in knapp 60 norddeutschen Hafenunternehmen war es bereits der dritte Warnstreik nach bislang sieben ergebnislosen Verhandlungsrunden. Zwei Tage lang blieben die Ausleger der Containerbrücken in Bremerhaven und Hamburg hochgeklappt, warteten voll beladene Schiffe auf ihre Abfertigung. Die Gewerkschaft Verdi ist angetreten mit dem Versprechen, das „Inflationsmonster“ zu besiegen – sprich: einen Abschluss oberhalb der aktuellen Inflationsrate von mehr als sieben Prozent zu erzielen.
Lohnerhöhungen in dieser Größenordnung hat es in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. In Zeiten rasant steigender Spritpreise, Heizkosten und Lebensmittelbudgets steigen jedoch zwangsläufig die Forderungen nach mehr Geld, um all das zu bezahlen. Wohl jede Gewerkschaft würde das gerne für ihre Mitglieder durchsetzen. Nicht alle haben in ihrer Branche die Macht dazu. In den Häfen jedoch stehen alle Kräne still, wenn der starke Arm der Arbeiter es will. Hier scheint Verdi am längeren Hebel zu sitzen. Für die Gewerkschaft, die im Hafen als Interessenvertretung der Beschäftigten längst nicht mehr unangefochten ist, bietet der Konflikt um den Inflationsausgleich auch die Gelegenheit zu einer Demonstration der eigenen Stärke.
Arbeitgeber kommen Gewerkschaft entgegen
Die Arbeitgeberseite, vertreten durch den Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, musste der Gewerkschaft bereits weit entgegenkommen. 12,5 Prozent mehr Lohn bietet der Verband den Beschäftigten auf den Containerterminals; in konventionellen Umschlagsbetrieben sollen es immerhin 9,6 Prozent sein. Auch die Gewerkschaft sieht darin „einen Schritt in die richtige Richtung“. Der Streit dreht sich jetzt um die Laufzeit: Das Arbeitgeberangebot gilt für zwei Jahre. Verdi befürchtet, dass der versprochene Inflationsausgleich damit nur im ersten Jahr gewährleistet wäre – im zweiten das Risiko auf den Schultern der Hafenarbeiter läge. Und das will die Gewerkschaft keinesfalls hinnehmen.
Ist es also gerechtfertigt, die Häfen lahmzulegen im Kampf um die Laufzeit eines Tarifvertrages? Diese Frage müssen letztlich die streitenden Parteien untereinander klären. Denn dafür ist die Tarifautonomie da: Interessenkonflikte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ohne Einmischung von außen auszufechten. Zwei Tage Stillstand in den Häfen sind ärgerlich für alle Beteiligten, aber nicht das Ende der deutschen Wirtschaft. Wichtiger ist, was bei dem Streit herauskommt.
In den Häfen wird schon jetzt nicht schlecht verdient: Containerbrücken- und Van-Carrier-Fahrer bringen es bei Stundenlöhnen von bis zu 28 Euro, mit Schichtzuschlägen und jährlichen Zulagen auf Gehälter, die deutlich über dem Durchschnitt liegen. Keine Frage: Sie arbeiten dafür rund um die Uhr, sieben Tage die Woche und haben sich ihr Geld verdient. Und trotz hoher Löhne, Pandemie und gestörter Lieferketten werfen die Containerterminals noch immer ordentliche Gewinne ab.
Aber erstens ist das nicht in jedem Hafenbetrieb so, und zweitens haben die Umschlagrückgänge der vergangenen Jahre gezeigt: Bremen und Hamburg haben nicht das Monopol auf die Fracht von und nach Deutschland, für die sich jeder beliebige Preis verlangen ließe. Rotterdam und Antwerpen, zunehmend auch die Mittelmeerhäfen warten nur darauf, mit günstigeren Angeboten zu locken. Die deutschen Seehäfen müssen aufpassen, sich in diesem Preiskampf nicht rauflustig und siegesgewiss ins Abseits zu kegeln.