Guido Möllering ist Professor an der Universität Witten/Herdecke und forscht zur Bedeutung von Vertrauen im Wirtschaftsgeschehen. Im Interview verrät er, warum Vertrauen in der Wirtschaft so wichtig ist.
Herr Möllering, Unternehmen werben um das Vertrauen von Kunden und Geschäftspartnern. Warum ist Vertrauen in der Wirtschaft so wichtig?
Guido Möllering: In wirtschaftlichen Beziehungen herrscht oft Ungewissheit. Auch wenn sich Geschäftspartner auf etwas geeinigt haben, kann keiner wissen, ob es auch so kommt, wie verabredet. Wenn wir einander vertrauen können, wird die Ungewissheit erträglich. Da gibt es aber einen Haken: Man weiß erst im Nachhinein, ob man einer Person hätte vertrauen sollen.
Anderen zu glaube ist also auch immer ein Risiko?
Ja, es gibt Risiken, die sich berechnen lassen. Bei denen man sagen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Ereignis eintritt. Vertrauen funktioniert aber anders. Wenn wir beispielsweise einen Vertrag schließen, könnte der noch ein Schlupfloch für die Gegenseite enthalten, aber wir vertrauen darauf, dass sie dieses nicht für ihren eigenen Vorteil ausnutzt und uns schadet. Sicher können wir uns aber nie sein.
Wie bauen wir Vertrauen auf?
Wir suchen nach Anhaltspunkten für die Vertrauenswürdigkeit. Dabei ist vor allem die emotionale Ebene wichtig. Wir wollen das Gefühl haben, dass uns der andere wohlgesinnt ist. Das bekommt man aber erst durch die persönliche Interaktion heraus. Fehlt die noch, ist es gar nicht verkehrt zu sagen ‚Ich kann denen vertrauen, denen auch andere vertrauen‘.
Hundertprozentig sicher können wir uns aber nie sein.
Das stimmt. Selbst wenn wir uns zuvor umhören, ob andere gute Erfahrungen mit einem Geschäftspartner gemacht haben, können wir uns nie sicher sein, ob wir dieser Person auch vertrauen können. Zumal jemand Vertrauenswürdigkeit nur vortäuschen kann.
Sollten wir dann lieber nicht vertrauen?
Oft haben wir keine Alternative, als mit anderen zu kooperieren. Vertrauen wird dabei schrittweise aufgebaut. Oft werden erst kleine Aufträge vergeben, wenn das gut läuft, werden sie immer größer. Aber auch das wissen Betrüger natürlich. Ein Heiratsschwindler gaukelt auch erst die große Liebe vor, bevor er irgendwann zuschlägt.
Was passiert, wenn wir feststellen, dass wir über den Tisch gezogen wurden?
Interessanterweise wollen wir das erst gar nicht wahrhaben. Wenn wir vorher dem anderen sehr vertraut haben, suchen wir nach einer Bestätigung, dass es ein Missverständnis oder Versehen war. Wenn der Betrug dann eindeutig erkennbar und der Schuldige bekannt ist, mischt sich die Wut noch damit, dass man sich schämt, einen Fehler gemacht zu haben – auch, weil man nun anderen gegenüber erklären muss, warum man dieser Person überhaupt vertraut hat. Ein Vertrauensbruch trifft einen härter als eine verlorene Wette.
Funktioniert Vertrauen heute anders als vor 100 oder 200 Jahren?
Der große Unterschied ist, dass die Menschen heute viel mehr Kontakte haben als vor der Industrialisierung und der Urbanisierung. Damals basierte das Vertrauen viel mehr auf direkten Erfahrungen. Jetzt ist das Beziehungsgeflecht viel komplexer, was das Vertrauen nicht leichter macht. Von einer allgemeinen Vertrauenskrise würde ich aber trotzdem nicht sprechen: In schwierigen Zeiten bricht unser Vertrauen vielleicht manchmal ein, erholt sich dann aber auch wieder, wie beispielsweise bei der Finanzkrise. Erst waren die Leute verunsichert, dann ist das Vertrauen wieder gewachsen.
Was kann ich machen, damit ich anderen leichter vertrauen kann?
Man sollte den Blick auf sich und die Umstände lenken, die einem das Vertrauen erschweren. Liegt es an den anderen oder vielleicht an mir selbst? Und man sollte akzeptieren, dass es beim Vertrauen auch mal Rückschläge gibt.