- Milliarden Euro für die Forschung
- Beispiele aus dem Tierreich
- Genetische Prozesse als Ursachen des Alterns
- Alterung als Zellschaden
- Gesundheitsökonomisch geht die Rechnung auf
- Höchste Zeit für ethische Debatten
Alt werden wollen die meisten, alt sein hingegen die wenigsten. Dieser Satz aus dem Volksmund bringt die gesellschaftliche Lage auf den Punkt: Die Lebenserwartung steigt, aber altersbedingte Erkrankungen machen diese zusätzlichen Jahre nicht immer lebenswert. Es gibt sogar einige renommierte Stimmen aus der Wissenschaft, die nicht von altersbedingten Erkrankungen sprechen, sondern das Alter selbst als Krankheit betrachten. Und nicht nur das: Sie halten Heilung für möglich.
Milliarden Euro für die Forschung
Verjüngungsforschung nennt sich diese Disziplin, die Medizin, Zellbiologie und Genetik zusammenführt. Vor allem Stiftungen und private Investoren stecken Milliarden Euro hinein, darunter Peter Thiel (Paypal), Jeff Bezos (Amazon), Sergey Brin und Larry Page (Alphabet/Google), Mark Zuckerberg (Meta/Facebook) und Larry Ellison (Oracle). Immer mehr Forschungsinstitute spezialisieren sich auf dieses Feld. Ihr gemeinsames Ziel ist es, Alterungsprozesse zu stoppen. Der menschliche Körper würde nicht mehr mit den Jahren abbauen, sondern wäre mit 150 Jahren so fit und fruchtbar wie heute mit 25.
Beispiele aus dem Tierreich
Wer diese Vision als Spinnerei abtut, übersieht, dass diejenigen, die an sie glauben, gute Argumente auf ihrer Seite haben. Da sind zum einen Beobachtungen aus der Tierwelt: Der Forschung ist es gelungen, die Lebenserwartung von Mäusen um 40 Prozent zu verlängern, bei Fruchtfliegen gelang einer Vervierfachung und bei Fadenwürmern sogar eine Verzehnfachung. Die Hydra, ein millimeterkleines Nesseltier, gilt als unsterblich, weil es seine Zellen permanent erneuert. Ähnliches beherrschen einige Quallenarten. Planarien, bestimmte Würmer, können sich zu zwei kompletten Würmern regenerieren, wenn sie zerschnitten wurden – und das wohl unendlich oft. Ein weiteres Beispiel stammt aus der Tumorforschung: Bestimmte Krebszellen können sich beliebig oft teilen, ohne zu altern.
Genetische Prozesse als Ursachen des Alterns
Nun lässt sich nicht jedes Phänomen aus der Tierwelt oder gar von Einzellern auf den Menschen übertragen. Doch je besser die Forschung versteht, was Altern eigentlich bedeutet, desto mehr zeigt sich, dass dahinter universelle Prinzipien stecken. Der Zellbiologe David Sinclair sieht darin ein genetisches Muster, das sich vom Einzeller bis zum Menschen erstreckt: Bei überhöhter Belastung aktivieren Zellen Reparaturprozesse am Erbgut. Doch es gibt Faktoren, die die dazu nötigen Gene und Proteine an ihrer Arbeit hindern. Sirtuine sind ein Beispiel für Reparaturgene, die zuerst in Hefezellen beschrieben wurden, aber auch in Tieren und Menschen existieren. Die Forschung konnte sie mit schützender Wirkung vor Diabetes, Alzheimer, Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs in Verbindung bringen. Hat eine Zelle zu wenige von ihnen, altert sie, wann immer das Protein seiner Reparaturfunktion nachgeht, weil es in dieser Zeit seine anderen Funktionen vernachlässigen muss.
Alterung als Zellschaden
Ähnliche wie Sirtuine wirken beispielsweise die Proteine mTOR und AMPK darauf, wie gut sich unsere Zellen regenerieren. Gelänge es, diese und weitere Proteine kontrolliert in Aktion zu versetzen, würde das die Alterung erheblich verlangsamen, argumentieren Fachleute wie Sinclair. Und sie haben noch ein Argument dafür, dass Altern eine heilbare Krankheit ist: Bis heute ist nicht ein Gen bekannt, dass Alterung direkt verursacht. Alle bekannten Alterungsmechanismen beruhen auf Schäden in den Zellen, die zumindest theoretisch vermieden oder repariert werden könnten. Obendrein zeigen Studien an Tieren, dass derartige Reparaturen meist das Risiko für ein breites Spektrum sogenannter Alterserkrankungen reduzieren. Einige wenige genetische Prozesse könnten also hinter der Alterung und letztlich hinter so ziemlich allen Altersleiden stecken.
Für diese Sichtweise spricht auch, dass bei Bienen Drohnen und Königinnen ganz unterschiedliche Lebenserwartungen haben, und dass im Menschen der eine Zelltyp nur Tage lebt – beispielsweise Spermien –, andere wie Neuronen Jahre. Alles deutet darauf hin, dass Zellalterung ein genetisch regulierter Prozess ist, und in diese Regulation könnte die Medizin eingreifen.
Gesundheitsökonomisch geht die Rechnung auf
Schon heute könnte man sich für rund 5.000 Euro im Jahr einen Medikamentencocktail mixen, der vermutlich die Alterung erheblich verlangsamen oder sogar umkehren würde – wären nicht einige der Präparate verschreibungspflichtig. So schildert es jedenfalls Sinclair und hat anekdotische Belege für die Wirksamkeit. Gesundheitsökonomisch ließe sich die Behandlung des Alters wohl finanzieren. Entfielen dadurch Demenzerkrankungen, Krebsleiden und die meisten anderen gesundheitlichen Probleme des Alters würden im Gesundheitssystem große Beträge frei und weltweit täglich mehr als 100.000 altersbedingte Todesfälle vermieden. Außerdem blieben die Menschen fit und könnten auch mit 100 Jahren einem Beruf nachgehen, statt auf die Rente angewiesen zu sein.
Höchste Zeit für ethische Debatten
Utopisch? José Cordeiro, Universalgelehrter und einer der leidenschaftlichsten Lobbyisten der Verjüngungsforschung, verweist auf die Zuwächse bei der Lebenserwartung. Er rechnet damit, dass bereits in weniger als zehn Jahren die jährliche Steigerung der Lebenserwartung größer als ein Jahr sein wird – und damit alle Menschen, die in einem Jahrzehnt noch leben, dem Alterstod entgehen könnten. Das mag überoptimistisch sein, denn in der Vergangenheit ist die Lebenserwartung auch durch geringere Kindes- und Müttersterblichkeit, sauberes Trinkwasser sowie Impfungen und Antibiotika gestiegen – Faktoren, bei denen zumindest in Deutschland kaum noch Verbesserungen zu erzielen sind.
Trotzdem dürfte die Frage nicht lauten, ob die Medizin das Altern abschafft, sondern wann. Vielleicht wäre es daher an der Zeit, jetzt die ein oder andere ethische Konsequenz gesellschaftlich zu debattieren.