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Meeresforschung Warum Wissenschaftler gefräßige Bakterien mögen

Die Hälfte allen Sauerstoffs entsteht im Meer. Auch Kohlendioxid verschwindet dort. Bremer Forscher befassen sich vor Helgoland verstärkt mit diesem Thema - mit überraschenden Ergebnissen.
13.05.2023, 05:00 Uhr
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Von Björn Lohmann
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Mehr als 300 Algenarten leben im Felswatt der Insel Helgoland. Dafür sollten wir ihnen dankbar sein, denn Algen sind für unser Leben wichtiger, als den meisten Menschen bewusst ist: Laubpflanzen produzieren nur etwa die Hälfte allen Sauerstoffs. Die andere Hälfte entsteht im Meer, vorrangig durch die Photosynthese von Algen. Ebenso wie ihre Landverwandten binden sie dabei Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das im Meerwasser gelöst ist. Etwa ein Fünftel dieser Kohlendioxid-Bindung erfolgt durch in den Meeren weitverbreitete einzellige Kieselalgen. Für den globalen Kohlenstoffkreislauf und das globale Klima hat das große Bedeutung.

Viele Details der beteiligten Prozesse sind jedoch nicht vollständig geklärt. Dazu muss die Forschung besser als bislang verstehen, was mit dem Kohlenstoff in den Algen geschieht, nachdem diese ihn gebunden und in ihre Biomasse eingebaut haben. Ein Puzzlestück dieses Rätsels haben sich nun Fachleute des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie, des Alfred-Wegener-Instituts sowie der Universitäten Bremen und Greifswald genauer angesehen.

Algen dienen als Nahrung

An der Forschungsstation „Kabeltonne“ vor Helgoland hat das Team analysiert, welche Bakterien in der Wassersäule mit den dortigen Algen leben und von welchen Kohlenstoffverbindungen sie sich ernähren. Denn Bakterien verwerten Verbindungen, die Algen absondern oder bei ihrem Tod freisetzen. Sterben die Algen, sinken sie als Meeresschnee hinab zum Ozeanboden, mitsamt der in ihnen gelagerten Nährstoffe und Kohlenstoffverbindungen.

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Dort können sie Teil des Sediments werden und den Kohlenstoff für lange Zeit von der Atmosphäre fernhalten. Sie können aber auch Kleinstlebewesen als Nahrung dienen, wenn sie unten angekommen oder auf ihrem Weg dorthin sind. Die Kleinstlebewesen wiederum werden von kleinen Fischen gefressen – und diese von größeren. Am Ende versorgt das ursprünglich durch Algen gebundene Kohlendioxid viele Menschen mit Nahrung in Form von Fisch und anderen Meeresfrüchten. So gelangt das ursprünglich gebundene Kohlendioxid relativ schnell zurück in die Atmosphäre.

Dominante Arten bestimmen

Um die jeweiligen Kohlenstoffmengen besser einschätzen zu können, muss die Forschung die Mechanismen verstehen, wie Bakterien Algen zersetzen und von welchen Bestandteilen der Algen sie sich vorrangig ernähren. Die Arbeitsgruppe um Hanno Teeling vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie konzentriert sich dabei auf sogenannte Polysaccharide, lange Ketten aus einfachen Zuckermolekülen. Sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der Algenbiomasse.

Zugute kommen den Fachleuten die enormen Fortschritte in Molekularbiologie, biochemischer Analytik und Bioinformatik der vergangenen Jahre. Noch vor zehn Jahren wäre nicht möglich gewesen, was dem interdisziplinären Team nun gelungen ist. Von Anfang März bis Ende Mai 2020 nahmen die Forscherinnen und Forscher jeden Wochentag Proben und bestimmten, welche Algenarten jeweils dominierten. Es gab zwei Algenblüten in dieser Phase, die zweite ausgelöst von einem ausdauernden Ostwind, der frische Nährstoffe aus den Flussmündungen von Weser und Elbe herbei spülte – ähnlich wie es in diesem Frühjahr wieder der Fall war. Insgesamt waren diese Algenblüten von nur drei Arten von Kieselalgen geprägt, die nacheinander ihr Populationsmaximum erreichten.

Bakterien bevorzugen einfache Kost

Von den Bakterien erstellte das Forschungsteam ein sogenanntes Metagenom: Weil es kaum möglich ist, alle Bakterienarten aus der Umwelt im Labor zu kultivieren und zu untersuchen, sequenzierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die DNA kompletter Bakteriengemeinschaften aus insgesamt 30 Wasserproben. Bei dieser Vorgehensweise entstehen unzählige kurze DNA-Sequenz-Fragmente aller enthaltenen Bakterien, mit teils überlappender Information. Anhand dieser Überlappungen können Computerprogramme aus den Fragmenten mit hoher Sicherheit die einzelnen Genome zusammenpuzzeln. Rund 250 bakterielle Genome kamen dabei heraus.

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Eine zusätzliche Analyse des sogenannten Metatranskriptoms, der Summe aller in den Mikroorganismen tatsächlich abgelesenen Gene, enthüllte dann, welche der Gene zum Abbau von Polysacchariden während der Algenblüte besonders aktiv waren. Überraschenderweise waren demnach nur rund 50 Bakterienstämme am Abbau der Algenzucker nennenswert beteiligt, die jedoch in hoher Zahl vorhanden waren. Die meisten davon gehörten zur Gruppe der Flavobakterien.

Weiterhin überraschte die Forscherinnen und Forscher, dass die Bakterien vor allem zwei sehr simple Polysaccharide nutzten: Laminarin und Alpha-Glukan. Ersteres nutzen Kieselalgen als Energiespeicher und dürfte daher von eben diesen Algen stammen. Letzteres ist der Energiespeicher vieler Bakterien, die nach ihrem Tod für andere Bakterien die Quelle dieser Polysaccharide sein dürften. Viele der Bakterien wären durchaus in der Lage gewesen, auch weitere Polysaccharide zu nutzen. „Das zeigt uns, dass die spezialisierten Bakterien erkennen, welche Algen und Polysaccharide während der Algenblüte reichlich vorhanden sind“, erläutert Teeling. „Und es macht Sinn: Warum Energie in einen Abbau von etwas investieren, das komplizierter ist und viele Gene benötigt?“ Vermutlich sind es nicht die frei schwimmenden Bakterien, die komplexere Bestandteile schließlich zersetzen, sondern jene, die direkt auf Partikeln aus abgestorbenen Algen leben.

Weitere Forschungsziele definiert

Über Mengenverhältnisse und Stoffkreisläufe kann das Team damit noch nichts sagen. „Wir kennen jetzt die genetischen Zusammenhänge und wissen, welche Bakterien ökologisch besonders relevant sind“, resümiert Chandni Sidhu, Erstautorin der Studie im Fachjournal „Microbiome“, in der die Forschungsergebnisse zusammengefasst sind. Damit kann das Team nun versuchen, repräsentative Organismen im Labor noch tiefgehender zu untersuchen. „Und wir wissen jetzt, dass wir uns bei künftigen Studien stärker auf Bakterien konzentrieren müssen, die nicht frei im Wasser leben“, betont Sidhu. Denn ohne diese kann ein wichtiger Teil des mikrobiellen Algenabbaus nicht beschrieben werden.

Zur Sache

Kabeltonne

Die „Kabeltonne Helgoland“ ist eine Langzeitbeprobungsstelle des Alfred-Wegener-Instituts, an der seit 1962 täglich Wasserproben genommen und analysiert werden. Ihren Namen hat die Stelle von einer schwarzen Metallboje, die Kabelverbindungen zwischen Helgoland und der Nachbarinsel Düne markiert. Vor dem GPS-Zeitalter orientierten sich die Forschungsteams an dieser Boje, um stets die gleiche Stelle zu beproben.

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