Herr Paech, die konsumreiche Weihnachtszeit liegt hinter, das neue Jahr vor uns – wäre Verzicht da ein guter Neujahrsvorsatz?
Niko Paech: Allein eine Reduktionsstrategie kann noch dazu verhelfen, die ökologischen Lebensgrundlagen zu retten. Und Reduktion ist nicht gleich Verzicht. Wie können wir auf etwas verzichten, das uns auf Basis plünderungsfreier Arbeit nie zugestanden haben kann? Unser Reichtum resultiert nicht aus menschlicher Arbeitsleistung, sondern aus Technisierung und Globalisierung. Wir arbeiten immer weniger und erhalten dafür immer mehr materiellen Wohlstand. Das muss in einer physisch begrenzten Welt im Chaos enden.
Wollen Sie jetzt die Zeit zurückdrehen?
Manche modernen Errungenschaften sollten bewahrt werden, etwa der medizinische Sektor. Aber dekadenter Luxus, der zugleich ökologisch ruinös ist, gehört unterbunden. Wir werden zwischen Grundbedürfnissen und Überfluss unterscheiden müssen. Niemand erkrankt infolge eines Mangels an Kreuzfahrten oder SUVs.
Betreiben Sie also eine moralische Konsumkritik?
Aber natürlich. Wollen Sie eine Gesellschaft ohne Moral? Kritik an unnötigen Handlungen, die sich gegen das physische Überleben der Zivilisation richten, halte ich nicht für übertrieben moralisch. Die Nachhaltigkeitsdebatte ist zu konfliktscheu. Wenn die Politik entgegen vereinbarten Klimaverpflichtungen nicht gegen Personen einschreitet, die ohne Not das Vielfache an CO2 verursachen, was einem Menschen pro Lebenszeit zustehen kann, muss die Zivilgesellschaft aktiv werden.
Haben Sie da Vorschläge zum pragmatischen Handeln?
Wenn das Klima global gerecht stabilisiert werden soll, steht jedem Menschen eine Tonne CO2 zu. Tatsächlich beträgt dieser Wert in Deutschland etwa elf Tonnen. Klimaschutz beginnt damit, die eigene CO2-Bilanz zumindest grob in den Blick zu nehmen, um die großen Einsparpotenziale aufzudecken, die zumeist im Luxus liegen: Urlaubsreisen, Fleischkonsum, Autoverkehr und der viel zu schnelle Austausch von Konsumgütern etcetera. Klimaschutz heißt nicht, zu verarmen.
Sie machen den Vorschlag, anstatt 40 lediglich 20 Stunden zu arbeiten und die frei gewordene Zeit zum Beispiel für die Gartenarbeit aufzubringen.
Wenn grüne Technologien versagen, hilft nur der Rückbau des Industriesystems und um das sozial vertretbar zu organisieren, bedarf es einer gerechten Verteilung der dann noch verfügbaren Arbeitszeit auf ca. 20 Stunden pro Woche. Die nunmehr freigestellte Zeit kann für Aktivitäten genutzt werden, die zur Geldeinsparung beitragen, damit das reduzierte Einkommen für ein würdiges Leben reicht. Das sind hauptsächlich eigene Produktion – warum nicht beispielsweise im Garten? –, Reparatur und Gemeinschaftsnutzung.
Und mit dem Erwerb meiner 20-stündigen Lohnarbeit kann ich mir dann noch meinen Luxus erwerben?
Ökologisch harmloser, überschaubarer und erschwinglicher Luxus wäre schon noch möglich. Das könnten Dinge sein, die langlebig und reparabel sind, vor allem meine eigene Kompetenz fordern. Bei mir sind das zwei Saxophone und zwei Mountainbikes, aber zwei reparierte PCs, eine Stereoanlage und so weiter – alles alter Kram, den ich selbst Instand halten und an dem ich reifen kann. Bücher und Tonträger gehören auch dazu. Je mehr ich mich auf den intensiven Gebrauch weniger Dinge konzentriere, möglichst im Austausch mit anderen, desto höher ist meine Lebensqualität. Auch die Reparatur und gemeinschaftliche Nutzung gehört dazu. Wer sein Leben mit zu vielen Dingen zumüllt, die ihm nichts abverlangen und für deren Ausschöpfung die Zeit fehlt, betrügt sich um den Genuss.
Ist es realistisch auf Sachen zu verzichten, an die ich mich jahrelang gewöhnt habe?
Es geht nicht um Verzicht, sondern eine Befreiung von Überfluss, der mein Leben verstopft und mich von immer mehr Geld abhängig macht. Dabei helfen zwei Tricks, nämlich erstens die fossile Mobilität radikal einzuschränken, denn sie beruht auf ständig neu zu treffenden Entscheidungen, die jederzeit anders getroffen werden können. Zweitens hilft Nutzungsdauerverlängerung. Ich habe 1999 eine gebrauchte, aber recht gute Stereoanlage gekauft, das ist Luxus, na gut. Aber wenn ich die CO2-Emissionen dieser Anlage auf die gesamte Nutzungsdauer durch mich und die vorherige Nutzerin, die ich nie kennengelernt habe, verteile, dann ist das ganz schön wenig. Genügsamkeit heißt also nicht Verzicht, sondern klug mit Gütern umzugehen und sie lange zu erhalten.
Und wenn ich nicht auf was verzichten möchte und auf Zukunftstechnologien setze?
Dann üben Sie sich in magischem Denken. Technizistische Erlösungshoffnungen sind intellektuell auf mittelalterlichem Niveau. Bis heute existiert kein verallgemeinerbares Beispiel dafür, dass sich ökologische Schäden und Ressourcenknappheiten technologisch bewältigen ließen. Wir haben die Probleme stets nur räumlich, zeitlich oder physikalisch verlagert. Die Quittung sind nun Krisen, die uns zur Umkehr zwingen werden.
Die Preissteigerung aktuell führt bereits zu Verzicht oder wie sie sagen: Reduktion. Glauben Sie, das kann Ihren Ideen Vorschub leisten?
Aber selbstverständlich. Zum Glück bricht keine Katastrophe über uns herein, aber die schrittweise Verknappung und Verteuerung von Gütern wird eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Lebensstil und Anpassungen auslösen. In einer fernen Zukunft werden unsere Nachfahren sagen, dass es die Krisen und eine Minderheit von Nachhaltigkeitspionieren waren, die den Wandel ermöglicht haben.