- Blick in die Vergangenheit
- Hohe Zuwanderung
- Pendler und Wegzüge
- Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt
- Was sagt die Bremer Politik zum Umgang mit der Armut?
Schlusslicht bei der Armutsquote und fast doppelt so viele Arbeitslose wie im Bundesdurchschnitt: Immer wieder gerät Bremen im Bereich der Sozialpolitik in Negativschlagzeilen. Woher kommt die hohe Armut? Hier geben wir Ihnen einen Überblick mit verschiedenen Erklärungsansätzen.
Blick in die Vergangenheit
Ähnlich wie in den Städten des Ruhrgebiets hat Bremen einen tiefgreifenden Strukturwandel durchlaufen. Brachen in Dortmund und Duisburg Stellen im Kohleabbau und der Stahlindustrie weg, schwanden im Land Bremen Jobs im Schiffsbau, der Fischerei, dem Handel und der Automobilbranche. "Ab Mitte der Sechzigerjahre sind viele große Betriebe in Konkurs gegangen", sagt Historiker Harald Wixforth von der Universität Bremen. Der wirtschaftliche Niedergang habe 1961 mit dem Konkurs des Automobilherstellers Borgward begonnen. Ab den Achtzigerjahren folgten die Werftenschließungen der AG Weser und der Bremer Vulkan. Nach Informationen des Soziologen Günter Warsewa gingen ab 1980 rund ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren. Kelloggs, die Wollkämmerei, der Norddeutsche Lloyd: Einst bedeutende Arbeitgeber verließen die Stadt oder gaben ganz auf. Bremen habe den Verlust großer Arbeitgeber nie ganz kompensieren können, sagt Wixforth.
"Hamburg hat der Strukturwandel ähnlich getroffen, die Stadt konnte die wegfallenden Arbeitsplätze aber durch den Aufbau neuer Industriezweige besser ausgleichen", so der Wissenschaftler. "Am Hafen haben sich Unternehmen angesiedelt, die Geld gebracht haben, zum Beispiel aus der Erdölindustrie oder Petrochemie." Dass sich beim Im- und Export mehr internationale Firmen vorrangig nach Hamburg und nach Bremerhaven orientieren, macht Wixforth auch an Standortfaktoren fest. "Hamburg hat einen riesigen Vorteil und der heißt Elbe. Die Elbe ist breiter und tiefer als die Weser, optimal für die gigantischen Containerschiffe der heutigen Zeit."
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Hohe Zuwanderung
Das Land Bremen hat in den vergangenen Jahren viele Schutz suchende Menschen aufgenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben im Land Bremen – gemessen an der Bevölkerung – mehr Schutz suchende Menschen als in anderen Bundesländern. Wer neu ankommt, kann durch langwierige Asylanträge, die schleppende Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und Abschlüssen, fehlende Kita-Plätze oder Sprachkenntnisse meist nicht sofort anfangen zu arbeiten. "Die Herausforderungen im Land Bremen sind schneller gewachsen, als die Politik hinterherkommt", sagt Thomas Schwarzer von der Arbeitnehmerkammer. "So viele Kita-Plätze, wie wir durch die Zuzüge und Geburten neu brauchen, kann man durch den Fachkräftemangel gar nicht schaffen", sagt René Böhme, Experte für Sozialpolitik vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.
Pendler und Wegzüge
Der Bremer Speckgürtel trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Sowohl im direkten Umland von Bremen, als auch im Umland von Bremerhaven fällt die Kaufkraft deutlich höher aus als in den jeweiligen Städten. Das verrät ein Blick auf den Kaufkraftindex Deutschland 2021 des Datenspezialisten Acxiom. Jedes Jahr verlassen einige Tausend Bremer die Stadt und ziehen ins Umland, darunter besonders Kleinfamilien und Paare auf der Suche nach Eigentum und günstigeren Mieten. Viele stoßen zu den Zehntausenden Pendlern, die in der Stadt arbeiten, aber außerhalb wohnen.
Für das Land Bremen birgt das Phänomen Probleme, denn: Die Stadt verliert Steuerzahler und die Pendler nehmen ihre Kaufkraft an den neuen Wohnort mit. "Wir erfahren eine gewisse Art der Armutseinwanderung und gleichzeitig einen Wegzug des Mittelstandes", bestätigt Birgit Pfeiffer, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion. "Menschen, die in Bremen eventuell nicht das preislich passende Eigenheim finden und ziehen dann in den Speckgürtel." Mit solchen Wanderungsbewegungen ist Bremen allerdings nicht alleine: Auch andere Großstädte "verlieren" Berufstätige ans Umland. Ganz erklären, warum die Armut im Land Bremen größer ist als andernorts, kann dieser Ansatz daher nicht.
Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit oder Minijobs sind in Bremen nach Untersuchungen der Arbeitnehmerkammer weit verbreitet, oft einhergehend mit hoher Jobunsicherheit und Armutsrisiko im Alter. Thomas Schwarzer von der Arbeitnehmerkammer verweist auf eine deutliche Lohnspreizung bei den im Land starken Branchen. "Im Hafen-, Luftfahrt- und Logistikbereich haben wir in manchen Positionen hohe Löhne. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Service-, Hilfs- und Teilzeitkräfte", sagt der Sozialpolitikexperte. In derselben Branche verdienen manche Bremer also sehr gut und nach Tarif, andere bekommen gerade einmal Mindestlohn.
Mit 20 Prozent liegt der unbereinigte Gender Pay Gap in Bremen zudem über dem Bundesdurchschnitt, und der Anteil ungelernter Menschen an der Bevölkerung ist hoch (ebenfalls 20 Prozent). Auch wenn es sich an den Zahlen nicht ablesen lässt: Kommunalpolitisch wurden in den vergangenen Jahren diverse Maßnahmen umgesetzt, um gegen diese komplexe Gemengelage vorzugehen. Als erstes Bundesland beschloss Bremen 2012 einen eigenen Mindestlohn, förderte Programme für Qualifizierung und Beschäftigung von Geringqualifizierten, Zugewanderten und Frauen und vergibt öffentliche Bau- und Dienstleistungsaufträge seit diesem Jahr nur noch an Betriebe mit Tarifbindung.