Immer häufiger erreichen den Bremer Rat für Integration (BRI) Beschwerden über rassistische oder vorurteilsgeprägte Diskriminierungen. Datenerhebungen liegen dazu bislang nicht vor – das war der Anstoß für ein Kooperationsprojekt von BRI, Polizei Bremen und Universität Bremen. Im Sommersemester 2021 haben 40 Studierende des Studiengangs Kulturwissenschaft über rassistische Straftaten in der Stadt Bremen geforscht und die Ergebnisse im anschließenden Wintersemester ausgewertet. Das Ergebnis: die Studie "Sichtbarmachung vorurteilsgeleiteter Straftaten gegenüber als 'fremd' markierten Personen in Bremen". Die Studie verbindet einen quantitativen Umfrage-Teil mit einem qualitativen Interview-Teil. Der WESER-KURIER publiziert die wesentlichen Erkenntnisse der Umfrage.
Rassistische Gewalterlebnisse als Betroffene oder Zeugen
Etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat in den vergangenen zwei Jahren rassistische Gewalt erlebt. Von diesen waren 60 Prozent selbst betroffen. 69 Prozent haben rassistische Gewalt als Zeugen erlebt und/oder waren selbst davon betroffen. Geäußert haben sich die Befragten auch zu den mutmaßlichen Beweggründen: Mit Abstand an erster Stelle steht "Rassismus gegen Bipoc (Black, Indigenuos, People of Color)" mit 61 Prozent. Am zweithäufigsten wurde "antimuslimische Gesinnung" mit 28 Prozent genannt.
Wo sich rassistische Straftaten ereignen
Meistens finden rassistische Straftaten im öffentlichen Raum statt: Diese Antwort gaben 70 Prozent der Befragten. Besonders schlechte Erfahrungen wurden an Haltestellen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Hauptbahnhof gemacht. An zweiter Stelle rangieren der Arbeitsplatz (zehn Prozent) oder die Nachbarschaft (sieben Prozent). Weitere Orte des Geschehens: spezifisch öffentliche Räume wie ein Supermarkt, eine Klinik, ein Waschsalon (fünf Prozent) oder die Schule (drei Prozent).
Was genau passiert
Am häufigsten kommt es zu verbaler Gewalt: 82 Prozent der Befragten sind beleidigt, bedroht oder beschimpft worden oder haben solche Vorfälle als Zeugen erlebt. An zweiter Stelle folgt mit 27 Prozent körperliche Gewalt wie Schläge, Tritte oder Schubsen. Am seltensten haben die Betroffenen mit sechs Prozent Sachbeschädigung genannt: zum Beispiel ein zerkratztes Auto oder ein beschmiertes Denkmal.
Wer die Täter sind
Die Täter oder Täterinnen werden auffallend häufig als mittelalt bis alt beschrieben. Meist werden sie als weiß und Deutsch mit blonden Haaren und heller Augenfarbe wahrgenommen.
Welche Gefühle rassistische Straftaten auslösen
Die meisten Befragten reagieren mit Wut (28 Prozent) oder Trauer (21 Prozent) auf rassistische Straftaten. Nicht weit dahinter folgen Scham (17 Prozent), Unsicherheit (15 Prozent) und Angst (14 Prozent). Weitere Emotionen werden als "ambivalent" oder "frustriert" beschrieben. Andere äußerten, sie fühlten sich "enttäuscht" und seien "in ihrer Würde verletzt".
Wie die Reaktionen auf die Straftaten ausfallen
Viele Befragte geben an, sie hätten gegen die Straftaten nichts tun können (42 Prozent). Sich selbst verteidigt haben 21 Prozent. Bei der Polizei meldeten sich 13 Prozent. An Freunde und die Familie wandten sich zehn Prozent. Lediglich ein Prozent der Befragten nahm zu Kontakt zu Beratungsstellen auf.
Wie sich die Passivität von Betroffenen erklärt
Längst nicht jeder Betroffene wehrt sich gegen eine rassistische Straftat. Die Interviewer wollten die Gründe dafür in Erfahrung bringen. Insgesamt 47 Personen machten Angaben, dabei waren Mehrfachantworten möglich. Von den Befragten erklärten 14, sie hätten nicht gewusst, was sie tun sollten oder dass sie überhaupt etwas hätten tun können. Fast genauso viele (13 Personen) sagten, es bringe nichts. Des Öfteren war auch zu hören, man habe bereits schlechte Erfahrungen mit der Polizei (zwölf Mal) oder öffentlichen Unterstützungsangeboten (sieben Mal) gemacht.
Was sich Betroffene zu ihrem Schutz wünschen
Von 61 Personen erklärten zwölf, das System müsse hinterfragt und die Strukturen geändert werden. Gleichbehandlung fordern elf Personen ein, sie wollen ernst genommen werden. Mehr Aufklärung, Sensibilisierung und Fortbildungen in Bezug auf Rassismus wünschen sich ebenfalls elf Personen. Eine strengere Gesetzgebung und ein härteres Durchgreifen auch innerhalb der Behörden würde neun Befragte begrüßen. Die Interviewer folgern daraus, es bestehe ein großes Bedürfnis, das bestehende System mit Blick auf strukturellen und alltäglichen Rassismus zu hinterfragen.
Wer an der Befragung teilgenommen hat
Insgesamt haben 123 Personen an der Befragung teilgenommen, davon waren 52 Prozent weiblich und 48 Prozent männlich. Die meisten Teilnehmenden (71 Prozent) waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. Auf die Frage nach der persönlichen Zugehörigkeit antworteten 59 Prozent der Befragten, sie hätten "Migrationserfahrung", zehn Prozent verwiesen auf "Fluchterfahrungen". Ein Viertel der Teilnehmenden definierte sich als "Deutsch", fünf Prozent vor allem als Menschen.
Wie die Studie einzuordnen ist
Nach Einschätzung der Universität Bremen ist die Studie "als Einstieg in das Thema zu verstehen". Weitere Forschung in Form langfristiger Studien sei dringend nötig und erfordere entsprechende Ressourcen. Aus Sicht des BRI macht die Studie deutlich, dass die Grenzen zwischen Alltagsrassismus und vorurteilsgeleiteten Straftaten fließend sind. Häufig könnten Betroffene selbst den Unterschied nicht erkennen. Als "fremd" markierte Menschen fühlten sich im öffentlichen Raum nicht sicher. "Auch wenn sie mehrheitlich grundsätzlich Vertrauen in den Rechtsstaat haben, wissen sie häufig nicht, wie und wo sie sich Hilfe holen können."
Die Forderungen des Bremer Rats für Integration
Der BRI fordert eine groß angelegte quantitative und qualitative Studie zu Alltagsrassismus und rassistisch motivierter Gewalt in Bremen. Um die Schutzmöglichkeiten des Rechtsstaates deutlich zu machen, seien mehrsprachige, breit zugängliche Informationsangebote für Betroffene von Hasskriminalität nötig. Als verlässliche Anlauf- und Beratungsstelle müssten die Landesantidiskriminierungsstelle und weitere Beratungsstellen ausreichend finanziert werden. Nach Vorbild der Landeskommission Berlin bedürfe es einer öffentlichen Kampagne zu Gewalt gegenüber als "fremd" markierten Personengruppen.