Corona erhöht den Druck – auch auf das Familienleben und auf Partnerschaften. Häusliche Gewalt nimmt in Bremen zu, wie die Behörden bestätigen, auch wenn die Zahlen für 2021 noch nicht vorliegen.
Im Jahr 2020 wurden laut Polizeistatistik 2153 Fälle von häuslicher Gewalt bekannt, 293 Fälle mehr als im Jahr vor der Pandemie. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) geht von einer hohen Dunkelziffer aus: „Ein nicht geringer Teil der Vorfälle“ sei der Öffentlichkeit verborgen geblieben. Dass die Zahlen tatsächlich um 40 Prozent höher sein könnten, skizzieren neueste Untersuchungsergebnisse des Münchner Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts.
Das Institut hat Suchbegriffe zum Thema häusliche Gewalt im Internet mit Fällen abgeglichen, die der Londoner Polizei gemeldet worden sind. London war Ort der Betrachtung, weil Statistiken anderer Länder erst mit Verzögerung vorliegen. Einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ zufolge hatte es in Deutschland bis zum Lockdown im vergangenen Frühjahr eine große Übereinstimmung der Zahlen von Internetsuchen und Polizeianzeigen gegeben. Die Bremer Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2021 ist im März zu erwarten. Derzeit arbeitet die Polizei nach Angaben ihrer Pressestelle an einem Ausblick auf die aktuelle Entwicklung, das Ergebnis soll der Innendeputation im Februar vorliegen.
In der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) wird das Ifo-Ergebnis für realistisch angesehen. „Ein solcher Nachweis ließe sich wahrscheinlich auch für Bremen führen“, sagt Susanne Gieffers, Sprecherin der Landesfrauenbeauftragten. Es kämen längst nicht alle Übergriffe zur Anzeige. „Das schließen wir aus den Rückmeldungen der Beratungsstellen, die von deutlich mehr Anfragen als vor Corona berichten, und aus der sehr hohen Auslastung der Frauenhäuser.“ Wie berichtet, hatte Frauensenatorin Claudia Bernhard (Linke) angekündigt, die Zahl der Bremer Plätze von 113 auf 125 zu erhöhen und landesweit 30 zusätzliche Plätze im Tourismussegment zur Verfügung zu stellen.
Ressort und Frauenbeauftragte arbeiten an einem Landesaktionsplan. Und zwar im Zusammenhang mit der sogenannten Istanbul-Konvention, dem von Deutschland ratifizierten Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Bremen hatte als erstes Bundesland einen „Betroffenenbeirat“ gegründet. Da häusliche Gewalt häufig nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder betrifft, hat das Bremer Sozialressort im Sommer eine „aufsuchende Beratung für Kinder, Jugendliche und Familien, die häusliche Gewalt erleben“ beim Kinderschutz-Zentrum eingerichtet. Erkenntnisse gebe es nach der kurzen Zeit allerdings noch nicht, sagt Ressortsprecher Bernd Schneider.
Hilfe am Telefon
Beim „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln gab es nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 51.407 „Beratungskontakte, sowohl per Telefon, Chat als auch E-Mail“. Das waren zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. In 24.012 Beratungen sei es um häusliche Gewalt gegangen. Die Kölner Fachleute sind vorsichtig bei ihrer Diagnose: Einen Beleg für die Zunahme von Gewalt gegen Frauen stelle das nicht dar. Ähnlich ist es bei der Bremer Telefonseelsorge, die im vergangenen Jahr 11.840 Anrufe erhalten hat: „Familiäre Beziehungen sind mit 14,32 Prozent oft Thema“, steht im jüngst vorgelegten Bericht. Ausdrückliche Rückschlüsse auf häusliche Gewalt lasse das nicht zwangsläufig zu, stellt der Leiter der Bremer Telefonseelsorge, Pastor Peter Brockmann, klar.
Bremen müsse eine „klare Haltung“ demonstrieren, hatte die FDP-Fraktion im November gefordert. Die in den Südtiroler Alpen gelegene Stadt Meran beispielsweise habe eine Plakatkampagne gestartet. So etwas und die Einrichtung eines Hinweistelefons für häusliche und sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen möge auch die Bremische Bürgerschaft beschließen. In Niedersachsen unterdessen arbeitet das Landeskriminalamt an einer sogenannten Dunkelfeldstudie mit dem Schwerpunkt häusliche Gewalt. Ergebnisse liegen nach Angaben einer Sprecherin noch nicht vor.