Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

AWI in Bremerhaven Ein Schiff für 1,2 Milliarden Euro: Das wird die neue „Polarstern“

Die „Polarstern“ aus Bremerhaven ist eine Legende. Bis 2030 soll sie noch fahren. Wissenschaftler des AWI erklären, was die Nachfolgerin der „Polarstern“, Kostenpunkt 1,2 Milliarden Euro, alles kann.
10.07.2025, 05:54 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Ein Schiff für 1,2 Milliarden Euro: Das wird die neue „Polarstern“
Von Marc Hagedorn

Sauna und Pool werden auch auf der neuen „Polarstern“ nicht fehlen. Und das freut Florian Koch ganz besonders. „Ich hab‘ vor meiner ersten Expedition zwar auch gedacht: Was will man mit einer Sauna und einem Pool auf einem Forschungsschiff“, sagt der Wissenschaftler, „aber wenn Sie stundenlang draußen im Eis ihre Arbeit gemacht haben, dann können Sie sich gar nicht vorstellen, wie großartig es sich anfühlt, in einer Sauna zu schwitzen.“

Sechs Expeditionen auf der „Polarstern“ hat Koch, Biologe am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, mitgemacht. Er war in der Antarktis, oft für mehrere Monate. Seit gut eineinhalb Jahren zählt er jetzt zu einem 20-köpfigen Projektteam des AWI, das dafür sorgen soll, dass die neue „Polarstern“ in fünf Jahren als das dann vielleicht modernste Forschungsschiff der Welt ihre Arbeit aufnehmen kann. Ein „Space Shuttle der Meere“ nennt Projektleiter Detlef Wilde das Schiff. Die neue „Polarstern“, die im Moment noch unter dem Projekttitel „Polarstern 2“ firmiert, diesen Namen aber nicht behält, wird ein Forschungsschiff der Superlative, größer, moderner, von AWI-Wissenschaftlern entwickelt und auf der TKMS-Werft von Thyssenkrupp in Wismar gebaut.

1,2 Milliarden für Entwicklung und Bau

Da sind die Kosten: Knapp 1,2 Milliarden Euro nimmt das Forschungsministerium Entwicklung und Bau in die Hand. Da sind die Maße: 27 Meter breit, Tiefgang über elf Meter, 160 Meter lang und damit 40 Meter länger als die aktuelle „Polarstern“. Da ist die Kraft: 1,80 Meter dickes Eis soll sie brechen können im Vergleich zu den 1,20 Metern jetzt. Da ist die Ausstattung: Platz für zwei Helikopter, 80 Container, 13 Labore, neun Kräne, 50 Besatzungsmitglieder und bis zu 90 Forscher.

Teamchef Wilde, der vorher bei Airbus mehrere Raumfahrtprojekte verantwortet hat, spricht von einem „faszinierenden Auftrag, eigentlich nicht zu toppen“. Denn das neue Schiff wird einer Legende nachfolgen. Die aktuelle „Polarstern“ hat spektakuläre Expeditionen unternommen. Sie ist über 300 Tage im Jahr auf See, zwischen November und März in der Antarktis, in den Sommermonaten in arktischen Gewässern. Sie hat seit ihrer Indienststellung mehr als 1,96 Millionen Seemeilen oder 3,64 Millionen Kilometer zurückgelegt. Umgerechnet zweimal im Jahr umrundet die „Polarstern“ die Erde auf Höhe des Äquators.

Zwar sagt Polarstern-Fahrer Koch: „Die alte Dame ist noch sehr gut in Schuss.“ Aber eigentlich hätte sie, zwischen 1999 und 2001 generalüberholt, längst im Ruhestand sein sollen. Auf 30 Jahre war ihre Dienstzeit ursprünglich berechnet worden. Wenn sie wie geplant 2030 von der letzten Fahrt in ihren Heimathafen Bremerhaven einläuft, wird sie fast 50 Jahre im Einsatz gewesen sein. „Es ist ein großes Privileg, auf so einem Schiff mitfahren zu dürfen“, sagt Koch, „ich komme in Regionen, in die sonst kaum ein Mensch vordringt.“ Dafür nimmt er einiges in Kauf. Fünf Kinder und seine Frau sind mitunter monatelang auf sich gestellt und ohne Papa.

Wissenschaftler aus aller Welt

Wissenschaftler aus aller Herren Länder, einige der Besten in ihrem jeweiligen Fach, betreiben an Bord Forschung auf höchstem Niveau; Biologinnen und Geologen, Ozeanografen und Glaziologen, Ingenieurinnen und Mathematiker, Chemiker und Geophysiker. Hochwertig ist auch die technische Ausrüstung, zu der unter anderem ein Unterwasserfahrzeug gehört, das bis in 6000 Meter Tiefe tauchen kann, Bohrgerät, um bis zu 60 Meter lange Sedimentkerne aus dem Boden der Tiefsee zu ziehen, Tauchroboter, Drohnen.

Lesen Sie auch

Entsprechend ambitioniert sind die Forscherinnen und Forscher. Geregelte Arbeitszeiten und einen verbindlichen Feierabend kennen sie während ihrer Zeit an Bord nicht. „Man hat nur diesen einen Versuch“, sagt Koch, „man hat sich akribisch vorbereitet und arbeitet so viel, wie man kann. Ob man um drei Uhr nachts, neun Uhr morgens oder zehn Uhr abends seine Experimente durchführt, spielt dann keine Rolle.“ Man mache einfach und lebe trotz Internet in einem abgeschotteten System, das aber als Team, „auf so einer Fahrt wächst man als Gruppe zusammen“.

Koch will auf jeden Fall auch auf der neuen „Polarstern“ mitfahren. Er kann dann hautnah erleben, wie sich das anfühlt, was sie jetzt noch am Reißbrett entwickeln. Den sogenannten Moonpool zum Beispiel. Auf der aktuellen „Polarstern“ gibt es diese Öffnung im Rumpf des Schiffes nicht. Der Moonpool ermöglicht Tauchern, Robotern und anderen Geräten auf der neuen „Polarstern“ einen geschützten Einstieg ins Wasser, selbst wenn das Schiff im Eis eingeschlossen ist. Die Forscher müssen dafür künftig nicht mehr jedes Mal Löcher ins Eis bohren.

Vorteile beim Antrieb

Auch beim Antrieb soll die neue „Polarstern“ Vorteile haben. Sie tritt mit dem Anspruch an, „das sauberste Schiff zu werden, das es je gab“, wie Projektchef Wilde es ausdrückt. Das Schiff wird auch mit grünem Methanol fahren können, einem umweltfreundlicheren Kraftstoff, der weniger Emissionen verursacht als herkömmlicher Schiffsdiesel. Und deutlich leiser soll die neue „Polarstern“ zum Wohle der Meeresbewohner auch unterwegs sein.

Was in fünf Jahren mit der aktuellen „Polarstern“ passiert, steht noch nicht fest. In zwei Jahren muss sie noch einmal zum "Schiffs-TÜV" und dürfte bei bestandener Prüfung noch bis 2032 weiterfahren. Vielleicht findet sie danach einen neuen Betreiber, vielleicht wird sie auch zu einem schwimmenden Museum. Das, finden diejenigen, die in ihrem Leben bis heute mit der „Polarstern“ zu tun hatten, wäre nicht weniger als absolut angemessen, das „Flaggschiff der deutschen Klimaforschung“.

Zur Sache

20 Köpfe und 7000 Seiten

Wie komplex der Bau eines Forschungsschiffes ist, kann man gar nicht überschätzen. Was muss ein Schiff wie die „Polarstern“ alles können? So viel, dass am Ende Ausschreibungsunterlagen zusammenkamen, die 7000 Seiten dick waren. Jetzt begleitet ein 20-köpfiges Team des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) jeden weiteren Schritt, der zwischen Polar- und Meeresforschenden, den Fachleuten für Technik und Konstruktion, der Bauwerft und der Crew und nicht zuletzt der Politik abzustimmen ist. Die Herausforderung ist groß, und die Gefahr lauert, dass das, was heute noch als der neueste Schrei gilt in fünf Jahren schon wieder überholt sein könnte. AWI-Forscher Florian Koch beschreibt es so: „Ich kann mich noch gut erinnern, dass es 2016 zwölf Euro gekostet hat, wenn man drei Minuten lang mit dem Satellitentelefon nach Hause telefonieren wollte. Heute kann ich mit meinem Abo für ein paar Euro zweistündige Kinofilme in Top-Qualität aufs Tablet streamen.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)