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"Noteninflation" Bessere Abinoten in Bremen sorgen für Kritik

Laut einer Umfrage der "Rheinischen Post" gibt es bundesweit immer mehr Einser-Abiturienten - auch in Bremen. Verbände kritisieren die zunehmende "Noteninflation".
16.09.2019, 06:32 Uhr
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Bessere Abinoten in Bremen sorgen für Kritik
Von Lisa-Maria Röhling

Die gestiegene Zahl an Einser-Abiturienten deutschlandweit sowie in Bremen findet wenig Anklang: Die Vorsitzende des Personalrats Schulen sieht darin keine Erfolgsmeldung, Vertreter des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) sprechen von "Noteninflation". Am Montag war eine Umfrage der "Rheinischen Post" veröffentlicht worden, wonach 2018 bereits jeder vierte Abiturienten einen Einserschnitt hatte, 2008 war es noch jeder fünfte. In Bremen erreichten 27,4 Prozent der Absolventen einen Notendurchschnitt von mindestens 1,9. Die Zahl der Einser-Abiturienten ist demnach in allen Ländern außer Baden-Württemberg gestiegen.

In Bremen ist die Quote seit 2008 um knapp drei Prozentpunkte gestiegen, damit kommt das kleinste Bundesland im Ländervergleich auf Platz sieben. Bremen liegt so nahezu gleichauf mit den anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg, die mit einer Quote von jeweils 26,4 und 26 Prozent nur knapp dahinter rangieren. Die höchste Quote hat Thüringen mit 37,9 Prozent (2008: 30,5 Prozent), Niedersachsen landet auf Rang 15 mit 21,7 Prozent, fünf Prozentpunkten mehr als noch zehn Jahre zuvor. Den letzten Platz belegt Schleswig-Holstein mit 17,3 Prozent Einser-Abiturienten (2008: 14,9 Prozent). Derzeit werden in allen Ländern außer Rheinland-Pfalz die Absolventen mit zentralisierten Aufgaben geprüft. Welche Gründe es für die Entwicklungen bei den Abschlussnoten gibt, geht aus der Umfrage nicht hervor.

Für den DHV sind die Zahlen alarmierend. „Wir sehen es mit Sorge, dass die Abiturnoten besser werden“, sagte DHV-Sprecher Matthias Jaroch der "Rheinischen Post". Der „Noteninflation“ müsse Einhalt geboten werden: „Qualität muss Vorrang vor Quantität haben.“ Schon heute fehlten den Studienanfängern häufig wichtige Grundkenntnisse, etwa in Mathematik. Das Bremer Wissenschaftressort kommt zu einer anderen Einschätzung: Nach einer Analyse des Statistischen Bundesamtes liege Bremen bei der sogenannte Erstabsolventenquote im Vergleich der Bundesländer auf Platz eins. Ob sich eine wie vom DHV erwähnte Noteninflation schon in der Lehre der Bremer Universitäten bemerkbar mache, beantwortete das Ressort nicht.

Angelika Hanauer, Vorsitzende des Personalrat Schulen, zeigt sich in der Auswertung der Abiturnoten eine Diskrepanz zwischen Einser-Abschlüssen in Bremen und der schlechten Platzierung des kleinen Bundeslandes bei Bildungsvergleichen. „Das ist keine Erfolgsmeldung“, so Hanauer. Aus der Unterrichtspraxis habe sie den Eindruck gewonnen, dass die Anforderungen an Schülerinnen und Schüler durchaus gesunken seien. Das zeige sich mitunter auch an den Aufgabenstellungen des Zentralabiturs, die sich in den vergangenen Jahren zumindest in einigen Bereichen vereinfacht hätten. Die Auswirkungen werden laut Hanauer an Hochschulen und Ausbildungsbetrieben deutlich: In Gesprächen habe sie erfahren, dass immer mehr Ausbilder und Hochschullehrer sich über die mangelnden Kompetenzen von Schulabsolventen beklagen. „Das kann jede Lehrkraft bestätigen“, sagte Hanauer. Deswegen müssten jetzt Ursachen für die gestiegene Zahl der Einser-Abschlüsse geprüft werden.

Andere Ausrichtung

Von einem Trend zu besseren Abschlussnoten will das Bremer Bildungsressort auf Basis der Umfrage nicht sprechen: "Die Zahlen schwanken", sagte Annette Kemp, Sprecherin der Bildungssenatorin. Auch wenn im Zehn-Jahres-Vergleich mehr Absolventen ein Einser-Abitur erreicht hätten, sei der Schnitt beispielsweise auf 21,47 Prozent gesunken. Dass die Prüfungen leichter geworden seien, sei "nicht unbedingt" ein Faktor. Was sich verändert habe, sei die Ausrichtung der Prüfungsvorbereitung auf die Neigungen und individuellen Stärken der Schülerinnen und Schüler. Eine Vergleichbarkeit, wie durch das Zentralabitur, sei aber weiterhin das Ziel des Ressorts, sagte Kemp.

Christian Gloede, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bremen, hält die steigende Zahl der Einser-Abiturienten für kaum aussagekräftig: "In den Bundesländern gibt es ungeheure Diskrepanzen." Auch eine Wertigkeit der Abschlüsse sei daraus kaum herauszulesen. Eine Qualitätsverlust der Abiturnoten, wie es der DHV bemängelt, sieht Gloede nicht. Eine mögliche Erklärung sei der stetig steigende Druck auf Schülerinnen und Schüler, höhere Leistungen zu erbringen. Allerdings werde auch die Schere zwischen sehr guten und sehr schlechten Schülerinnen und Schülern in Bremen immer größer – das hätten nicht zuletzt die Ergebnisse der Pisa-Studien gezeigt. Deshalb setze sich die GEW weiterhin für das Ziel ein, eine Benotung von Leistungen komplett abzuschaffen. "Wir brauchen den Notenterror nicht", so Gloede.

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