Anfang des Jahres machte die Stadt Berlin bundesweit mit einem Negativrekord auf sich aufmerksam: Innerhalb von sechs Wochen konnten zehn Inhaftierte fliehen. Die Flucht von vier Männern aus der JVA Plötzensee war im Fernsehen nachzuvollziehen – sie war von Überwachungskameras aufgenommen worden. Die Gefangenen hatten einen Winkelschleifer aus einer Werkstatt stehlen und Gitter durchtrennen können.
Ist das auch in Bremen möglich? Nein, sagt Johannes Canehls ohne zu zögern. Canehls ist Leiter der Fachabteilung Sicherheit. Er erklärt sein Nein so: „In der JVA Bremen gibt es kein Gebäude direkt an der Mauer. Erst kommt ein Innenzaun, dann die Mauer.“ Der Zaun hat "den höchsten Widerstandswert, ihn zu überwinden, ist so gut wie unmöglich". Er ist berührungsempfindlich, bei Kontakt wird Alarm ausgelöst, die Kameras richten sich automatisch auf ihn aus.
Der Alarm läuft in der Sicherheitszentrale ein. Dabei handelt es sich um einen großen Raum, in der Ausstattung einem Flughafen-Tower ähnlich, mit einer Vielzahl von Monitoren, die mit Außen- und Innenkameras verbunden sind. Sein Zugang ist besonders gesichert. Nachts, wenn die Gefangenen in ihren Zellen eingeschlossen sind, versieht hier ein Beamter Dienst. Tagsüber sind es zwei Beamte, wobei Schichtleiter Ingolf Krabiell auch administrative Aufgabe zu erledigen hat.
Bernd Wilkens behält im Auge, was sich auf den Fluren, im Eingangsbereich, im Hof, in den besonders gesicherten Hafträumen sowie direkt vor den Mauern tut. Auch der sogenannte Schlüsselraum wird überwacht, erläutert Wilkens, ein hochsensibler und entsprechend aufwendig gesicherter Bereich. Dort lagern die Bediensteten ihre Schlüssel in Tresoren ein. Ein Technikmonitor lässt die Kontrolle und Steuerung aller elektronischen und technischen Abläufe zu. In brenzligen Situationen können Strom und Licht in einigen Abteilungen abgestellt und Notlicht angeschaltet werden.
"Man erkennt schnell, wenn sich innerhalb der Anstalt etwas anbahnt", sagt Krabiell. Erfahrungswerte spielten bei der Einschätzung eine große Rolle. "Wir wissen, in welchen Abteilungen es häufiger Ärger gibt und in welchen nicht." Die Bediensteten im allgemeinen Vollzugsdienst sind mit Pfefferspray, teilweise auch mit Schlagstöcken ausgestattet. Jeder trägt ein Personen-Notrufgerät am Körper, mit dem in der Sicherheitszentrale Alarm ausgelöst werden kann. Die Bediensteten können die Zentrale per Knopfdruck akustisch am Geschehen teilnehmen lassen, "wenn sie sich unwohl fühlen, weil die Lage unklar ist", sagt Wilkens. "Dann hören wir mit und entscheiden, wann wir vorsichtshalber weitere Kollegen schicken."
Auch scharfer Alarm kann am Notrufgerät ausgelöst werden. Er kann in "großem Anstaltsalarm" münden, der sich durch Signaltöne überall verbreitet. In der Zentrale wird auf einem weiteren Monitor erkannt, wer den Alarm wo ausgelöst hat. Anlässe sind Meutereien, größere Schlägereien, Übergriffe auf Beamte sowie Feuer. Eine Waffenausbildung ist für JVA-Beamte verbindlich. Die Waffen – Maschinenpistolen von Heckler und Koch – lagern in einem Tresor. Sie werden nachts und bei besonderen Gefangentransporten getragen.
Eine spezielle Eingreiftruppe zieht sich für sogenannte Sonderlagen zusammen. Eine solche liegt beispielsweise vor, wenn ein Gefangener in einer Zelle beginnt, sein Mobiliar zu zertrümmern und mit Worten nicht beruhigt werden kann. Für das "Stürmen" eines Haftraums wird regelmäßig trainiert. Wenn es ganz schlimm kommt, also gefährlich wird, wird laut Canehls das SEK gerufen, die Spezialeinheit der Polizei. "Eine Amtshilfe innerhalb der JVA brauchten wir seit über 20 Jahren nicht mehr."
"Das SEK brauchen wir seit über 20 Jahren nicht mehr"
Der Übungsraum für solche Sonderlagen befindet sich in der Sporthalle, in einem eins zu eins nachgebauten Haftraum. Eine Zelle ist klein, Beamten dürfen sich nicht gegenseitig im Weg stehen, wenn ein Häftling überwältigt werden muss. Das Vorgehen muss koordiniert werden. Oliver Nass trainiert die Bediensteten in diesem Raum, er ist Leiter der Fachabteilung Sport. Das A & O sei, "in solchen Hochstressphasen ruhig zu bleiben, logisch zu denken" und sich auf die Rolle zu konzentrieren, die trainiert worden ist.
"Man kann jede Lage meistern mit den richtigen Leuten. Das wissen die Insassen auch." Die Eingreiftruppe ist vermummt, sie schweigt während des Einsatzes. Den Grund erläutert Nass: Die Beamten sollen von Gefangenen nicht identifiziert werden. So sollen Spannungen vermieden werden, wenn der Insasse, der die Durchsetzungskraft des Staates körperlich zu spüren bekommen hat, die Beamten bei anderer Gelegenheit trifft.
Wer die Ausstellungsstücke in der Vitrine im Büro von Werner Fincke, Leiter der Revision, gesehen hat, erkennt zwangsläufig, wie wichtig Durchsuchungen für die Sicherheit in der JVA sind. Fahndungsobjekte der regelmäßigen Kontrollen, tagsüber, aber auch nachts, sind Handys, Drogen, Waffen. Hinter Glas sind besondere Fundstücke aus mehreren Jahren aufbewahrt: selbst gebastelte Stichwaffen und Tätowier-Maschinen, eine Pistolen-Attrappe, Angeln aus Gabeln. Sie sollten dazu dienen, Netze mit illegalem Inhalt aus dem Hof zu fischen, die über die Mauer geworfen worden sind.
Zu den Sicherheitsaspekten einer JVA zählen laut Johannes Canehls neben der instrumentellen und der administrativen (Ausstattung und Sicherheitsvorschriften) auch die soziale sowie die kooperative Sicherheit. Unterer Letzterem sei die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden wie der Polizei oder dem Verfassungsschutz zu verstehen, wenn es beispielsweise um sogenannte Gefährder gehe.
"Wir sind hier in Bremen sehr gut vernetzt", sagt Canehls, die Zusammenarbeit lasse nichts zu wünschen übrig. Der sozialen Sicherheit dient unter anderem das bremische Ansprechpartner-System (wir berichteten) zwischen Bediensteten und Gefangenen. Je besser sich beide Gruppen kennen, je zuverlässiger der Umgang miteinander ist, desto sicherer sei der JVA-Alltag.