„Demenzkranke gab es auch schon früher, nur konnten diese ihren Alltag oftmals ohne Probleme bewältigen“, sagt Elisabeth Kammeyer von der Bremer Heimstiftung. „Früher war das Umfeld weniger komplex.“ Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt zwar im höheren Alter, dennoch erkranken auch jüngere Menschen. Auch, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, hat sie zusammen mit den Betreibern des Biobiss im Alten Fundamt und mit Hilfe von Globalmitteln nun Bremens erstes demenzfreundliches Lokal entwickelt.
Elisabeth Kammeyer unternimmt schon seit längerer Zeit Radtouren mit demenzkranken Menschen. In Kooperation mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), Landesverband Bremen, hat sie im Rahmen der Initiative „Aktiv mit Demenz“ Radtouren konzipiert, die auch für Menschen mit einer beginnenden Demenz zu bewältigen sind: „Kaum schwierige Querungen, eher reizarm und ein schneller Weg ins Grüne“, so beschreibt sie die Streckenplanung. „Dabei kehren wir auch immer in ein Café ein und dort haben wir dann die Feststellung gemacht, dass demenzkranke Menschen oft Schwierigkeiten haben, sich zu orientieren.“

Sie setzen sich für das demenzfreundliche Lokal im Alten Fundamt ein: Corinna Singer von Biobiss (von links), Silke Schulze, Biobiss-Betreiberin, und Elisabeth Kammeyer von der Bremer Heimstiftung.
Auch Servicekräfte zeigten sich mitunter irritiert, „etwa, wenn jemand nicht mehr wusste, was er oder sie bestellt hatte.“ Und auch die Gänge zur Toilette stellten dann ein Problem dar oder komplizierte Geräte wie Seifenbehälter oder automatische Handtuchspender. „Außerdem können mitunter Gegenstände nicht richtig erkannt werden: Weiße Toilettensitze zum Beispiel, weil es da dann keinen Kontrast zum gefliesten weißen Boden gibt.“
Problematisch kann auch weißes Geschirr auf weißen Tischdecken werden, übermäßige Dekoration auf dem Tisch oder die Auswahl mehrerer Speisekarten: „Demenzkranke sind häufig vom Überangebot überfordert“, erzählt Elisabeth Kammeyer, „und da dachte ich, dass man Lokale mit wenig Mitteln optimieren könnte.“ Im Pflegebereich gebe es da einige Standards, in der Gastronomie hingegen nicht: „Wir wollen Menschen ansprechen, die zu Hause wohnen, und sie ermuntern, am sozialen Leben teilzunehmen, ohne sich als erkrankte Person outen zu müssen.“
14.000 Fälle von Demenz in Bremen diagnostiziert
Derzeit sind etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt, in Bremen sind etwa 14.000 Fälle diagnostiziert. „Mit einer hohen Dunkelziffer“, schränkt Elisabeth Kammeyer ein, „und man geht davon aus, dass sich diese Zahlen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Da muss man überlegen, diese Gruppe noch mehr einzubeziehen und Standards für eine demenzfreundliche Kommune zu entwickeln, denn viele Demenzkranke leben noch alleine.“
Biobiss-Betreiberin Silke Schulze sagt, aus verschiedenen und auch persönlichen Gründen seien sie und ihr Team gut vorbereitet, mit Menschen in Kontakt zu treten, „die man sonst nicht so antrifft. Wir sind im Laufe der Jahre daran gewöhnt und wir empfinden solche Begegnungen nicht als Hindernis. Das ist auch eine Herausforderung. Man entscheidet das für sich – will man das, die bunte Gesellschaft, oder nicht?“

Weiß oder braun? Die Farbe des Sitzkissens macht für demenkranke Menschen einen großen Unterschied.
„Es gibt einige Gäste im Biobiss, von denen ich weiß, dass sie Demenz haben, aber das Personal nicht“, sagt Elisabeth Kammeyer. „Es gibt dann bestimmte Situationen, die auftreten können, etwa bei der Bezahlung. Oder wenn die Person vergessen hat, was sie gegessen hat. Dann macht Silke Schulze es nicht so, dass die Person in einen hilflosen Zustand gerät, sondern fragt eher, ob der Rotkohl mit den Klößen geschmeckt hat. Vielleicht hat die Person dann noch den Geschmack des Essens im Mund und erinnert sich.“ Nicht ohne Grund heiße das Projekt auch „UnvergEssen“, sagt sie: „Es sind dann auch alte Erinnerungen, die zurückkehren können.“
Es gehe also auch darum, dass die Menschen ihre Würde behalten, sagt Silke Schulze. Eine Bereicherung sei ihre Arbeit, und für diese Bereicherung hat sich das Team vom Biobiss auch eigens im Rahmen der Initiative „Demenzpartner der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft“ schulen und, wie das Lokal auch, zertifizieren lassen.
Toilettensitze sind jetzt pistaziengrün
Und neben der Schulung gibt es natürlich auch praktische Faktoren, die das Biobiss demenzfreundlich machen: So sind die WC-Anlagen nicht auf modern getrimmt, sondern eher älteren Datums, etwa die Armaturen oder die Handtuchhalter. Die Beschilderung zu den Toiletten wurde verändert, die ehemals weißen Toilettensitze sind jetzt pistaziengrün. Und auch die Sitzkissen im Restaurant wurden ausgetauscht: „Vorher waren es braune Sitzkissen auf braunen Stühlen, das war nicht so gut, doch nun haben wir hellgraue angeschafft“, sagt Elisabeth Kammeyer, „und auch der vorherige Schirmständer hob sich nicht so richtig von der Umgebung ab, da gab es einen neuen. Eine neue Wanduhr gibt es jetzt ebenfalls, größer ist sie und mit Zahlen anstatt Strichen.“
Es sei eine tägliche Aufgabe, betont Silke Schulze, denn es solle ein normales Restaurant bleiben. Und Elisabeth Kammeyer hofft, dass es noch weitere demenzfreundliche Lokale geben wird: „Wir wollen einen Stein ins Rollen bringen.“