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Serie zur Wahl (2): Individualität statt klassischer Wirtschaftspolitik Bremen als Lokomotive des Wachstums

Die deutsche Wirtschaft wächst – trotz der immer noch spürbaren Auswirkungen der Finanzkrise. Aber die klassische Wirtschaftspolitik stößt an Grenzen. Nicht alle Regionen profitieren gleich stark. Bremen steht künftig eher auf der Verliererseite.
17.02.2015, 00:00 Uhr
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Bremen als Lokomotive des Wachstums
Von Andreas Kölling

Die deutsche Wirtschaft wächst – trotz der immer noch spürbaren Auswirkungen der Finanzkrise. Aber die klassische Wirtschaftspolitik stößt an Grenzen. Nicht alle Regionen profitieren gleich stark, wie eine Studie zeigt. Bremen und das Umland stehen künftig eher auf der Verliererseite. Der Wandel erfordert neue Konzepte.

Wenn grau das Gegenteil von rosig ist, dann sieht die Zukunft Bremens und der Region eher dunkelgrau aus. Das legt zumindest eine umfangreiche bundesweite Studie des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) nahe, die sich mit der Entwicklung der Arbeitsplätze bis 2030 beschäftigt. Bremen wird danach in den kommenden 15 Jahren im schlechtesten Fall fast fünf Prozent der gegenwärtigen Arbeitsplätze verlieren, während die Erwerbstätigkeit etwa in München um mindestens fünf Prozent zunehmen wird. Schlechter noch als in Bremen sieht es für die Landkreise Verden und Wesermarsch aus – und in Teilen auch für die Stadt Delmenhorst.

Hier prognostiziert PwC einen Rückgang der Jobs nahe zehn Prozent. „Die Gebiete müssen Lösungen finden, wie dem Schrumpfungsprozess entgegengearbeitet werden kann“, sagt Thomas Ull, der Leiter des Geschäftsbereiches Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC in Bremen.

Studie unterscheidet vier Szenarien

Die Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Weltwirtschaftsinstitut entstanden ist, unterscheidet vier Szenarien: Basis-, Polarisierungs-, Konvergenz- und Wachstumsszenario. In allen vieren bleibt der Trend für Bremen allerdings negativ, wenn auch unterschiedlich stark. Genauso wie in Verden und der Wesermarsch. Im Polarisierungsszenario, das unterstellt, die Unterschiede in der Entwicklung zwischen strukturschwachen und wachstumsstarken Regionen driften noch weiter auseinander als bisher, steht auch Delmenhorst schlecht da und muss mit einem Arbeitsplatzschwund von 8,6 Prozent rechnen. „Die Regionen müssen den strukturellen und demografischen Wandel klar erkennen und annehmen, statt sich gegen ihn zu stemmen“, sagt Ull.

Während bundesweit in den Jahren 2000 bis 2011 die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um knapp drei Prozent zurückging, stieg die Zahl der Erwerbstätigen im Schnitt um rund fünf Prozent besonders stark in den deutschen Städten. Auch in der gesamten Region um Bremen stieg die Zahl der Erwerbstätigen. Hier liegt die Stadt Oldenburg mit plus 11,5 Prozent auf Platz eins, knapp dahinter Bremerhaven mit einem Zuwachs von 10,5 Prozent, Bremen mit einem Plus von 3,5 Prozent schafft es auf den sechsten Rang und Verden ist Schlusslicht mit einem mageren Zuwachs von 0,8 Prozent.

Jetzt kehrt sich der Trend allerdings dramatisch um, wie die PwC-Studie zeigt. Die Boom-Regionen für die kommenden Jahre liegen vor allem im Süden der Republik – aber nicht nur dort: Auch im ländlich geprägten Westniedersachsen setzt sich das Wachstum bei den Arbeitsplätzen fort.

„Es muss etwas passieren“, sagt Ull mit Blick auf die Region Bremen und geht mit den Verantwortlichen hart ins Gericht: „Wir müssen weg von der Kirchturmpolitik.“ Wie man die Stärken einer Region nachhaltig nutzen könne, zeigen nach Ulls Ansicht die Kommunen entlang der Autobahn 1 im Oldenburgischen und der A31 im Emsland. Sie könnten Vorbild sein.

Fünf Landkreise an der A1 haben sich 2007 zur Wachstumsregion Hansalinie zusammengeschlossen und können mittlerweile eine durchaus positive Bilanz ziehen. Sowohl in der Logistik als auch in den Schwerpunktbranchen der Ernährungswirtschaft, bei der Kunststoffproduktion und -verarbeitung, dem Maschinen- und Anlagenbau verläuft die Entwicklung in den Kreisen Osnabrück, Diepholz, Vechta, Cloppenburg und Oldenburg prächtig, hieß es erst kürzlich auf einer Tagung der beteiligten Kommunen.

Das findet sich auch in der PwC-Studie wieder. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen wird dort deutlich über dem Bundesschnitt von rund fünf Prozent liegen, heißt es in der Prognose. Das gilt auch für die sogenannte Ems-Achse, einen Kooperationsverbund entlang der Autobahn 31.

Die schon 2006 gegründete Initiative „Wachstumsregion Ems-Achse“ ist ein Bündnis von Unternehmen, Kommunen, Bildungseinrichtungen, Kammern und Verbänden. Sie umfasst die Landkreise Wittmund, Aurich, Leer und die kreisfreie Stadt Emden sowie das Emsland und die Grafschaft Bentheim. Das Ziel ist die Profilierung einer gemeinsamen Wirtschaftsregion bei gleichzeitiger Stärkung des Wirtschaftswachstums und Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Das geschieht unter anderem über die Entwicklung von Projekten und die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Unternehmen mit dem Ziel, das vorhandene Wissen zu bündeln und alle am Wirtschaftsprozess Beteiligten zu vernetzen. Zum Präsidenten des Kooperationsverbunds wurde vergangene Woche der 37-jährige Juniorchef des Landmaschinenherstellers Krone mit Hauptsitz in Spelle im südlichen Emsland und einem Werk in Sögel gewählt.

Ein Netzwerk dieser Art hält Ull auch für die hiesige Region für dringend erforderlich. Gerade das Land Bremen stehe vor großen Herausforderungen und müsse kreativ werden. „Bremen als größte Kommune und Wirtschaftsmetropole in der Region Nordwest sollte dabei eine substanzielle Führungsrolle übernehmen, die Lokomotive sein.“ Auch eine mangelhafte Infrastruktur bremst seiner Meinung nach die Entwicklung.

Bremen stößt an Kapazitätsgrenze

Gerade Bremen werde mittelfristig an seine Kapazitätsgrenzen stoßen. Das gelte insbesondere für Gewerbeflächen und die Logistik. Dass sich ein internationaler Dienstleister nicht für den Standort am Güterverkehrszentrum (GVZ) entschieden hat, hätte nach Ulls Ansicht verhindert werden können, wenn es eine engere Zusammenarbeit mit der Stadt Delmenhorst oder anderen Umlandgemeinden gegeben hätte. „Möglicherweise hätte sich der Interessent dann wenigstens in der Region angesiedelt.“ Kreise und Städte müssten Maßnahmen zur Steigerung der Standortattraktivität ergreifen, Standortvorteile ausbauen und Schwächen abstellen, rät Ull. Ansatzpunkte seien unter anderem ein attraktives Wohnraumangebot und eine gute Erschließung durch eine perfekte Infrastruktur.

Eine wirksame Strategie sei, die gesamte Wertschöpfungskette einer in der Region verwurzelten Branche vor Ort abzudecken. Gerade auf diesem Feld sieht sich Bremen gut im Rennen. Bremen sei „ein optimal aufgestellter, zukunftsfähiger Platz für die Automotive-Branche“, sagte Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung der WFB Wirtschaftsförderung Bremen gerade auf einer Zulieferer-Veranstaltung bei Mercedes. Heyer verweist auf eine Palette von Angeboten der WFB. Von passenden Gewerbeflächen, Unterstützung bei der Ansiedlung bis hin zu Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten.

Ihre enge Kooperation mit dem Umland hebt auch Juliane Scholz von der WFB hervor: „Das ist gelebte Praxis.“ Sie nennt beispielhaft die Netzwerke Luft- und Raumfahrt sowie die Windbranche und kann die Kritik aus der Studie nicht nachvollziehen. „Die Cluster werden weiterentwickelt, wir wollen unsere Stärken herausstellen“, hält Scholz dagegen. Auch der Zusammenschluss „Metropolregion Nordwest e.V.“, er sieht seine Aufgabe in der Vernetzung von Akteuren verschiedener Branchen, hat schon zentrale Herausforderungen definiert: Demografischer Wandel, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, Fachkräftemangel. Ziel sei, durch intelligente Spezialisierung und Konzentration der Aktivitäten auf regionale Schlüsselprioritäten die wirtschaftlichen Potenziale auszubauen. Der Kooperationsraum reicht von Cuxhaven und Wilhelmshaven im Norden bis nach Osnabrück – mit Bremen in der Mitte.

PwC-Mittelstandsexperte Ull dämpft die Erwartungen, es sei eben wichtig, neben den Stärken, auch die Schwächen zu analysieren und sie als Basis für individuelle Zukunftskonzepte zu nutzen. „Man sollte nicht auf schon vorhandene Züge aufspringen.“ Individualität sei gefragt.

Lesen Sie hier ein Interview mit dem Präsidenten des Industrie-Clubs Bremen, Günther W. Diekhöner.

Vom Hemelinger Hafen bis zu Überseestadt: Lesen Sie hier eine Chronologie der Bremer Gewerbegebiete.

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