Herr Moock, Sie sind ausgebildeter Speditionskaufmann und haben Bauingenieurswesen studiert – was hat Sie schließlich zum Gesundheitswesen gebracht?
Jörn Moock: Das ist gar nicht so abwegig. Während des Bauingenieur-Studiums habe ich festgestellt, dass mich zum Beispiel die Statik-Berechnung von Brücken nicht so sehr interessiert, sondern mehr die Städte- und Quartiersplanung. Ich habe dann begonnen, Stadtsoziologie zu studieren, und über eine Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bin ich in die Medizinsoziologie-Schiene gerutscht. Im Soziologie-Studium habe ich mich bereits mit dem öffentlichen Gesundheitswesen beschäftigt, also Public Health – das ist die Kernaufgabe der Gesundheitsämter.
Sie übernehmen den Job als Leiter des Bremer Gesundheitsamts mitten in einer Pandemie, in der es vor allem um akute Krisenbewältigung geht. Seit Jahren hat sich außerdem die Personallage verschärft. Nach einem Traumjob klingt das nicht unbedingt.
Die Gesundheitsämter gehen gestärkt aus der Pandemie hervor, weil deutlich geworden ist, wie sehr wir sie brauchen. Aus dem Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst bekommen die Gesundheitsämter vier Milliarden Euro vom Bund für die nächsten fünf Jahre, Bremen erhält davon 31 Millionen Euro. Gerade jetzt sind die Voraussetzungen sehr gut, um das Bremer Amt neu aufzustellen und dessen Kernbereiche auszubauen – personell und inhaltlich.
Dafür brauchen Sie mehr Personal. Im März dieses Jahres waren im Gesundheitsamt Stellen im Umfang von 33 Vollzeitmitarbeitern nicht besetzt. Jetzt sind es noch rund 20 unbesetzte Stellen. Warum ist das so schwierig?
Wir stehen im bundesweiten Wettbewerb mit den anderen rund 370 Gesundheitsämtern. Dazu kommt, dass der Öffentliche Dienst für viele Fachkräfte offenbar nicht attraktiv genug ist, das muss sich ändern. Wir müssen die Arbeit und deren Bedeutung besser in der Öffentlichkeit bekannt machen. Dazu kommt ganz konkret, dass das Bewerbungsverfahren beschleunigt wird. Medizinische Fachkräfte sind gefragt, deshalb müssen die internen Einstellungsprozesse schnell und optimal laufen. Von der Einstellungszusage bis zur Vertragsunterzeichnung und Arbeitsaufnahme sollte wenig Zeit vergehen.
Wie soll das künftige Bremer Gesundheitsamt aussehen – was ist Ihr Plan?
Wir haben in ihrer Fachexpertise hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Künftig soll es im Amt selbst eine bessere Verzahnung von Kinder-, Jugend- Erwachsenen- und Sozialmedizin geben. Und der wichtigste Punkt: Wir müssen mehr in die Stadtteile gehen, dort vor Ort präsent sein – und das Personal dort auch halten.
Was meinen Sie konkret damit, dass das Gesundheitsamt stärker in den Quartieren präsent sein soll?
Wir brauchen mehr Stützpunkte und Fachkräfte direkt in den Quartieren. Wir haben in der Pandemie erlebt, dass wir besonders gut sind, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger direkt und auch mit ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund ansprechen. Das ist in der Pandemie mit den Gesundheitsfachkräften beim Thema Impfungen verstärkt umgesetzt worden und ist sehr erfolgreich. Künftig soll das auch bei nicht-coronabezogenen Themen fortgeführt werden.
Worum geht es dabei vorrangig?
Das sind die ganz klassischen Themen wie Kinder- und Jugendgesundheit. Und wir wollen Menschen, die innerhalb der Gesellschaft am Rand gesehen werden, besser als bisher erreichen. Menschen, die mit ihrer Gesundheit Probleme haben oder deren Gesundheitsverhalten vielleicht nicht optimal ist. Es geht um Ernährung, um gesundheitliche Einschränkungen, auch um Substanzkonsum – es geht um die ganz klassische Gesundheitsberatung. Dafür wollen wir Fachkräfte in die Quartiere schicken und sie dort dauerhaft behalten.
Das heißt: Das Gesundheitsamt wird Zweigstellen in Quartieren bekommen – wie soll das umgesetzt werden?
Das können Stützpunkte sein, die es bereits gibt. Ein Beispiel dafür ist der Gesundheitstreffpunkt West in Gröpelingen. Es handelt sich um Andockstellen, denen die Menschen vertrauen. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor, wenn es um Gesundheitsberatung geht, weil es etwas sehr Intimes ist. Wenn wir das aufrechterhalten und ausbauen, haben wir aus meiner Sicht eine große Chance, etwas sehr Gutes für die Gesundheit der Bremerinnen und Bremer zu tun.
Gibt es weitere Bereiche, die Sie ausbauen oder ganz neu aufstellen wollen?
Die gemeindenahe Psychiatrie ist ein großes Feld für die Gesundheitsämter, in dem Bereich müssen wir uns noch viel stärker zeigen. Hinzu kommt auch das Thema soziale Gesundheit, dort spielen auch Umweltfaktoren hinein. Bremen scheint hinsichtlich der Wohnungsplanung stark zu verdichten, damit gehen Lärmbelästigungen einher, Lärm kann auch die Gesundheit beeinträchtigen.
Dafür braucht man Ärztinnen und Ärzte und andere qualifizierte Fachkräfte. Welche Berufsgruppen werden im Gesundheitsamt und in den Zentren benötigt?
Das sind Sozialarbeiter mit einer gesundheitlichen Bildung, speziell qualifizierte Gesundheitsfachkräfte und auch Familienhebammen – Fachpersonal, das die entsprechenden Soft Skills mitbringt. Kompetenzen und Überzeugungen, die über die erlernte Fachkompetenz hinausgehen. Dies bringen die meisten in diesen Berufsbildern mit, und genau darum geht es bei der Arbeit in den Quartieren. Wenn wir mit diesem Profil suchen, bin ich überzeugt, dass wir auch das entsprechende Personal bekommen können und als Arbeitgeber attraktiv sind. Dazu gehören aber auch flexible Arbeitszeitmodelle oder Telearbeit.

Jörn Moock, Leiter des Bremer Gesundheitsamtes.
Was braucht das Gesundheitsamt außerdem?
Ein klares Krisenmanagement ist extrem wichtig, und das muss immer wieder geübt werden. Erstens, weil uns Corona nicht so schnell verlassen wird. Aber auch weitere Infektionserkrankungen werden uns künftig beschäftigen.
Die Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig Daten sind. In Bremen bieten sich die Hochschulen als wissenschaftliche Partner für Projekte an: etwa das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie oder der Public-Health-Bereich an der Uni. Macht es nicht Sinn, das stärker zu nutzen?
Ich habe großes Interesse daran, Daten aus Studien oder Projekten auf dieser Basis etwa für zielgenaue Präventionskampagnen in den Quartieren zu nutzen. Das ist ein dickes Pfund, was wir dort an Instituten und Fachbereichen haben. Was mir aber auch wichtig ist: Als Gesundheitsamt müssen wir das Thema Gesundheit in die anderen Politikbereiche bringen. Der englische Begriff dafür ist "Health in all Policies". Gemeint ist, dass Prävention, Gesundheitsförderung und gesundheitliche Versorgung nicht allein Aufgaben des Gesundheitssektors sind, sondern in allen Themenfeldern öffentlichen Handelns verfolgt werden sollten.
Das Gespräch führte Sabine Doll.