„Wilde Outfits, einzigartige Kreationen!“ – das ist die Antwort von Malou Bentz von der Genossenschaft „Horner Eck“ auf die Frage, was die Menschen denn erwarten dürfen, wenn sie am Sonnabend, 13. September, um 20 Uhr in der Eckkneipe im Viertel sitzen. Denn mit „Lost and Found – Relikte der Subkultur“ hält nun die erste Modenschau Einzug in die genossenschaftliche Gastwirtschaft.
„Wir finden hier alles während einer Schicht“, erzählt sie, „Regenschirme, einzelne Handschuhe, Ausweise, Handys.“ Einiges werde abgeholt, so manch ein Gegenstand oder Kleidungsstück jedoch nicht und die Kunst AG des Horner Ecks hat sich da so ihre Gedanken gemacht: Was tun mit all den besitzerlosen Dingen? Herausgekommen ist ein „Kunstprojekt, das Fundstücke aus Bremischen Subkulturorten in eine Modekollektion verwandelt“, wie es in einer Pressemitteilung über die vom Kultursenator geförderte Modenschau heißt.
Denn, so Malou Bentz, das werde in den Clubs und Kneipen überall so sein, dass die Gäste ab und an persönliche Dinge zurücklassen. „Wir haben uns mit anderen zusammengetan und gesammelt. Anschließend gab es eine Ausschreibung für Designerinnen und Designer, um aus den Fundsachen Kleidung zu machen.“ Fünf Designerinnen und Designer seien nun gefunden worden, die jeweils drei bis fünf Looks präsentieren möchten. „Und das entweder performativ oder klassisch auf dem Catwalk“, erklärt Elard Lukaczik von der Genossenschaft.
Zwar sei das Horner Eck kein klassischer Ort für einen Catwalk, sagt Malou Bentz, aber gerade dieser Umstand unterstreicht noch mal das ungewöhnliche Projekt – und unterstrichen wird es dann ebenso durch die dazu passenden Geschichten. Dazu gab es im Vorfeld eine Onlinebefragung, ob und wie schon mal Sachen in Kneipen verloren worden seien und was das überhaupt gewesen sei. Oder auch: „Hast du vielleicht mal eine falsche Jacke mit nach Hause genommen? Bei Modenschauen gibt es oft Musik, hier gibt es auch Audiospuren“, sagt Malu Bentz, wobei die anonym abgegebenen Verlustgeschichten dann von Sprecherinnen und Sprechern eigens eingesprochen worden seien.
Eine weitere Frage: „Wann hast du dein Herz verloren?“, ein weitreichendes Thema also und entstanden ist diese Idee laut Elard Lukaczik am Tresen, wo sich die Kunst AG des Horner Ecks versammelte. Es ist natürlich nur eine Idee unter vielen, bis zu sechs Ausstellungen seien pro Jahr im Horner Eck zu sehen, wofür mehr als 100 Bewerbungen eintrudeln, und das mittlerweile aus ganz Deutschland und Europa. „Das Ziel der Kunst AG ist es, Kunst auch abseits zugänglich zu machen“, sagt Elard Lukaczik und dazu gehört auch und sogar eine Oper, die demnächst zur Aufführung kommen soll.
Fundsachen auf dem Laufsteg
Und doch passt auch eine Oper in das Konzept der Genossenschaftskneipe und Malou Bentz erinnert sich: „Gleich beim ersten Treffen stellten wir zwei Dinge fest: Das Bier muss günstig sein und es muss mehr geben als zu rauchen und ein Getränk zu trinken.“ Es sei demnach auch mehr, ein Mikrokulturzentrum gar, wie es Elard Lukaczik formuliert, und in diesem Mikrokulturzentrum werden am Sonnabend Menschen Liegengelassenes am Körper tragen. „Gerade nach dem Winter war der Keller voll mit Fundsachen und wir sind froh, dass eine neue Chance, ein neues Leben in die Fundstücke kommt“, sagt er.
Auf die Frage, warum die Menschen die Fundsachen nicht abholen würden, weiß aber auch Malou Bentz keine Antwort: „Vielleicht wussten sie nicht, dass sie es anhatten?“ Wobei eine Bauchtasche mit 100 Euro darin oder eine Tasche mit allen Sachen, was ein Hund so benötigt, doch gerade durch ihr Fehlen in die Erinnerung rücken müssten. Ein Blick in die aktuellen Fundkisten offenbart übrigens Beutel mit Kleidungsstücken, einzelne Stulpen und Handschuhe, ein gewiss nicht günstiger Designerrucksack oder auch diverse Trinkbecher. Trinkbecher werden aber bei der Modenschau nicht zu sehen sein, aber um die 20 Outfits – alles nachhaltig, alles gefunden, nichts Neues wurde hinzugekauft.

Was in Bremer Kneipen liegengelassen wurde, wird bei einer Modenschau im Horner Eck präsentiert.
Die fünf Designerinnen und Designer sind übrigens keine unbeschriebenen Blätter mehr: Sie heißen Lady Oelectric, Miva van Kulo, Anna Muni, Lucia Bauer und Sofiyya Shirin Süngü und sind bereits in der heimischen Kunstszene ein Begriff. Nach der Modenschau geht es übrigens weiter, dann gibt es Musik von der Berliner Künstlerin Solar Powered Moon Town: „Ihre Musik erblüht auf einem Schrottplatz aus 80er-Jahre-Synthesizerklängen, Kirchenorgel und Oktoberfest und reicht von dramatisch schillernden Gedichten über moderne queere Liebe und Luxusproblemen bis hin zu Anti-Harrassment-Shout-Along-Songs für deine nächste Après-Ski-Party“, verspricht die Pressemitteilung.
Haben Malou Bentz und Elard Lukaczik eigentlich auch schon mal etwas in einer Kneipe vergessen? „Ohrringe“, antwortet Malou Bentz spontan, „viele Ohrringe.“ Und Elard Lukaczik sagt: „Ich habe schon mal meinen Laptop im Hertbreak Hotel stehen lassen. Das war am nächsten Tag aber immer noch da.“