Das ist der Moment, auf den sie fast sechs Jahre gewartet haben. So viel Arbeit, Planung und Finesse, bis das Schiff endlich wieder in seinem Element ist. Die Kogge schwimmt, und nichts, gar nichts muss fürchten lassen, sie könnte demnächst ein weiteres Mal untergehen wie damals an der Schlachte. Das Schiff, noch im Rohbau, ist sichtbar in stabiler Verfassung. Nach zwei weiteren Jahren soll auch im Inneren alles fertig sein und der eingelagerte Mast seinen alten Platz zurückbekommen.
Spannung liegt in der Luft, als am Sonnabend gegen Abend im Hohentorshafen der große Akt beginnt. An alles gedacht, nichts falsch gemacht? Entscheidend ist ja immer die Praxis und weniger die Überlegung. Zwei Schwimmkräne an der Pier, die das Werk vollbringen sollen und kräftig genug sind, um 63 Tonnen zu heben, so viel wiegt die „Roland von Bremen“. Bug und Heck haben jeweils einen breiten Spanngurt verpasst bekommen, sie sind mit einer Traverse verbunden, um das Schiff einigermaßen im Lot zu halten. So weit, so gut, und dumm laufen kann jetzt eigentlich nichts mehr, zumal die Kranführer jahrzehntelange Erfahrung haben.
„Theoretisch kann nichts passieren“, sagt Frank von Stemmen, der das Projekt leitet. Theoretisch, okay, aber weiß man's? Der 67-Jährige sorgt sich nicht, er spürt aber, dass dieser Tag etwas Besonderes ist. „Ein Highlight“, sagt er, „aufregend, das bewegt mich schon.“
Und dann geht es los. Ein kleiner Ruck, die Gurte straff und nur minimale Bewegung. Gefühl entwickeln, vorsichtig sein, das zuerst. Langsam, ganz langsam wird die Kogge hochgehievt. Sie ächzt ein bisschen, aber das ist normal, wenn die Planken und Spanten das erste Mal Druck erleben. Die Blicke der Arbeiter und ihres Chefs kleben förmlich am Schiff und seiner Lage in der Luft. Bei den mehr als 100 Schaulustigen ist es nicht anders. Sechs Jahre, eine lange Zeit. Ein wenig ist es deshalb auch ein Abschied, selbst wenn der Ausbau an einem anderen Platz von denselben Leuten fortgesetzt wird.
Die „Roland von Bremen“ an Land, kurz in der Luft, und nun im Wasser. Geschafft! Das hat geklappt wie am Schnürchen. Von Stemmen und die anderen sind glücklich. In einer Woche wird das Schiff in den Holz- und Fabrikenhafen geschleppt, zum Anleger direkt vor der Feuerwache. Und danach? „Wahrscheinlich geht es wieder zum alten Platz an der Schlachte“, sagt von Stemmen.
Untergang an der Schlachte
Die „Roland von Bremen“ ist der dritte Nachbau der berühmten Bremer Kogge. Es gibt außerdem die „Hansekogge“ und die „Ubena von Bremen“. Das Original wurde 1962 bei Hafenerweiterungsarbeiten in der Weser vor Rablinghausen entdeckt. Der Fund war eine Sensation; Archäologen schätzten das Baujahr des Schiffes auf das Jahr 1380. Nachdem die Überreste geborgen waren, begann im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven die Sanierung und Rekonstruktion. Seit Mai 2000 ist die historische Kogge in einer eigens dafür gebauten Halle ausgestellt.
Zur selben Zeit war nach vier Jahren Bauzeit die „Roland von Bremen“ fertiggestellt. In das Projekt flossen 5,5 Millionen Euro Fördergelder. Als Liegeplatz wurde die Schlachte ausgewählt. Besitzerin war die Hal-över-Reederei. Die Kogge konnte auf Fahrt gehen und tat das auch, zum Beispiel nach Lübeck und Danzig, einmal auch nach Berlin. Für solche Unternehmungen und die Pflege des Schiffs hatte sich ein Verein gebildet.
Doch dann passierte ein Unglück. In den Morgenstunden des 28. Januar 2014 ging die Kogge an ihrem Liegeplatz unter. Schuld war ein defektes Seeventil. Nach der Bergung wurde das Schiff in den Hohentorshafen geschleppt und an Land gehoben. Ein Jahr später wechselte der Besitzer, seitdem gehört die „Roland von Bremen“ dem Beschäftigungsträger Bras. Seit Mai 2015 arbeiten Langzeitarbeitslose und Geflüchtete unter Anleitung von Fachleuten an der Sanierung des Kogge-Nachbaus.